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27.Dezember 2014, 22:24

Zwischen Wahrnehmung und Wiedergabe

Aller digitalen Knipserei zum Trotz: Was wir sehen, können wir abbilden, und weitergeben. Doch schon das digitale Bild ist nicht das, was wir wirklich wahrgenommen haben. Es ist bereits ein Abklatsch, und das Farbenspektrum entspricht bei weitem nicht dem des menschlichen Auges.

Credit: Thinkabout, Nordlicht in Norwegen, Hurtigruten, März 2012

Credit: Thinkabout, Nordlicht in Norwegen, Hurtigruten, März 2012

 

Die Technik kompensiert das gerne mit Angeboten von Übertreibungen eines Teilaspektes – doch wie soll man denn das Schöne wirklich ausdrücken, von ihm erzählen, es wiedergeben?

Es gibt viele Tipps, wie man sich auf das Naturschauspiel des Nordlichts in Winternächten vorbereiten kann, um wenn immer möglich brauchbare Fotos zu schiessen. Und tatsächlich sind uns gute Aufnahmen gelungen, mal abgesehen davon, dass auf einem Schiff und zudem noch ohne Stativ dazu Einschränkungen zu machen sind. Aber eben: Wir waren ja auch als Touristen da, und nicht als professionelle Reisefotografen. Was die allerdings aus solchen Naturereignissen zu machen im Stande sind – dafür habe ich auf dieser Reise ein Gefühl bekommen. Knatschblaue Himmel mit ähnlichem Farbenspiel wie oben? Und die Intensität? Darum mal ganz ehrlich: Wenn Sie Nordlichter real erleben dürfen, dann sehen sie anders aus. Schlicht und ergreifend. Die Intensität der Farben ist deutlich geringer – dafür ist das Raumgefühl ganz anders – schliesslich haben Sie den Himmel über sich und es kann Ihnen so vorkommen, als würde sich diese Lichterschwaden gleich über sie ergiessen.

Die Natur ist phantastisch. Aber kein Fotobuch, das wir in Händen halten, gibt die Natur wirklich wieder. Und längst hat ein Farbregime Einzug gehalten, das natürliche Farbtöne übertreibt und diese danach ausrichtet, wie hoch glänzend satt die Farben geprintet oder gescreent werden können. Gesucht wird nicht die Reportage eines IST, sondern das einmalige Ah und Oh des Betrachters.

Die Art, wie wir eine Wahrnehmung erfassen und wiedergeben können, meinetwegen auch, wie wir sie allenfalls färben oder entkleiden – das ist die Aufgabe, welche jede Kunst versucht.

Nichts macht uns andächtiger, als wenn wir vor einem Gemälde stehen, ein Gedicht oder ein Stück Musik hören, und dabei das Gefühl haben, der Schöpfer des Werks würde uns sehen, hören lehren. Worte, die uns ein Gefühl so beschreiben, dass wir uns an unser eigenes Glück oder einen Schmerz erinnern, ja, Worte, die uns vielleicht gar erlauben, tiefer in unser Empfinden einzudringen, als wir das bisher gewagt haben? Wie gewaltig kann Kunst sein, wie beschränkt muss sie oft bleiben? Und mit was gibt sich die Kunst zufrieden? Mit dem matten Abklatsch oder der strahlenden Überhöhung? Oder bleibt sie ehrlich in der ewigen Qual, mit den eigenen Mitteln des Ausdrucks nicht wirklich wiedergeben zu können, was sie empfindet? Im besten Fall kann sich der Schaffende annähern, und vielleicht entstehen dann Sätze, Pinselstriche, einzelne Werke, die mindestens das Wunder fühlbar machen:

Wir Menschen habe Ausdrucksmöglichkeiten, die ausserordentlich sind – aber eine Wahrnehmung, die noch viel weiter geht, als zu beschreiben wäre. Und die Lebenskunst beginnt nicht beim Erzählen, Fotografieren, Malen, Komponieren. Sie beginnt beim Lauschen, Hinhören, Betrachten, Nachdenken – die eigene Erfahrung und die Tiefe der persönlichen Einlassung auf die ganz persönlichen Lebensfragen, unser Verständnis von uns und der Natur bestimmt unsere Fähigkeit, diesen Versuch immer neu zu wagen. Gelingt die Wiedergabe nicht in befriedigender Weise, so ist hoffentlich die Intensität der persönlichen Wahrnehmung eine Disziplin, in der wir uns laufend schulen dürfen – und wollen.

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Für noch mehr Nordlicht

 

4 Gedanken zu „Zwischen Wahrnehmung und Wiedergabe

  1. Gerhard

    Lieber kurt!
    Ich habe das fotografieren eigentlich schon längst aufgegeben.ich nutze es nur mehr zu dokumentarischen zwecken. Man kann sich anhand der fotos an manche begebenheit zurueckerinnern.
    Was ich noch fotografisch mache, ist makrofotografie, dies aber nur ab und an. Bei der nanofotografie ist man ja noch ehrlich und faerbt bestimmte partien adaequat ein.
    Wenn man fotografie als eigenstaendige handwerkliche art ansieht, ist sie o.k.als nachbildung dessen, was das auge und das empfindsame gehirn sieht und erkennt, da habe ich auch meine zweifel.
    Wenn du oefters ausstellungen siehst, dann faellt dir auch da der oft eklatante unterschied zwischen print und dem tatsaechlichen bild auf. Ichhabe das mal bei hopper in koeln erlebt. Das bedrohliche, merkwuerdige dunkle blau der opernloungen fand sich im katalog nicht wieder, wie sollte es auch. Die struktur der bilder, der pinselstrich, der kann nachempfunden werden.
    Hinzu kommt, dass der farbeindruck ja auch sich wandeln wird, je nach helligkeit des raums u nach art des lichts. Es bleibt einfach bestehen: nur der eindruck des auges im moment sollte zaehlen!

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Du magst Hopper?

      Wunderbar! Und, ja! Gerade bei den Malern, diesen Fängern oder Freilegern von Licht, gilt Deine Beobachtung erst recht. Und jeder liest sein eigenes Buch und sieht sein eigenes Bild. Auch das.

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      1. Gerhard

        An edward hopper kommt der kunstinteressierte nicht vorbei. Was der mann mit den mitteln der farbe und den raeumen, in denen seine darsteller auftreten, anstellt, ist sehr ausgefeilt und pedantisch komponiert.
        Mir hat mal ein maler erklaert, wie das mit dem amerikanischen und europaeischen farbsystemen so ist. In jedem fall bekommst du als aussteller ein foto nach einer amerik din-form, die in die hiesige uebersetzt werden muss.es geht also durch einige schritte etwas verloren. Die ganz eigene farbmagie hoppers war jedenfalls im original sehr beeindruckend!

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        1. Thinkabout Beitragsautor

          Edward Hopper – seine Bilder wirken auf mich tatsächlich sehr räumlich, sehr dreidimensional. So erklärt bekommen habe ich das noch nie. Danke dafür.

          Interessant auch: Ich bin zwar ein Bildermensch, aber in Malerei alles andere als bewandert. Aber auf Hopper stiess ich immer wieder, wie jetzt erneut durch Dich.

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