Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

05.Januar 2015, 22:03

Die mordende Mutter treibt die Gesellschaft um

Foto: istockphoto.com/PETER_LSW

Foto: istockphoto.com/PETER_LSW

Eine Mutter bringt ihre Kinder um. Der (un-)menschliche Wahnsinn macht fassungslos. Und führt dazu, dass der Vorgang medial entsprechend heftig diskutiert wird. Mit Schuldzuweisungen, die mehr über uns als über allfällige Schuldige aussagen.

Zuerst die grobe Faktenlage, schlicht nacherzählt, denn es geht nur um den Vorgang als auslösendes Element:

Ein Ehepaar sitzt wegen Vermögensdelikten in Untersuchungshaft. Deren Kinder kommen in ein Heim. Als die Mutter aus der Untersuchungshaft entlassen wird, dürfen die Kinder über die Feiertage zwei Wochen zu ihr, sollen dann aber wieder ins Heim, so lange nicht klar ist, ob die Eltern nicht beide hinter Gitter kommen. Am letzten Tag, bevor die Kinder wieder ins Heim sollen, werden sie von der Mutter umgebracht.

Eine Mutter, die ihre eigenen Kinder umbringt – es ist und bleibt eine Wahnsinnstat, für die wir immer wieder Erklärungen suchen. Neben der augenscheinlichen Überforderung der Person kommt dabei aber fast immer herzlich wenig raus – ausser Reflexen, die mehr über uns aussagen, als dass sie irgend eine Lehre zur Folge hätten, die wir daraus ziehen könnten.

Wenn im hier geschilderten Fall ein Teil der Empörten nun auf die KESB (Kinder- und Erwachsenen-Schutz-Behörde) logehen und argumentieren, dass die Behörde die Kinder der mordenden Mutter hätte überlassen sollen, dann ist das doch geradezu absurd. Denn genau diese Mutter hat in einer Stressreaktion die Kinder umgebracht. Nicht auszumalen, in welcher Atmosphäre die Kinder in diesem Haus gelebt hätten, und nicht vorstellbar, wie diese Mutter sich angesichts des drohenden Prozesses später verhalten hätte…

Wir verfügen einfach nicht über die Klarsicht, dass Wahnsinn immer möglich ist, und wir brauchen für diesen Wahnsinn Schuldige. Aber es werden immer Menschen austicken, es wird immer Fehlverhalten geben, und die Bereitschaft, mit der Politik und Medien, mit der Wir auf Menschen und Behörden einschlagen, wenn wir solche Dinge hören – oft lange bevor auch nur einige der Fakten gesichert sind, berührt mich peinlich.

Die Kinder wurden nicht geschützt? Die Krisensituation wurde nicht vorausgesehen? Mit welchem Personal hätte das geschehen können? Was war wirklich zu erkennen?

Es liegt schon eine ziemliche Unverfrorenheit darin, bei jeder Sparrunde bei dein Sozialeinrichtungen zu sparen, diese immer effizienter machen zu wollen und damit auch schmaler, und dann auf die verbliebenen Protagonisten einzudreschen, wenn so etwas geschieht. Im Kanton Zürich ist eine KESB für einen ganzen Bezirk zuständig, und wenn man die Unfähigkeit des Personals beklagt, das es da teilweise gewiss gibt, dann muss man auch mal fragen, wie viel das womöglich damit zu tun hat, dass man sehr viel Kompetenz eben mit sehr wenig Geld nicht einkaufen kann.

Das gesichert beste System gibt es nicht – ich denke da an die Zeiten zurück, als praktisch jede Gemeinde ihre eigene Vormundschaftsbehörde hatte, und ich weiss von einem Vormund, der trotz mehrerer Mündel sein halbes Leben im Ausland verbracht hat – wie er von da aus seine Aufgaben wahrnehmen sollte, ist mir schleierhaft. Nun hört man vermehrt von Fehlleistungen der regionalen Stellen – aber ich wiederhole: Mit der entsprechenden Kritik prügeln wir auch auf unsere Neigung ein, immer dort zu sparen, wo die Anliegen keine Lobby haben.

