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10.Februar 2015, 23:55

Der Einwanderungsdruck ist nicht einfach unser Gespenst

credit: istockphoto.com/koun

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Zahlen zur Masseneinwanderungsinitiative, deren Umsetzung ein Jahr nach der Schweizer Volksabstimmung ungelöst ist: Noch haben die Verhandlungen mit der EU nicht richtig begonnen, aber immerhin spricht man nun wieder mit einander. Der vermeintlich einseitigen Interessenlage, nach der die EU kein Interesse an einem Entgegenkommen haben wird, lassen sich ein paar Zahlen entgegen setzen:

Diese Zahlen lassen wohl manchen Leser auch erneut werweissen, was denn in seinem Land los wäre, würde der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung ähnlich hoch ausfallen – bei gegebenen engen Ressourcen an Wohnraum und Kulturland.

23% der Schweizer Bevölkerung, oder 1,2 Mio Personen sind Ausländer. In Deutschland liegt dieser Anteil bei 9%, in Frankreich bei 6%.

Bei der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit in der Schweiz ging der Bundesrat von einer Zuwanderung von netto 8 Td Personen pro Jahr aus.

Über 80Td Personen sind im letzten Jahr in die Schweiz eingewandert – das ist die Grösse der Stadt St. Gallen und entspricht knapp einem Prozent der aktuellen Wohnbevölkerung.

Zuwanderung in die Schweiz aktuell: 8,3 Personen pro Tausend Einwohner

Der Vergleichswert in der EU liegt bei 1,8 Personen.

Selbst in Deutschland sind es mit 4 Personen pro 1000 nur halb so Viele wie in der Schweiz.

Gewähren wir keine Personenfreizügigkeit mehr, würde die EU die übrigen sechs bilateralen Verträge auch kündigen. Ist das so sicher? Denn nicht nur beim Landverkehr profitiert die EU massiv von den wechselseitigen guten Beziehungen zur Schweiz:

Die kleine Schweiz ist nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner der EU. Und die Handelsbilanz der Schweiz mit der EU ist deutlich negativ:
Von der EU in die Schweiz exportierte Güter: 170 Milliarden
Von der SCHweis in die EU exportierte Güter: 95 Milliarden

Es ist richtig, dass die kleine Schweiz den Handelspartner EU braucht. Es ist aber genau so richtig, dass die EU so grosse wirtschaftliche Vorteile aus den bilateralen Verträgen erwirtschaftet, dass von ihr sehr wohl erwartet werden kann, dass sie der besonderen Situation der Schweiz Rechnung trägt. Die Position der Schweiz ist hier alles andere als Rosinenpickerei. Hinzu kommt noch ein anderes Argument, das Schweizer Regierungen im Grunde immer eine besondere Legitimation mit in solche Verhandlungen gibt: Die Legitimation des Volkes, und die Umsetzung des Volkswillens ist bindend, wollen wir den politischen Frieden nicht gefährden. Die Essenz der direkten Demokratie macht manchen Spielraum eng, sie enthält aber auch eine grosse innere Kraft.

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9 Gedanken zu „Der Einwanderungsdruck ist nicht einfach unser Gespenst

  1. LD

    Das hast Du wirklich schön sachlich zusammengafsst. Wer diesen Zahlen / Tatsachen nicht Rechnung trägt, muss wohl als Ignorant bezeichnet werden.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Danke Dir! Meiner Meinung nach gäbe es einen sehr einfachen Weg für die EU, der Schweiz den nötigen Spielraum zu lassen und umgekehrt dem Wesen der Personenfreizügigkeit selbst weiter Rechnung zu tragen. Ich werde darüber noch schreiben.

      Und: Schön, Dich hier zu lesen!

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  2. ClaudiaBerlin

    So ganz vergleichbar sind die genannten Zahlen an Einwanderern aber nicht, finde ich. Als viersprachiges Land mit mehreren Sprachkulturbereichen ist die Schweiz doch geradezu prädestiniert für Einwanderung aus Deutschland, Frankreich, Italien, die auch – wen wunderts – die Einwanderungsstatistik aus der EU anführen.
    Die Integrationsproblematik dürfte, wenn in die entsprechenden Sprachgebiete eingewandert wird, doch WESENTLICH geringer sein als bei Einwanderern aus anderen Kontinenten und Kulturen. Oder?

