Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

12.Januar 2015, 21:49

Mohammed – für westliche Satire ziemlich ungeeignet

Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo griff sofort so mancher Zeichner zum Stift und steuerte ganz solidarisch eigene Mohammed-Karikaturen bei. Dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, darf nicht bestritten werden. Wie mit ihr umzugehen sei, sollten wir aber auch in diesem Fall trotz aller Solidarität diskutieren. Denn für diese Freiheit tragen nicht nur Attentäter eine Verantwortung, sondern auch wir alle, wenn wir sie ausüben.

Die Frage soll also auch nicht sein, schon gar nicht dogmatisch, ob Mohammed- oder Papst-Karikaturen jeder Art erlaubt sein sollen oder nicht? Wir dürfen aber sehr wohl kritisch fragen, was denn ihr Zweck ist und was folglich damit erreicht wird?

Nicht jedes Satiremagazin hat sich in diesen Tagen gleich verhalten. Recht moderat und differenziert hat sich Marco Ratschiller, der Chefredaktor des Nebelspalters, zur Aufgabe der Satire geäussert – und dazu passen Aussagen aus seiner Stellungnahme vom 24./25. September 2012 zu Charlie Hebdo . Und die Sätze passen exakt zu diesen Tagen und unser aller Reflexionen über die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Satire im Speziellen:

Hier liegt das Kernproblem der Mohammed-Karikaturen: Sie sind für das eigene Publikum schlicht irrelevant und langweilig. […] Demgegenüber steht die islamische Glaubensgemeinschaft, die von einem Verständnis für derlei Satire so weit entfernt ist wie nur möglich – zumal das Abbildungsverbot für Gott und den Propheten nicht nur für satirische oder herabwürdigende, sondern bekanntlich für jede Art bildhafter Darstellung gilt. […]

Sie [die Magazinstrategie, Th.] gründet auf einer Spielart von Humorverständnis, welche primär das lustig findet, was andere beleidigt oder ärgert – und vor allem: weil es andere beleidigt oder ärgert.

Nach Ratschiller soll Satire

…. nicht fremde Wertesysteme, sondern eigene Denkschablonen ins Wanken bringt – mit Nadelstichen, die gekonnt so dosiert sind, dass man sich der Kritik nicht verschliesst, sondern gerne ausliefert.

Der Chefredaktor des Nebelspalters ist nicht der einzige Medienschaffende, der für die Bewahrung der Werte der Aufklärung den Umgang mit ihren Errungenschaften durch die Leitmedien ins Zentrum stellt.

Wie nutzen wir unsere Freiheit? Welche Grenzen setzen wir uns als Gesellschaft selbst, welche Provokation ist uns, muss allen erträglich sein, und wo führt eine solche nur zum Auseinanderdriften der Parteien?

Und vor allem: Was kommt nach der Satire? Worin geht sie auf? In einer Art Reflexion mit Debatten und Austausch, oder in einem grossen bitteren Schweigen innerer Kränkung – oder offener Gewalt?

Was geschehen ist, ist unfassbar und ist weder zu erklären noch zu entschuldigen. Doch so manche dieser Karikaturen vermag tatsächlich nichts anderes zu bewirken als Ratlosigkeit. Sie drückt nichts anderes aus als die Tatsache, dass wir uns fruchtbar fremd sind.

Das ist nun bestürzend offensichtlich geworden.

 

20 Gedanken zu „Mohammed – für westliche Satire ziemlich ungeeignet

  1. Patrick

    Die Frage nach dem Zweck ist für mich gefährlich nahe an „Hat Satire Grenzen“. Weil, wenn zumindest implizit mitschwingtt, dass Satire einen Zweck haben muss, der Satire damit automatisch Grenzen gesetzt werden. Was dann, um die Gedankenkette abzuschliessen, eben dazu führt dass Satire nicht mehr alles kann, in gewissen Gebieten eben nicht mehr proviziert/aneckt und so Tabuzonen geschaffen werden.

