Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

09.März 2015, 6:15

Die Geschichte, die vermaledeite

credit: istockphoto.com/maxsomma

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Ich sah gestern die heute-Nachrichten des ZDF, mit dem Bericht über die Gedenk-veranstaltung in den USA zu den Rassenunruhen in Selma, Alabama, vor fünfzig Jahren. Die lapidare Einleitung der Moderatorin: Wenn sich nicht die USA oder die westlichen Europäer für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzten, wer dann? China, Russland wohl nicht. Und dann kommt er wieder, der Hinweis auf die eigene Geschichte Deutschlands und die daraus resultierende besondere Verantwortung. Ist das auf Dauer gut und richtig so?

Wenn in den USA weisse Polizisten schwarze Jugendliche erschiessen, dann ist der genaue Blick auf einen solchen Vorgang mit dem Hintergrund der eigenen Geschichte sehr wohl angebracht. Die Frage stellt sich ja schon die Gesellschaft: Wo waren wir vor fünfzig Jahren in Sachen Gleichberechtigung, wo stehen wir heute? Und genau so muss sich Deutschland fragen lassen, nein, will Deutschland selbst fragen, wo das Land steht, wenn es den zur Zeit laufenden oder eben stockenden NSU-Prozess mit allen Ungereimtheiten verfolgt: Wie klar grenzt „man“ sich gegenüber rechtsradikalem bis Nazi-verwandtem Gedankengut ab?

Wenn aber die Leitmedien bei jeder Gelegenheit die besondere Verantwortung Deutschlands auf Grund seiner Geschichte betonen, dann antworten die Jungen hinter vorgehaltener Hand mit Recht: Was geht mich das noch an? Und das meine ich ernst: Die eigene Geschichte eines Landes ist nie einfach ein Ruhmesblatt, und es gibt gute Gründe, sie differenziert zu lernen, erzählt zu bekommen und auch zu prüfen, wie was so kommen konnte, wie es kam – lässt man mal die sich wandelnde Deutungshoheit der Geschichtslehre als verkomplizierendes Element beiseite. Als junger Mensch aber, der im heutigen Deutschland aufgewachsen ist, der selber Eltern der Nachkriegsgeneration hat, der politisch vielleicht durchaus interessiert, mit der entsprechenden Realität beschäftigt ist – ein solcher Mensch definiert seinen Gestaltungswillen in der nationalen und internationalen Gemeinschaft anhand von Gemengelagen, wie sie die Gegenwart mit sich bringt – ich frage mich und muss und soll mich fragen, was ich auf Grund meiner heutigen Lebenssituation dazu beitragen kann, dass die Welt besser wird – oder auch nicht. Was vor siebzig Jahren war, muss ich mir nicht vorhalten lassen – es ist nicht angebracht.

Die aktuelle deutsche Geschichte bietet dazu – gerade international – keinerlei Anlass.

Noch immer leistet Deutschland erhebliche Reparationszahlungen für die Verbrechen der Nazi-Schergen des zweiten Weltkriegs – und je länger je mehr werden sich Fragen nach Sinn und Unsinn häufen. Genau so verhält es sich mit der Militärpräsenz der USA in Deutschland – sie scheint wenig mit dem souveränen Willen Deutschlands zu tun haben – wofür die NSA-Episode ein weiteres entlarvendes Indiz liefert.

Die deutsche Politik aller einigermassen akzeptierten Couleurs hat sich mit der Gewichtung geschichtlicher Fakten arrangiert – aber irgendwo im Untergrund mag bei manchem eine gewisse Unzufriedenheit schwelen – während die heute erwachsen werdende Generation womöglich davon keinerlei Ahnung mehr hat. Ein Teil der Geschichte Deutschlands bewegt sich in einem Neutrum, einer Art Vakuum, einer Luftblase gleich, aus der die Luft nur ganz langsam weicht.

Wenn aber über die Menschenrechte debattiert wird, um zum Anfang zurück zu kommen, dann ist unsere Glaubwürdigkeit heute gefragt, dann geht es darum, wie weit wir uns als Hüter für Rechte aufschwingen können, wenn wir selbst wirtschaftliche Interessen höher gewichten. Und es sind jene Spiegel zu entstauben, die uns vorführen, wie wir es gegenüber Ländern wie Saudi-Arabien mit dem Betonen der Menschenrechte halten, wenn „wir“ uns eben wegen wirtschaftlicher oder Sicherheits-Interessen mit solchen Staaten einlassen. Derweil betreibt gerade Saudi-Arabien die Islamisierung der Welt weiter, indem es weltweit Koranschulen finanziert, an denen alles andere als ein weltoffener Islam gelehrt wird.

Aber wie gegenüber diesen Staaten argumentieren? Was von Verhandlungspartnern verlangen in Fragen der Menschenrechte? Es wird doch kein Fortschritt in diesen Fragen je ein nachhaltiger sein, der einem Lippenbekenntnis gleich kommt, um wirtschaftlich von einer Verbindung profitieren zu können? Es braucht vor allem das Beispiel – die gelebte Erfahrung, dass die Einhaltung oder eben eine Verbesserung der Menschenrechte auch eine innenpolitischen Legitimation bedeuten kann, dass solche Werte Innovationskraft fördern, Identität schaffen können: Je mehr geistige Freiheit ein Land fördert, um so mehr Entwicklungspotential und Diversifikation in wirtschaftlichen Tätigkeiten wird es erreichen.

Und mit der eigenen Reflexion über die positiven Auswirkungen gewährter und geschützter Menschenrechte mag dann auch der Gedanke wieder lebendig werden, dass wir dafür zu allererst auch heute im Innern viel zu leisten haben, ganz unabhängig von unserer Geschichte. Denn so weit her ist es nicht mit den höheren Disziplinen der Menschenrechte, mit der Meinungsfreiheit, dem Datenschutz. Stattdessen gibt es einen hohen Tribut, den wir ungefragt an die vermeintliche Sicherheit leisten.

Welches Bild hat denn unsere Regierung von „dem Bürger“? Vor allen anderen Fragen interessiert mich nach wie vor, wie meine jeweilige Regierung eigentlich mich als Bürger sieht? Und zwar heute und jetzt. Nicht als Abbitte leistendes Staatsgebilde für eine Zeit, die ich nicht erlebt habe – sondern als Vertragspartner und Vertreter meiner Werte und meiner Bedürfnisse als Individuum dieses Staates in meiner heutigen Zeit.

 

 

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