Ressort: Reloaded(Weitere Infos)

03.April 2015, 22:51

Lauft, Gedanken, lauft!

[myblog-Text vom 24. Oktober 2004 04h39] In diesem Text kommt KEIN streunender Köter vor… Es gab mal eine Zeit, da war mir Joggen wirklich eine Lust, mit fast meditativem Ausdruck. Das macht der Text, glaube ich, deutlich.

Ich gehe aus dem Haus.

Ich überquere die Strasse, vorbei am Bushäuschen mit wartenden Menschen ohne Gesichtern, an deren Armen schwere Aktentaschen hängen.

Erst auf der leicht abfallenden Quartierstrasse beginne ich zu traben. Die dünne Laufhose wärmt meine Waden, die neuen Schuhe scheinen gut zu meinen Füssen zu passen.

Erst jetzt setze ich mir die Ziele für den heutigen Lauf.
Locker laufen. Schwerelosigkeit suchen.
Nicht die Runde, die ich kenne.
Keine Zeitvergleiche.
Blick ins Innere und voraus:
Neue Bilder, neue Wege.

Ich konzentriere mich auf meinen Schritt.
Nicht zu schnell angehen.
Die jungen Mieter im alternativ anmutenden Garten haben Gäste.
Laute Heavy Metal – Klänge wappen über die Strasse.
Wenns die Nachbarn nicht stört, wie soll es mich dann stören?
Die gesellige Gemütlichkeit der jungen Menschen bringt mich vorwärts.
Mein Schritt ist locker.
Auf dem Fussballplatz staksen dünne Kinderbeine in dreckbehafteten Stollenschuhen zum Pausentee.
Blick voraus.
Ein Liebespaar vor mir. Mein Blick ruht auf ihren Jeans, die sich über ihrem knackigen Hintern spannen. Ihre Pumps sind unpassend für einen Spaziergang, aber sie vermag sich darin so zu bewegen, dass ich ihr für ihre Schuhwahl dankbar bin. Als ich sie überhole, gibt sie ihrem Partner einen übermütigen Klaps auf den Po. Ein fröhlicher Gruss der beiden muntert mich weiter auf.
Die Wollschweine pflügen den Acker immer noch um, die Rinderherde weidet wie gestern für die Ewigkeit. Dann kommen mir meine Nachbarn entgegen. Nun ist es meine Stimme, die glockenhell grüsst, als Antwort auf das starr nach unten klappende Kinn der beiden: Ausdruck sprachloser Unpersönlichkeit, die unser Verhältnis gar nie eine Beziehung werden lässt. Seit Jahren nicht.
Ich denke an die zwanzig Zigaretten, die er pro Tag raucht, und an ihr Übergewicht, und fühle mich gut.
Und laufe zu schnell.
Leichtes Stechen in der Seite.
So frühe Anzeichen einer Krise musst du sofort ernst nehmen, sonst ist die Reise jäh zu Ende.
Ich drossle das Tempo. Die nahe Hauptstrasse fordert es eh. Meine Füsse tragen mich erneut auf freies Feld. Ich geniesse die Wärme. Joggen in kurzen Ärmeln Ende Oktober.
Die Strasse fällt leicht ab. Das Stechen schwindet. Jetzt Kies unter meinen Füssen. Herrchen und Frauchen überall. Heute haben alle ihre Hunde unter Kontrolle oder an der Leine. Und ich laufe gerne ohne Unterbruch. Meine Schritte werden länger, aber nicht schneller. Ich möchte nun nicht anhalten. Das ist mein Tempo, scheinbar ohne zeitliches Limit, schwerelos. Geniesse es, solange es anhält!
Endlich im Wald.
Feldwege statt Teer unter den Füssen. Der Weg bereitet mir einen Teppich, auf dem ich geniesserisch laufe. Ich atme den Duft frisch gefallener Blätter ein, berausche mich am gelben Blätterwald – der Herbst kündigt seinen schönsten Tage an.
Feuchte Lebendigkeit unter meinen Sohlen – frischer Humus wird geboren.
Schmierig die Kurve, die Kreuzung. Noch nie da gewesen. Aufwärts oder abwärts?
Ich entscheide mich für den Aufstieg. Er ist giftiger als ich dachte. Die Strasse ist fest. Meine Sohlen finden guten Halt. Oben belohnt mich der Weg mit einer langen ebenen Strecke. Die etwas müde werdenden Beine nehmen einen lockeren Rhythmus auf. Ich bestimme die nächste Kreuzung zu meiner Wendemarke und staune auf dem Rückweg einmal mehr über die aus anderer Richtung so verschiedene Wahrnehmung des doch gleichen Weges.

Das neue Wohnquartier am Hang. Ich trabe an in müden Trippelschritten gegen die geteerte Steigung. Sie ist kurz, aber sie macht keine Freude. Gut, darf ich nach rechts abzweigen. Dicht geschütteter Kies macht den Schritt leichter.
Freundliche Menschen überall. Bis auf die Nachbarn eben. Aber vielleicht können es diese Menschen mir auch nicht recht machen. Sie haben den grossen Nachteil, dass ich sie kenne. Schlechte Voraussetzungen, um vor dem flüchtigen Blick eines keuchenden Joggers zu bestehen…

Ich überquere die Strasse. Teer unter den Füssen für den letzten Kilometer. Den kenne ich gut, und ich hasse ihn oft. Heute werde ich ihn fressen, ohne mich in anziehendes Tempo zu versteigern.
Komm, gib dem Weg recht. Passe deinen Schritt an. Teile deine Kraft ein. Geniesse das Tempo, das möglich ist. Dein Körper kann genug leisten. Mute ihm nicht noch mehr zu. Sei zufrieden und dankbar. Du bist schon lange nicht mehr so locker unterwegs gewesen.
Eine ganz andere Befriedigung, als wenn die Uhr und ein Zeitvergleich dafür nötig ist.
Ich vergleiche stattdessen Gefühle, Befindlichkeiten. Wie GEFÄLLT mir der Lauf, mein Gefühl dabei?

Schon bin ich angekommen. Daheim. Mehr als auch schon. Dafür haben 45 Minuten ausgereicht.
Ich bin schweissnass. Aber nicht erschöpft. Ich spüre meinen Körper. Er ist mein Freund und kein Gegner, der überwunden werden muss.

Thinkabout

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