    Schlussendlich lenkt die Diskussion über Zweck und Grenzen von Satire aber nur vom eigentlich zentralen Punkt ab: Wollen wir eine Gesellschaft in welcher Menschen getötet werden nur weil sie mit ihren Äusserungen/Texten/Bildern die Gefühle von anderen verletzt haben? Denke dass Du da genauso deutlich Nein sagst wie ich.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Lieber Patrick
      Danke Dir für Deinen Kommentar – und willkommen!
      Ja, ich weiss, dass das eine schwierige Diskussion ist, auch, weil wir alle subjektiv einer Stilrichtung, einer Tätigkeit, einem Wirken ganz verschiedenartigen Sinn und Zweck zubilligen können – und dabei immer subjektiv sind.
      Dennoch finde ich, dass der Nebelspalter-Chef ein paar Dinge anspricht und dafür auch Worte findet, die durchaus weiter führen können.

      Ganz wichtig: Ich finde NICHT, dass Satire irgend welcher Art verboten sein sollte. Aber ich kann Satire rein gar nichts abgewinnen, die nur provoziert – und zwar Menschen, die dieser Art von Kritik schon längst nicht mehr zugänglich sind. Was wird damit erreicht? Was ist die eigentiche Motivation, es trotzdem zu tun?

      In Deutschland soll übrigens Beleidigung der Religion Straftatbestand sein.

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  2. Behan

    Leben die 16 Mio. Moslems in Europa (EU) in einem anderen Wertesystem als die restlichen 500 Mio. Einwohner? Und wessen Denkschablonen könnten und sollten wohl aufgebrochen werden, je nachdem ob diese Frage mit Ja, Nein oder teils-teils beantwortet würde?
    „Doch so manche dieser Karikaturen vermag tatsächlich nichts anderes zu bewirken als Ratlosigkeit.“ Oder sie stellt die Ratlosigkeit und Indifferenz angesichts von Zuständen und Ereignissen dar, die nichts mit unserem Wertesystem gemein haben.
    Ich stimme Wulff und Merkel ausnahmsweise mal zu: Der Islam gehört zu Deutschland (Europa). Und ist also einschließlich aller Protagonisten sehr wohl satiretauglich.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Hallo Behan,
      Danke für Deinen Kommentar!
      Wenn diese Art Karikaturen die Ratlosigkeit und fehlende Verbindung zwischen den Kulturen darstellen würde, dann würden sie sich genau im Sinne des Nebelspalters mit dem Teil des Themas beschäftigen, der uns alle angeht und bei dem es auch um unser eigenes Verhalten geht. Genau das ist ja aber nicht der Fall. Indem ich Mohammed beim Schwulenkuss zeige oder Jesu am Kreuz mit erigiertem Penis – in keinem Fall erreiche ich damit irgend etwas, was zu weniger Indifferenz in der Diskussion beiträgt.

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  3. Caro Nadler

    Ich erlaube mir Kurt Tucholsky zu zitieren. Seine Aussagen sind nicht der Wahrheit letzter Schluss, sein historisch-gesellschaftlicher Kontext sowie das Alter seiner Sprache sind zu berücksichtigen. Aber es sind Gedankenanstösse.

    – Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
    – Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.
    – Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
    – Was darf die Satire? Alles.

    Somit stellt sich mir die Frage: Cui bono? Welchen Missstand deckt eine Mohammed-Karrikatur auf, die den Propheten mit einem Gegenstand im Anus darstellt – und was soll die Gesellschaft daraus lernen?
    Satire hat für mich keine Grenzen. Aber sie muss einen Sinn haben, für die Gesellschaft relevant sein, um den Nebelspalter-Chefredakteur zu zitieren. Eigene Werteschablonen ins Wanken bringen – sich nicht lustig machen über andere Wertesysteme.

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  4. Relax-Senf

    „Die-Westliche-Gesellschaft“ betrachtet ihre Werteskala als das Mass jeglicher Ordnung und Orientierung, dem sich der wesentlich grössere Teil der Rest-Welt zu unterwerfen hat. Für mich als weisser Westeuropäer und Christ eine unglaublich arrogante Haltung.

    Die Welt wird mit dieser Haltung – wir-bestimmen-den-Kurs-und-den-Tarif – sicher nicht friedlicher.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      ja, wobei wir die Arroganz besitzen, dies vor allem „auswärts“ wertend zu verwenden, während wir im Innern drauf und dran sind, uns gerade einen Teil dieser Werte stehlen zu lassen – auch, weil wir im Grunde gar nicht sensiblisiert genug sind, für diese Errungenschaften auch einzustehen.

