Ressort: Lebenskunst(Weitere Infos)

22.März 2017, 18:00

Vom Siegen und Scheitern. Vom Leben

Roger Federer – ich kann kaum etwas über ihn sagen, was nicht andere schon geschrieben hätten. Dieser aussergewöhnliche Sportler scheint keine Limiten zu kennen und erfindet sich und sein Spiel dabei gewissermassen immer nochmals neu – er verschiebt Grenzen dank seines Talents und der Demut, dafür auch Dankbarkeit zu empfinden und das Talent zu nutzen. Doch in seinem Schatten verbringen andere mindestens so Erstaunliches.

Federer hat ein einmaliges Palmares und er hält in seinem Sport dutzende von Rekorden. Und nicht wenige davon werden wohl nie gebrochen werden. Aber selbst aus seiner Karriere lässt sich eine Geschichte mit sehr bitteren Niederlagen erzählen. Wenn er nun jenseits der 35 nochmals dazu ansetzt, der aktuell Beste zu sein, so ist dieser Umstand genau deswegen so bemerkenswert, weil ein Champ, der rein gar nichts mehr zu beweisen hätte, nochmals jeden Zweifel überwunden und dafür wohl auch sehr besonnen und mit unbändiger Energie trainiert hat. Aber so, wie man Federer nie abnehmen will, dass er auch ein Arbeiter ist, weil er einfach so wahnsinnig viel Talent hat, so ist man geneigt, anderen den letzten grossen Schritt nie zuzutrauen, in ihnen immer nur den Arbeiter zu sehen.

Ein solch arbeitender Konkurrent ist Stan Wawrinka. Es wird nie möglich sein, aus Federers Schatten zu treten, wenn man in der kleinen Schweiz gleichzeitig mit dem Strahlemann seine Karriere erlebt. Aber die eigenen Schatten hat Wawrinka in einer Weise überwunden, die seine Leistungen genau so bemerkenswert machen. Sein Spiel war nie so leicht, aber das Schlagrepertoire mindestens ähnlich komplett. Doch Tennisspiele werden zwischen den Ohren entschieden – und das schien Stan’s Problem zu bleiben. Einfach nicht robust genug, der Junge.

Mittlerweile ist Stan Wawrinka der einzige Spieler in der Ära der Big Four Federer, Nadal, Djokovic und Murray, der neben diesen Vieren mehr als ein einziges Grand Slam Turnier gewinnen konnte. Er hat in der zweiten Hälfte seiner Karriere den mentalen Schritt geschafft, um sein Spiel wirklich auf den Platz zu bringen – und wir alle wissen, wie schwer es ist, den Glauben an sich zu entwickeln – Wawrinka ist das auch noch unter den Augen der Sportwelt gelungen, entgegen aller Prognosen und gegen alle eigenen Zweifel. Er stand dreimal in einem Grand-Slam-Final, jedesmal gegen die aktuelle Nr. 1 der Welt, auf drei verschiedenen Belägen – und er hat alle drei Finals gewonnen. Für mich ist Stan absolut faszinierend, weil ihm ganz offensichtlich nichts in den Schoss fällt. Nichts ist richtig leicht, für alles muss die Überzeugung erst immer wieder gefunden werden oder zumindest verteidigt.

Über den auf seinen Unterarm tätowierten Leitspruch seines Lebens ist viel geschrieben worden. Aber tatsächlich kann dieses Leitmotiv uns Allen eine tägliche Stütze sein:

„Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail better.“
Samuel Beckett

Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es erneut. Scheitere besser.

Dass nach dem Spiel vor dem Spiel ist, mag einen Fünfliber fürs Phrasenschwein wert sein, aber es ist wahr: Wir haben unser Leben nie gelebt, die Herausforderungen ergeben sich immer wieder neu. Und Erfolg ist niemandem immer treu. Unser Leben ist ein Umgang mit dem Scheitern (und ein Umgang mit Erfolg auch, denn der steht oft am Anfang des nächsten Scheiterns). Die Sätze von Beckett – Wawrinka hat sie richtig berühmt gemacht. Und er personifiziert deren Bedeutung. Wawrinka weiss um das Scheitern und was es ihn lehrt. Er traut womöglich auch dem Sieg weniger als der Niederlage. Und es ist sehr viel leichter zu leben, wenn man mit Niederlagen umgehen kann, als wenn man den nächsten Sieg braucht, um glücklich bleiben oder werden zu können. Becketts Sätze mögen nicht so positiv klingen, aber sie sind das, was wir vom Leben erwarten dürfen:

Aufgaben gestellt zu bekommen, an denen wir scheitern dürfen. Daraus lernen wir und versuchen es in der Folge besser. Was dabei heraus kommt – nur der Hochmütige glaubt, hinter seinem Sieg stecke nur seine harte Arbeit.

Tennis ist deshalb ein so faszinierender Sport, weil die mentale Herausforderung so gut sichtbar ist – und weil eben nicht nur der Sieger eines Turniers eine Inspiration sein kann – sondern auch der zweite Sieger, der scheinbar ein Verlierer ist. Und ganz am Ende werden wir alle unser Dasein daran messen, wie gut wir damit umgehen können, das Leben zu verlieren und Abschied zu nehmen von jedem weiteren Versuchen.

 

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