    Damit will ich NICHT sagen, dass Ihr keine Probleme mit Zuwanderung habt. Aber ganz so extrem, wie es die nackten Zahlen suggerieren, ist es eben doch nicht. Wobei ich gewiss „befangen“ bin, da ich mich als Deutsche nicht so recht in die Situation hinein denken kann, als (potenzielle) EInwandernde in der Schweiz eine „Belastung“ zu sein. 🙂

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Ob Du eine Belastung wärst? Keine Ahnung. Auf jeden Fall würdest Du eine Fremdsprache sprechen. Eine zwar, die wir verstehen. In der sich aber noch immer Viele von uns nicht gerne selber ausdrücken. Weil wir das einfach nicht so leicht so gut und geschmeidig hinbekommen wie ihr oder die Österreicher. Mancher Deutsche mag manches Müsterchen zu erzählen haben, wo er wie angebrannt ist mit seinem Irrtum, eine „gleiche“ oder eben weigstens ähnliche Sprache würde schon die Integration bedeuten.
      Aber eine Belastung? Du? Du willst ja die Dinge genau wissen und fragst ja auch nach, hörst auch zu. Also, ich denke, nach so gefühlten dreissig Jahren würden wir Dich beim Bäcker gönnerhaft vorlassen.

      Ich erinnere mich da gerne an Erzählungen meines Kollegen, der als Deutscher im Münsterland wohnt und erzählen kann, dass man da auch in dritter Generation nie von sich behaupten könnte, zu den Hiesigen, zu den wirklich Einheimischen zu gehören, da man ja praktisch gestern erst zugezogen sei.

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      1. ClaudiaBerlin

        Ja, das gibts auch bei uns auf dem Land noch – eher nicht in den Städten.

        Aber hey, du sagst, Ihr (Deutschschweizer) hättet EINE ANDERE SPRACHE? Grad hab ich Wikipedia über Schweizerdeutsch und Schweizer Hochdeutsch gelesen und mir wird ganz schwindlig angesichts der VIELEN Varianten und Dialekte – die mir, so wie sie dort geschildert werden aber doch alle als „schweizerische Varianten der deutschen Sprache “ vorkommen, nicht als „Fremdsprache“. Es steht da auch geschrieben, dass die Dialekte innerhalb der Schweiz derart voneinenaner abweichen, dass sich nicht mal alle Deutschschweizer verstehen!
        Der wesentliche Unterschied zu DE scheint zu sein, dass eben diese Dialekte allgemein und auf allen Ebenen anerkannt sind und im Alltag gesprochen werden – wogegen das Schweizer Hochdeutsch als Schriftsprache fungiert. Wie du bloggst und mailst – das ist wohl Schweizer Hochdeutsch, oder? Da jedenfalls nehme ich nicht viel Unterschied zu DE-Deutsch wahr…

        Ich hab mich mit dem Thema noch nie intensiv befasst, also mögen mir bitte alle Schweizer vergeben, wenn ich in Fettnäpchen trete! 🙂
        Indem ich nun darüber lese, lerne ich auch, dass ein Dialekt -Revival seit den 80gern stattgefunden hat, nachdem es bis dahin (genau wie lange schon in DE) den umgekehrten Trend gegeben habe.

        Na, das ist ja nun eine Abschweifung… evtl. könntest du mal drüber bloggen wie das so ist mit den deutschen Einwanderern, sprachlich, kulturell etc.

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        1. Thinkabout Beitragsautor

          Liebe Claudia,
          zu den deutschen Einwanderern gibt es unzählige Debatten, in denen über sie und von Ihnen über uns sehr viel Positives und Negatives an Erfahrungen geschildert wird. Aber ganz klar ist, dass es ihnen allen so ging, wie Dir jetzt: Man ist sich dieser ganz einfachen Tatsache bei Euch nicht bewusst. Dabei habt ihr selbst so viele Dialekte und weiss Gott auch welche, die längst nicht von allen anderen Landsleuten verstanden werden.
          Der grosse Unterschied liegt wirklich im Gebrauch im Alltag – für uns ist „hochdeutsch“ eine Amtssprache, die wir zwar in der Schule lernen, aber auch da in der Volksschule längst nicht immer sprechen.
          Mein Paradebeispiel ist immer dieses: Der Dialekt hat nur eine Vergangenheitsform. Ich kann im Dialekt sagen: Ich bin gegangen. Ich kann aber nicht sagen: Ich ging. Und das liebste und absolut gängige Bindewort ist „wo“, was in der Hochsprache dann furchtbar daher kommt:
          Der Mann, wo ich getroffen habe“ ist Dialekt-Übersetzung. Ich muss umstellen. Denn nur in der Hochsprache sage ich: Der Mann, den ich traf /getroffen habe.