      Ich habe heute die Philosophin Piper im Mittagsgespräch bei Radio DRS1 verfolgt: Dass man überhaupt betonen muss, dass gelebte Freiheit eine Grenze kennen muss, auch eine freiwillig gesetzte, ist bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft.

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  5. Behan

    Na ja, einige Menschen im Westen nehmen Werte für sich in Anspruch, die sie anderen im Rest der Welt nicht zugestehen wollen. Russland hätte schon mit Sanktionen belegt werden müssen, als Putin Tschetschenien platt gemacht hat, China kann in Hongkong die um politische Teilhabe kämpfenden Bürger niederknüppeln und niemanden interessierts. Homosexuelle werden in weiten Teilen der islamischen Welt (nicht nur da) von Staats wegen hingerichtet, Mädchen werden in Afghanistan und Pakistan umgebracht, weil sie zur Schule gehen usw. usf. Aber was solls, die Leben halt in Gesellschaften mit einer anderen Werteskala, die wollen wir ja nicht unseren Werten unterwerfen.

    Dass diese Werte keine „westlichen“ sind, sondern universelle, die jeder Mensch für sich in Anspruch nehmen können sollte und viele auch wollen, wird vor lauter Kulturrelativismus und Selbstanklage gern übersehen.

    Lieber Thinkabout, gerade vor Kurzem waren doch erst Millionen Franzosen sensibilisiert genug, für ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und Satire auf die Straße zu gehen. Ich finde es dagegen ziemlich unsensibel, noch bevor die Toten beerdigt sind, darüber zu sinnieren, wie weit denn Satire gehen darf. Das hat so ein Geschmäckle von „die sind doch selber schuld“. Der Gipfel der Heuchelei sind dann Aussagen von islamischer Seite, in denen die Terroranschläge verurteilt werden (natürlich werden sie das, wir sind ja alles zivilisierte Menschen), das Schlimmste aber darin gesehen wird, dass die bösen Journalisten die Tat durch ihr Verhalten ja provoziert hätten und so den armen Glaubensbrüdern den Weg ins Paradies versperrt hätten.

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    1. susanna14

      Behan, ich würde gern „faven“ oder „liken“, aber das geht hier nicht, also kann ich nur kommentieren: Vielen Dank für deinen Kommentar. Es geht um universelle, nicht um westliche Werte. Wer diese Werte zu „westlichen Werten“ oder zu „unserer Kultur“ erklärt, zeigt nur, dass er sie nicht verstanden hat.

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      1. Thinkabout Beitragsautor

        Hallo Susanna14

        Willkommen! Auch ich schätze die Einwände von Behan. Sie zwingen zu Präzsisierungen, die mir dann auch wichtig sind.

        Ich fühle mich selbst mit der Zuordnung „westlich“ im Zusammenhang mit Grundrechten nicht wohl, und brauche die Zuordnung eher, wenn ich uns hier im Widerspruch mit Mitbürgern in der Gewichtung dieser Werte sehe, wenn wir ihre Bedeutung für uns und dann für Gläubige verschiedener Religionen vergleichen.

        Viele der Grundwerte, die Dir und mir wichtig sind, können wir für uns seit der Aufklärung reklamieren. Nun sind sie da zwar nicht erfunden worden, aber Tatsache ist, dass sie sich in Westeuropa politisch haben durchsetzen und festschreiben lassen wie kaum wo sonst auf der Welt. Dass wir für diese Werte uns je nach eigener Interessenlage sehr unterschiedlich für andere stark machen, hat Behan sehr schön gezeigt. In der Quintessenz sollten wir uns also zumindest darüber Gedanken machen, wie wir denn hier im Westen mit der Betonung der Freiheitsrechte für Alle uns gegenüber jenen Strömungen positionieren, die Verhaltensmuster ihrer Religion über diese Rechte stellen wollen. Frag einmal emanzipierte Frauen islamischer Herkunft, welche Haltung sie sich von uns wünschen würden, um ihren Weg weiter gehen und diesen Weg für mehr Frauen möglich zu machen. Hier im Westen – gerne mit dem Anspruch, dass die Werte universelle sind.

