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08.Januar 2015, 21:55

Wieder mal sind wir an einem Scheitelpunkt

Illustration: istockphoto.com/koun

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Der Westen ist wieder mal an diesem Punkt angelangt: Der Staat wird durch eine monströse, bestialische Tat, die ohne jede Achtung vor dem menschlichen Leben Existenzen auslöscht, herausgefordert. Und wieder liegt in der politischen Reaktion der Schlüssel, der auf die Bevölkerung einwirken und von ihr getragen werden kann.

Nine Eleven – 2001 verspricht George W. Bush auf dem Schutthügel der Twin Towers in New York Vergeltung – und in der Folge legitimierte die Regierung die Folter, überdeckte die eigenen Bürger mit Überwachung und „fand“ Gründe, desaströse Kriege zu führen. Alle diese Massnahmen haben uns wenig bis nichts gebracht, ausser der Erkenntnis, dass wir alle an Unschuld eher verloren haben, als irgendwas gewonnen.

Und dann war da dieser Irre Anders Brejvik in Norwegen, der auf einer kleinen Insel fast hundert Menschen niedermetzelte, besessen von einer wirren rechtsradikalen fremdenfeindlichen Botschaft – inmitten eines gefährlichen politischen Umfelds mit stark wachsender Fremdenfeindlichkeit in der nationalen Politik. Die Antwort von Jens Stoltenberg, damals Ministerpräsident in Norwegen, war aber diese hier:

Unsere Antwort wird mehr Offenheit und Demokratie sein.

Auch er wählte die Attacke – aber er sah die Gefahr nicht in der Bedrohung einzelner Leben, sondern im Verlust der politischen und gesellschaftlichen Kultur und damit in der Qualität des Zusammenlebens.

Im aktuellen Zeitgeist benutzt die Politik – zumindest die regierende – solche Attentate regelmässig dazu, mehr Überwachung der Bürger zu rechtfertigen. Und zwar im Grossen und Ganzen, und damit uns Alle betreffend.

Angst zu schüren ist dabei nicht nur für Rechtspopulisten von politischem Interesse.

François Hollande ist bisher gewiss kein starker Präsident Frankreichs gewesen, und ihm sitzt die rechtsnationale Marie Le Pen eh schon im Nacken. Es ist also gut möglich, dass er politischen Reflexen der kurzfristigen Machterhaltung folgt – oder aber er findet unter dem aktuellen Druck gerade erst recht zu jener Grösse, die uns daran erinnert:

Sicherheit und Freiheit sind nicht kongruent. Wenn wir Freiheit wollen, können wir versuchen, sie zu verteidigen. Wir müssen es gar tun. Aber staatliche Überwachung und Waffengewalt mögen punktuell zum Einsatz kommen – ihre Legitimation kann nie die Erhaltung der Freiheit sein. Diese muss sich ein Stück weit immer dem Angriff aussetzen. Sie ist immer bedroht. Das liegt in ihrem Wesen.

Sollte die Presse und jeder einzelne Schreiberling, auch von Blogs wie diesem, aus den Vorgängen bei Charlie Hebdo schliessen können, dass die Möglichkeit, seine Meinung frei sagen und veröffentlichen zu dürfen, ein wertvolles Gut ist, das ganz neu zu verteidigen ist, dann könnte daraus auch viel Gutes wachsen. Zwölf Menschen hätten auch dann einen viel zu hohen Preis gezahlt, aber ihr Tod fände in unserem Verhalten wenn auch keinen Sinn, so wenigstens den Nachsatz, dass er uns aufgerüttelt und dazu angestiftet hat, für genau das zu kämpfen, für das sie gestorben sind: Die freie Meinung und die offene Debatte. Die Demokratie schlechthin.

Es ist Zeit, dass sie gerade von den Medien in allen Formaten jetzt erst recht gelebt wird, diese Demokratie, in der die Freiheit der Debatte verteidigt wird.

 

 

 

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