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  3. Relax-Senf

    @Thinkabout: Was Du im vorausgegangenen Kommentar im letzten Abschnitt als Realsatire beschreibst, ist doch auch in der Schweiz – ausserhalb der „anonymen Grossstadtumgebung“ – der ganz normale Alltag. Man gehört nicht einfach dazu, wird nicht einfach angenommen, nur weil man schon lange irgendwo wohnt. Will man dazu gehören, muss man viel Zeit und Energie aufwenden, um im Vereins-. und Kulturleben* präsent zu sein, ohne aber aus der Menge herauszuragen sonst wird über einen gleich schlecht geschnurrt, wie wenn man sich um die Aufnahme foutiert.

    * Wo ich wohne ist es von Vorteil, sich als leidenschaftlich brennender Fastnächtler zu geben, womit zumindest der anerkennenden Aufnahme in die Narrenzunft nichts im Wege steht..

    Wobei je kleiner die Gemeinschaftszelle, desto eher kann das Ziel von Aufnahme und Akzeptanz erreicht werden und dies trotz jenen „Sperr-Kriterien“ die es in der Theorie als nicht machbar erscheinen lassen.

    Die Chancen für ClaudiaBerlin für gelingende Aufnahme in der Schweiz wären nach meiner Einschätzung hochgradig positiv einzuordnen, denn unter Berücksichtigung der geografischen Herkunft einerseits und ihrem jahrzehntealten Lebensmittelpunkt andererseits, verfügt sie sowohl über die Flexibilität im Umgang mit gewöhnungsbedürftigen Umgebung als auch die Anpassungsfähigkeit an einen Alltag der zwischen Paradies und Hölle wechselt.
    .

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    1. ClaudiaBerlin

      Hi Relax! Danke für die wohlwollende Einschätzung meiner Chancen in der Schweiz! Aber keine Sorge, da droht nichts! 🙂
      Der Trend geht ja ganz allgemein und weltweit in die „anonyme Großstadtumgebung“ – da stellt sich die Frage der Integration dann sowieso anders. Und immer mehr Menschen leben wie ich: Alleine wohnend und online verbunden mit der Welt, wie man sie sich persönlich konfiguriert. Punktuell „real“ Menschen treffend, die jedoch nicht zwangsläufig im physisch nahen Umfeld wohnen. Da ist dann die Hauptsache, dass die Nachbarn nicht STÖREN (Lärm etc.), ihre Nationalität ist recht unwichtig.
      Ich hatte allerdings auch eine sehr im Nahraum aktive Phase von etwa 20 Jahren in einer sehr überschaubaren, dörflichen Ecke von Berlin Kreuzberg. Danach bin ich da weggezogen, auch weil ich nicht mehr zur Markthalle gehen konnte (10 Minuten) ohne auf dem Weg 5 Leute zu treffen, mit denen mehr als grüßendes Kopfnicken angesagt war…
      Während der aktiven Zeit galt: Wer mitarbeitete, war willkommen – egal wohier er/sie stammte. Sprachkenntnisse vorausgesetzt.

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    2. Thinkabout Beitragsautor

      Der Grad sichtbarer oder hörbarer Integration ist bei allen Menschen unterschiedlich – aber es gelingt ja dann doch auch in Gegenden mit Brettern vor den Köpfen irgendwann, dass die restlichen, nicht abgeschliffenen Besonderheiten als gegeben hingenommen werden – bis zum Moment, wo man es Dir übel nehmen würde, wenn Du dieses Identifikationsmittlel Deiner Persönlchkeit auch noch verlieren würdest.

      So fremd zu bleiben, dass sich die andern schick vorkommen, wenn sie Dich „trotzdem“ aktzeptieren, ist manchmal echte Lebenskunst.

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