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    2. Thinkabout Beitragsautor

      Hallo Behan,
      Ich bin Dir dankbar, dass Du ein paar Beispiele dafür aufzählst, wie unterschiedlich unsere Empörung im Einzelfall ausfällt – und von was wir uns aus dem Sessel aufscheuchen lassen – und wo wir weiter zappen.
      Es ist geradezu unerträglich, wie scheinheilig wir bei diesem Thema alle re-agieren. Immer wieder.

      Wenn ich mir erlaube, die Frage nach der Relevanz und der Selbstbeschränkung von Satire zu stellen, auch und gerade jetzt, dann bin ich mir bewusst, dass man mir dieses Gschmäckle, das Du erwähnst, anhängen kann.
      Es ist aber bestimmt auch falsch, das Unverständnis Vieler, die jetzt erstmals diese Karikaturen sehen, nicht auszusprechen, aus Pietät zu den Opfern. Ich glaube, dass die Zeichner das auch selbst gar nicht wollten:
      Wer schreibt, zeichnet, öffentliche Meinungsbildung beeinflussen will, der will die Diskussion über alle diese Themen. Und er will sie, wenn sie aktuell ist.

      Ich sage mit keinem Satz oder „Binde-Wort“, dass die hier gezeichnete Satire eine solche Tat riskiere und damit „selber schuld“ sei – ich wehre mich vielmehr gegen jede Art Druckversuch jeglicher Art von Militanz.
      Ich bin aber sehr dafür, dass wir den Dialog, was wir mit der Freiheit der Meinungsäusserung anstellen, niemals einstellen – und auch hier nicht dem Dogma verfallen, dass alles, was erlaubt sei, auch gemacht werden sollte.

      Grundsätzlich gilt: So lange wir diskutieren, schärfen wir unser Bewusstsein. Ohne Dogmen, ohne Verbote.

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  6. ClaudiaBerlin

    Ja, Satire kann auch komplett geschmacklos, sinnlos, gegen Minderheiten gerichtet, rein feindselig und rassistisch sein. Ob sie das ist, muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des Kontextes beurteilt werden.

    Diese Bewertung bzw. eine Diskussion darüber ist jedoch eine ganz andere Baustelle als die Frage, welche Reaktionen auf Satire legitim sind. Und da denke ich, dass wir alle weit davon entfernt sind, Gewalt und Terror auch nur am Rande in Betracht zu ziehen, bzw. dafür „Verständnis“ zu haben etc. Ganz im Gegenteil solidarisieren sich unter dem Mem „Je suis Charlie“ breite Kreise, die für die Freiheit der Meinungsäußerung inkl. Satire auf die Straße gehen oder in anderer Form Stellung beziehen – gut so!

    Nun drängt sich angesichts des Terrors aber wohl jedem die Frage auf: Was waren das eigentlich für Karikaturen, die so sehr zum „Stein des Anstoßes“ wurden, dass letztendlich Menschen zum Maschinengewehr greifen und wehrlose Zeichner niedermetzeln?

    Also schaut man hin. Also sagt man auch seine Meinung dazu – egal ob die Zeichner nun schon beerdigt sind oder nicht. Wer darin auch nur den Schimmer einer Legitimation der Gräueltat sieht, muss sich selbst für diese Projektion kritisieren, nicht aber jene, die einfach schreiben, was sie über Satire (und ihre evtl. Grenzen) denken!

    Derzeit werden ganze Blogs aus dem Netz genommen, weil Menschen für das, was sie rund um das Ereignis über Satire schreiben, „unter Druck geraten“.

    Ich finde das FURCHTBAR!!!! Sowohl den „Druck“ per Shitstorm wegen „anderer Meinung“ als auch die schnellen Rückzieher, wenn man verbal angegriffen wird. An solchen Ereignissen bin ich persönlich viel näher dran als am Terror-Anschlag in Frankreich – und es trifft mich jedes Mal, zieht mich runter, macht mich wütend, kotzt mich einfach an.

    Womit ich NICHT sagen will, dass BEHAN hier in diesem Gespräch seine Meinung nicht hätte sagen sollen, bewahre! Kontroversen sind ok, solange sie zivilisiert ausgetragen werden – wie es HIER ja zum Glück üblich ist!