8 Gedanken zu „Die mordende Mutter treibt die Gesellschaft um

  1. Relax-Senf

    Muss eine Zeit-Hürde überwinden, um überhaupt Worte zu hinterlassen, auch weil die Thematik sehr komplex ist. Komplex, weil die Behörde rasch in die Kritik kommen kann, wie z. B. die andere Option die es gab, die Kinder über Weihnachten im Heim zu lassen. Morddrohungen gegen die Kesb gehen gar nicht, aber nachdem ich innert weniger Wochen mehrere Berichte gelesen habe, die durchaus einen Kesb-Shitstorm rechtfertigen, ist es so ein richtiges Reizthema für Relax.

    Deinen Gedanken lieber Thinkabout, so wie sich sie lese und verstehe, mag ich mich nicht anschliessen. Wie war das noch in den Sechzigern, als die Behörden Minderjährige und Eltern zu Abtreibungen gezwungen haben, zum Wohl……………. von wem?????????????? der Gesellschaft, den Behörden, der Bürokratie, ja wohl in dieser Reihenfolge und NICHT zum Wohl der Kinder und Jugendlichen.

    Sorry Thinkabout, Kinder sind immer dort zuerst bestens aufgehoben, wo ihre Eltern oder ein Elternteil ist und alle Eltern werden nicht verstehen, wie schnell Du vorsorglich Kinder ins Heim stecken willst, weil die Eltern etwas angestellt haben. In diesem Fall der schwammige Begriff „Vermögensdelikte“. Selbst wenn die Mutter dafür verurteilt wird, kann es noch Monate und Jahre dauern, bis dies feststeht und in dieser Zeit können die Kinder bei der Mutter bleiben. Davon abgesehen, verstehe ich aber gar NICHT – soweit die bekannten Infos ein Urteil zulassen – dass die Kinder nicht in die Obhut der Grosseltern übergeben werden konnten.

    Wenn jede Straftat eines Elternteils ausreicht***, um die Kinder den Eltern wegzunehmen, dann kann sich die Bauindustrie auf goldene Zeiten freuen, denn auf Jahrzehnte hinaus werden wir Heime bauen müssen. Personal braucht es dort auch, welches wir nicht haben, aber es gibt ja Leute die für eine Luftbrücke zwischen Afrika und Europa plädieren, damit alle die wollen ohne Mühe hierher kommen können.

    Diesen Zustrom betreut dann die Kesb zusätzlich und gleichzeitig mutiert dann die Kesb zum Arbeitgeber der eingesammelten Armen. Die Behörde wächst und wird mächtig und wenn dann irgendwann Gegensteuer gegebene werden soll, angestossen durch die Steuerzahler, rauscht es durch den Blätterwald dass dies nicht geht, weil ja so verdammt viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

    *** Natürlich gibt es Situationen, wo die Kinder unverzüglich fremdplatziert werden müssen. Es sterben Kinder, nicht wenige, durch fortwährende Gewalteinwirkung durch die Eltern. Drogen und Sexdelikte (Missbrauch, Zwang zur Prostitution, Pädophilie Aktivitäten) etc. sind einige weitere und nicht abschliessende Beispiele, wo der Staat eingreifen muss.

    Wie sieht es aber bei den Zigtausenden aus, die Ladendiebstahl betreiben. Die Kinder werden wohl auch früher oder später klauen. Sollen sie also ins Heim gesteckt werden?

    Und wie sieht es mit dem zersetzenden Gedankengut aus, das Eltern bei Tisch weitergeben, wenn Pegiad-Gedankengut gepriesen wird! Qualifizieren sich alle die Kinder in solchen Umgebungen, für die bessere Umgebung einer Heimbetreuung?

    Antworten
    1. Thinkabout Beitragsautor

      Lieber Relax-Senf

      Ja, das Thema rührt uns an. Und die Vergangenheit bietet manch böses Beispiel. Aber wir sind doch weit davon entfernt, uns heute Behörden zu leisten, die das Kindeswohl systematisch ausser Acht lassen. Gesellschaftskonform ist das in keiner Weise, und eine KESB-Organisation, die oft eine Amststelle pro Bezirk kennt, ist weit davon entfernt, die Macht zu entfalten, die Du skizzierst. Es scheint mir eher angezeigt, eine schlichte Unterversorgung der behördlichen Mittel zu vermuten, aus Gründen wie im Text skizziert.