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Liebe Claudia,
      Wer diskutiert, eine Meinung vertritt, exponiert sich. Egal, ob unter Pseudonym oder mit Klarnamen – auch so eine unselige Diskussion, die hier aber nicht hin gehört und in einem Thread wie hier auch nichts verloren hat – denn es bemühen sich alle um die Anknüpfung ihrer Einwände an inhaltliche Aussagen – und genau so was ist das Ziel solcher Texte, die ja auch „nur“ Diskussionsbeiträge sind.

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  7. Behan

    Hallo Thinkabout,
    vielen Dank für Deine weiteren Ausführungen. Ich hoffe, meine Worte klangen nicht zu harsch – und werden es auch nicht im Folgenden.

    Zu Deinen bzw. Ratschillers Aufgaben von Satire: Das hört sich sehr schön an – wie aus einem Proseminar Literatur- und Medienwissenschaft an der Uni. Wenn ich mir bspw. Satiresendungen anschaue, nimmt der Satiriker jedoch meist nicht das eigene Publikum aus Korn, gerade in der politischen Satire ist das eher selten. Es gibt zwar durchaus die Satiriker (meist) mit Migrationshintergrund, die bspw. den kleinen Rassisten in uns allen ansprechen. Aber Publikum und Satiriker haben i.d.R. doch den gleichen Stallgeruch und sind sowieso schon einer Meinung. Wessen Denkschablonen sollen da aufgebrochen werden? Wessen Denkschablonen sind in 30 Jahren Helmut-Kohl-Satire verändert worden? Haben alle Satiriker, die sich an ihm abgearbeitet haben, ihren Beruf verfehlt?

    Satire drückt doch zuallererst das Unbehagen des Satirikers an einem bestimmten Sachverhalt aus und dieses will er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – sprachlich oder auch anders mit je bestimmten Stilmitteln – zum Ausdruck bringen. Dass die für den jeweiligen Sachverhalt Verantwortlichen Personen sich lachend an den Kopf fassen und „Oh ja, natürlich. Ab jetzt mache ich alles anders. Vielen Dank lieber Satiriker, dass Du meine Denkschablonen ins Wanken gebracht hast!“ ausrufen ist doch wohl eher unwahrscheinlich, um nicht zu sagen naiv.

    Ich bin nicht der Meinung, dass alles, was erlaubt ist, auch gemacht werden soll. Aber ebenso wenig halte ich davon, anderen vorzuschreiben, etwas nicht zu tun, was erlaubt ist. Ich selbst würde solche Dinge wie Charlie Hebdo nicht machen. Aber das betrifft MICH. Außerdem bin ich kein Satiriker. Wenn jeder, der meint, die Veröffentlichungen hinterfragen zu müssen, bei sich bliebe, wäre ja schon viel gewonnen.

    Aber hinter all den Ausführungen von „Grenzen der Freiheit“ und ähnlichem, steckt doch in Wahrheit ein „durften DIE das machen? Darf man, dürfen wir das erlauben?“ Natürlich dürfen sie das – und das steht für mich außerhalb jeder Diskussion. Du schreibst, dass „nicht alles, was erlaubt sei, auch gemacht werden sollte.“ Und dass man das auch nicht zum Dogma erheben solle. Wer bitte hat das behauptet oder gefordert? Niemand zwingt irgendjemanden Islam- oder Mohammedkarikaturen zu zeichnen. Es wird auch niemand gezwungen, diese anzugucken. Es muss sie auch niemand gelungen oder witzig finden.

    Die jetzt allerorten aufkommenden Diskussionen, gehen in die falsche Richtung. Nicht „wir“ (als Westen) müssen diskutieren, ob die Karikaturen gedruckt werden mussten – sie mussten nicht, aber die Redakteure wollten es. Sondern mit den Gegnern solcher Karikaturen muss geredet werden, sofern sie mit sich reden lassen und – im Idealfall – kommt sogar ein innerislamischer Diskurs zustande über das Abbildungsverbot Mohammeds( was übrigens keineswegs koranisch vorgegeben ist) oder doch zumindest über die Karikierfähigkeit des Islams.

    Und es lohnt sich wirklich, sich auch mal die Bilder selbst genau anzuschauen, wie Claudia erwähnt hat. Der von Dir erwähnte „Schwulenkuss“ des Propheten z.B.: Ein Mann, islamisch gekleidet, küsst einen anderen Mann, der ein T-Shirt mit der Aufschrift Charlie Hebdo trägt. Die Überschrift lautet „Die Liebe ist stärker als der Hass“. Am unteren Bildrand sieht man Trümmerreste. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass der abgebildete Moslem Mohammed ist, es wird auch nicht aus dem Bild ersichtlich.

    Das Titelblatt entstand als Reaktion auf den Brandanschlag auf die Redaktion 2011. Der Kuss selbst ist völlig übertrieben und erinnert eher an einen sozialistischen Bruderkuss als an eine sexuelle Handlung (meine Interpretation – C.H. kommt aus der linken Ecke, der Chefredakteur war bekennender Kommunist, was in Frankreich aber eine ganz andere Bedeutung hat als in Deutschland.). Da ist also nichts zu sehen von einem „Schwulenkuss“, eher stellt es ein ironisches „Wir haben euch auch lieb.“ dar.

    Das andere Bild, das hier erwähnt wurde, zeigt mitnichten Mohammed, dem etwas im Hintern steckt. Vielmehr ist es der rechtsradikale, antisemitische Satiriker (sic!) Dieudonné, der Text dazu ist ein Wortspiel mit seinem Namen und der „Quenelle“, einem neofaschistischen Gruß, den er entwickelt hat. Also auch hier: nichts mit Mohammed und plumper Islamkritik, sondern eine Karikatur, die innerfranzösische, nichtreligiöse Belange und die Arbeit eines Kollegen betrifft.

    Ist das nicht lustig? Eine Karikatur, in der ein dem Front National nahesteheder Rechtsradikaler aufs Korn genommen wird, wird als Beleg dafür angeführt, dass Mohammed sich nicht für Satire eignet, nachdem islamische Fanatiker den Karikaturisten ermordet haben. Wow!

    Was ihm da allerdings aus dem Hintern schaut, weiß ich auch nicht. Soo genau bin ich in der französischen Satirelandschaft auch nicht bewandert, dass ich hierzu alle Hintergründe aus dem Hut zaubern kann.

    „Es ist aber bestimmt auch falsch, das Unverständnis Vieler, die jetzt erstmals diese Karikaturen sehen, nicht auszusprechen, aus Pietät zu den Opfern.“ Viele, die ihr Unverständnis ausdrücken tun dies leider, ohne sich genau anzuschauen, was sie da eigentlich kritisieren, ohne den Kontext zu berücksichtigen, in dem die Karikatur entstanden ist.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Was sollte an Deinem Kommentar harsch sein? Ich kann das sehr gut so stehen lassen, und ich lerne daraus sogar.
      Zwei Dinge nur möchte ich herausgreifen, alles andere möchte ich bewusst so stehen lassen und ich sage danke für Deinen Kommentar, Deine Kommentare!

      Erstens: Du erwähnst das Beispiel Kohl – man könnte auch die heutigen Veräppelungen von Merkel nehmen: Tatsächlich ist auch da manches platt. Es wird eben karikiert, was sich so wunderbar dazu eignet bei den Beiden. Gestik, Stimme, Figur, Haarschnitt. Und manches daran finde ich bereits auch beleidigend. Aber es ist ein kabarettistischer oder satirischer Angriff auf die regierende Kraft im Land – und die muss sich solches gefallen lassen. Darüber, dass sich jedermann das gefallen lassen muss, hast Du ausführlich reflektiert.

      Zweitens: Interessant, wie DU die Karikatur der sich küssenden Männer beurteilst. Link. Zuerst mal, peinlich genug: Du hast völlig recht, der küssende Mann ist zweifellos ein Mann, aber Mohammed wird damit überhaupt nicht assoziiert. Es ist einfach ein Moslem. Allerdings würde ich das nicht gerade als kommunistischen Bruderkuss interpretieren und wenn ich SO eine Frau küsse, hat das bestimmt einen sexuellen Hintergrund. Und ich nehme mal an, dass das zwischen Männern genau so ist und hier auch zumindest mit suggeriert werden wollte – im vollen Wissen, wie problematisch für gläubige Moslems Homosexualität ist.