      Das Wichtigste aber ist mir im Moment dies: Wir wissen noch viel zu wenig über die Faktenlage, um in der Weise zu urteilen, wie Du es tust, und wie es ein Teil der öffentlichen Meinung auf Grund von so marginalem Wissen getan hat. Wir haben hier schlicht die unbefriedigende Situation, dass die eine Seite mutmasst und die Behörde, will sie sich korrekt verhalten, dagegen gar nicht antreten kann – weil sie keine Internas verraten soll oder gar darf. Sie muss es einfach aushalten. Shitstorms sind da in jedem Fall unverhältnismässig und immer das Ergebnis sehr selbstgerechter Anwürfe. Sie erzeugen nur enorm viel negative Energie und führen ganz bestimmt nicht dazu, dass die Angegriffenen bereitwilliger in die Selbstreflexion gehen.

      Heute ist zum Beispiel durchgesickert, dass die Eltern praktisch jährlich umgezogen sind – aus was für Gründen auch immer. Ganz sicher aber ist das nicht unbedingt ein Indiz dafür, dass Kinder von zuhause aus ein festes Beziehungsnetz nach draussen aufbauen können – wenn die Meldung stimmt. Und dass eine KESB in dieser Weise aktiv wird, bedingt wohl auch mehrere Gefährdungsmeldungen zum Schutz der Kinder, womöglich gar von verschiedenen Absendern.

      Zudem war der Entscheid in keinem Fall rechtskräftig – die Verfahren sehen Rekurs- und weitere Beurteilungsmöglichkeiten vor und vielleicht wäre das einfach auszuhalten geween. Warum die Grosseltern nicht berücksichtigt wurden, vermag ich nicht zu sagen, aber auch für eine solche Platzierung müssen verschiedenste Kriterien erfüllt sein. Man mag das Bürokratie schimpfen – aber die Grundlagen können in manchen Fällen auch Sicherheit schenken.

      Darum noch einmal: Wir wissen viel zu wenig, um Fehlverahlten auszuschliessen oder es anzunehmen. Presse und News-Konsumenten prügeln einfach schon mal drauflos. Auch das wird immer so sein. In Zeiten von Facebook und – eben – diesen vermaledeiten Shitstorms erst recht.

      Antworten
  2. Thinkabout Beitragsautor

    Ich mag hier noch wohltuend Sachliches aus der Presse zitieren:

    „den Tod der Kinder der Kesb anzulasten, ist billig und unfair.

    Unfair, weil die Kesb nach allem, was dem TA bisher bekannt ist, ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzte. Unfair, weil die Kesb keine Details zum Fall bekannt geben darf und falsche Darstellungen unwidersprochen stehen lassen muss. Unfair aber auch, weil dabei vergessen geht, dass die Kesb Tausende von Fällen betreut, von denen die meisten ohne grosse Probleme verlaufen.“

    Tages-Anzeiger, 5.1.2015, 22h41: „Die Mutter hat getötet, nicht die Behörde – Liliane Minor

    Besser kann man die Situation nicht darstellen. Finde ich.
    Der gesamte Artikel (oben verlinkt) ist sehr lesenswert.

    Antworten
  3. Relax-Senf

    Hatte den TA-Artikel bereits gelesen bevor ich meinen Kommentar geschrieben habe. Der Artikel ist gut, stimme ohne Abstriche zu und klar ist das Verhalten der Mutter unverständlich.
    Bleibe aber bei der Ansicht, dass ein mögliches „Vermögensdelikt“ keine Gefährdung für das Wohl von Kleinkindern darstellt. Jede Behörde, genau wie jede neue geschaffene Stelle in der Privatindustrie, arbeitet immer an der Daseinsberechtigung und bevor Kinder der Familie entrissen werden braucht es für mich einen überzeugenden „Roten-Faden-Prüfungsvorgang“ und den vermag ich im Moment nicht erkennen (noch nicht!).