      Ich danke Dir für Deinen ausführlichen Kommentar und die Objektivierungen. Klasse.

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      1. Behan

        Ich habe ja auch extra betont, dass es meine Meinung ist. Ich weiß auch nicht. Das erste, was mir durch den Kopf schoss, war das Bild von den sich knutschenden Arbeiterführen Honecker und Breschnew – und die Heuchelei, die damit verbunden war. Aber Du hast natürlich recht, es sind 2 sich intensiv küssende Männer. (Vielleicht hätte man den heruntertropfenden Speichel weglassen sollen?).

        Es gibt übrigens, soweit ich weiß in England und den USA, ein paar (sehr kleine) homosexuelle muslimische Verbände. Wäre doch mal spannend zu erfahren, was die dazu sagen oder auch analog zu Deiner Frage oben, was die sich von „uns“ erwarten oder ob die sich überhaupt etwas von der sie umgebenden christlich/säkukaren Mehrheitsgesellschaft erwarten.
        Vielen Dank für Deine netten Worte.

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        1. Thinkabout Beitragsautor

          Was mich zur Wiederholung, oder eben der deutlicheren Formulierung eines meiner Hauptanliegens bringt:

          Indem wir pauschalisierend „behaupten“, die Integration wäre kein Problem und wir das Thema mit jener Art von Toleranz weg reden wollen, die sich gerne grossartig fühlt, aber nicht wirklich für den Durchsatz der Rechte für alle auch in diesen Bevölkerungsteilen kämpft und sich einsetzt (und damit auch unangenehm ist), wünschen sich emanzipierte Musliminnen und Muslime von uns sehr wohl, dass wir differenzieren – das stärkt nämlich sie selber, denn in manchen muslimischen Gemeinden bei uns ist es sehr wohl so, dass unserer Welt zugewandte Angehörige lieber schweigen, weil sie sonst von strenger gläubigen Verwandten oder Oberhäuptern unter Druck gesetzt werden.

          Sie würden sich also genau wünschen, dass wir für die Akzeptanz dieser universellen Freiheiten auch vor ihren Landsleuten hinstehen. Stattdessen akzeptieren wir vorauseilend religiöse Gefühle bei Muslimen, während wir erzkonservative Christen für ihre autoritäre Ausrichtung in die Pfanne hauen. Ich kann einfach dieser Ungleichheit in unserer Haltung nichts abgewinnen und lasse Deine Frage oben gerne so stehen!

          Um es noch etwas komplizierter zu machen: Die Karikatur fand ich dennoch daneben. Denn sie regt auf, aber nicht an. Sie erzeugt Reaktion und Repression vor allem dort, wo sich betroffene eigentlich Bewusstseinsveränderung erhoffen würden. Dafür braucht es nicht Zeichnungen, sondern Haltungen in Gesprächen, und die haben wir viel zu wenig.

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  8. Caro Nadler

    Was mich am Theme Satire generell stört: Es soll alles erlaubt sein. Freiheit um jeden Preis. OK, kann ich so stehen lassen. Aber nur, wenn die Betroffenen die gleiche Freiheit haben dürfen! Mit welcher Rechtfertigung legen wir Maulkörbe an? Wer – auch, wenn er es als „Scherz“ bezeichnet – Andere beleidigt, sollte diesen auch das Recht und die Freiheit einräumen, zu reagieren. Auf deren Art und Weise.
    Das heisst NICHT, dass ich diese aktuellen terroristischen Methoden des Reagierens gut heisse! Vielmehr ist es für uns ein williommen zu heissender Anlass genau solche Diskussionen zu führen, wie sie hier stattfinden. Z.Bsp.: Wie konnte es unsere Gesellschaft geschehen lassen, dass der Nährboden für solche Zellen entstehen konnte?

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Liebe Caro
      Man kann auch sagen: Keine Freiheit ist so gross, dass sie einem die Verantwortung abnimmt, sich Gedanken über die Konsequenzen seines Tuns zu machen.
      Gerade in der aktuellen Situation sehr schwierig zu lösen. Kapitulation vor Fanatismus soll es nicht geben – aber es war absehbar, dass die neuen Karikaturen neue Unruhen auslösen würden. Wie in Niger – mit Toten – geschehen.

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