    Man muss nicht Psychologie studiert zu haben um mit Lebenserfahrung erkennen zu können, dass der Vater im Gefängnis und die Kinder im Behördenheim entsorgt, eine sehr gefährliche emotionale Konstellation entstehen lassen, bei der z. B. – MUTMASSUNG – wenn sie es nicht zugeben, werden sie ihre Kinder nie mehr sehen. ,

    Antworten
    1. Thinkabout Beitragsautor

      Lieber Relax-Senf
      Wie gesagt, Faktenlage ist noch nicht gesichert. Aber es scheint so, dass die Gefährdungsmeldungen, zum Beispiel, nichts mit den Vermögensdelikten der Eltern zu tun haben – und der ganze Prozess der Fremdplatzierung schon unabhängig von der Haft der Eltern eingeleitet worden war.
      Wir können nur wiederholen: Wir mutmassen.

      Antworten
  4. Relax-Senf

    Alles richtig was Du schreibst Thinkabout, aber für mich, wenn ich die Medienberichte lese, hat die Kesb Dienst nach Vorschrift gemacht und z. B. der Anwältin – wegen den Feiertagen – keine Akteneinsicht mehr gewährt als es um die Aufhebung der Heimeinweisung ging und das ganze gehandhabt, wie einen Einspruch gegen eine Parkbusse, die man selbstverständlich im neuen Jahr behandeln kann.

    Dass die Telefone der Kesb über die Feiertage abgeschaltet sind, das ist doch vergleichbar mit der Flugzeugentführung in die Schweiz (vor x Monaten!) bei der sich dann herausgestellt hat, dass die Schweizer Flugbereitschaft (war da nicht was betreffend Kontrolle, Absicherung, Abwehr/Überwachung gegen nicht autorisiertes Eindringen in den Schweizer Luftraum) nur an Werktagen Dienst macht.

    Dass die Mutter etwas Unfassbares gemacht hat, indem sie ihre Kinder umbrachte ist das Fazit, dieser schrecklichen Geschichte, aber wie immer wenn es um Schuld geht, ist Ursache und Wirkung zu prüfen.

    Unter dieser wichtigen juristischen Facette ist die Kesb für mich noch nicht aus dem Schneider.

    Antworten
    1. Thinkabout Beitragsautor

      Sie ist nicht aus dem Schneider, nein. Aber sie verdient ihrerseits Zurückhaltung. Für mich ist auf jeden Fall klar: So, wie hier wieder mal auf Behördenmitglieder eingedroschen wird, muss sich niemand wundern, dass keiner, der auch nur ein wenig die Wahl hat, einen Job an diesem Ort erstrebenswert finden dürfte.

      Antworten
  5. Relax-Senf

    @Thinkabout: Die Leserbriefe im Print-Tagi gestern sind mehrheitlich mehr auf Deiner Sichtlinie. Lese ich jedoch auf TA-Seite 13 den Bericht, ist, nach meiner Interpretation, eine typische Machtdemonstration der einen Behörde (Kesb) gegenüber einer anderen Amtsstelle (Heimleitung) erkennbar!!!!!! wie das anscheinend immer wieder passiert u n d auch unter dem abgeschafften System der Vormundschaftsbehörde passiert ist und zu Reibereien zwischen Behörden geführt hat.
    Während noch nicht alles bekannt und belegt ist, scheint klar zu sein dass die Heimleitung die definitive Rückkehr der Kinder „angetönt!? zugesagt!? in Aussicht gestellt!? versprochen!?“ hat.
    Die Kesb hat dann „die Herr-im-Haus-Politik“ ergriffen, dass sie das zu entscheiden hat und der Entscheid im Januar gefällt würde. Das war pure Machtpolitik und hat aber gar nichts mit den Interessen vom K i n d zu tun.

    Lese ich die Aussagen von Ruedi Winet, Präsident der Zürcher Kesb-Vereinigung, dann ist es für mich das typische Politiker-Geschwafel, wenn wortreich – aber ohne konkreten Inhalt – informiert wird und die Fehler überall liegen, nur nicht bei den zuständigen/betroffenen Politikern/Amtsstellen.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Thinkabout Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert