Natürlich würde auch ich viel darum geben, 9/11 ungeschehen zu machen. Als die Twin Towers einstürzten, ich den Schock der Menschen im Fernsehen sah und an mir selbst erlebte, was die Bilder in mir auslösten, wusste ich: Das würde die Welt verändern. Und trotzdem könnte an Stelle der Entfremdung Gemeinschaft stehen, hätte alles auch ganz anders kommen können.
Denn stellen Sie sich vor, Amerika hätte zu dieser Zeit
- einen Präsidenten gehabt, der nicht paralysiert in einem Schulzimmer sitzen blieb (bleiben musste?), als er die Nachricht erfuhr
- einen Präsidenten gehabt, der nicht Wurt zerfressen worden wäre, weil er in seinem eigenen Land panisch durch den Kontinent geflogen wurde, versteckt vor einem Feind, den das Pentagon noch nicht mal auszumachen in der Lage war
- stattdessen einen Präsidenten gehabt, der vom Schutthügel in Ground Zero herab die unzähligen Opfer muslimischen Glaubens aufgezählt hätte, die ebenfalls zu beklagen waren, verknüpft mit dem Aufruf an alle gemässigten Gläubigen aller Religionen, sich zusammen gegen jeden Fanatismus zu verbünden und ihm die Stirn zu bieten mit dem Anspruch, in einem freien Land zu leben und diese Freiheit wirklich zu verteidigen.
- damals oder noch besser schon viele Jahre zuvor eine republikanische Partei gekannt, die ihren Führungsanspruch nicht in Patriotismus, Waffen- und Ölgeschäften und einem erzreaktionären Führungsstil erfüllt gesehen hätte
- Demokratie bei Wahlen im eigenen Land gelebt
- oder wenigstens in der Zukunft die Chance, einen Präsidenten zu wählen, der sich für seinen Erfolg nicht der Unterstützung der israelischen Lobby in Amerika sicher sein müsste, so dass der Konflikt im nahen Osten tatsächlich nicht für ewig zementiert wäre…
Wir könnten in einer Welt leben, in der
- jeder Art Fanatismus abgeschwört wird
- Wirtschaftlicher Wettbewerb und ein freier Markt Regeln respektieren würde
- für Freiheit Opfer gebracht würden
- Demokratie nicht länger nur ein Schlagwort wäre
- wir erkennen, wie viel wir zu verlieren haben.
Stattdessen haben wir es hin genommen, nur noch als Konsumenten wahr genommen zu werden, aber nicht als Bürger. Und wir verdienen es vielleicht auch nicht besser, denn auch hier gilt der Grundsatz, dass wir – egal, wie wenig wir tatsächlich mitbekommen von dem, was hinter unserem Rücken mit uns geschieht – dass wir viele Dinge in der Hand haben und mit unserem Verhalten dafür sorgen, dass jene Recht haben, die uns manipulieren. Denn wir sind zufrieden mit dem, was „der Markt“ hergibt. Wir fördern als Konsumenten die Probleme, die wir als Arbeitnehmer bekommen werden:
Wir finden die Zustände für die Arbeiter bei Foxconn, dem Zulieferer von Apple, schrecklich.
Um dann mit den Schultern zu zucken, weil alle anderen Marken auch bei Foxconn produzieren lassen (wollen), weil die Produktion nun mal nach den geringsten Kosten fragt. Also, was können wir schon tun?
Auf ein neues Smartphone zu verzichten, das alte länger zu benutzen, um einen minimalen Kontrapunkt zu setzen – das geht ja dann doch zu weit, oder?
Wie bin ich jetzt nur von 9/11 auf die Smartphoneproduktion gekommen??? Das hat doch alles nichts mit einander zu tun!
Wirklich? Es geht immer um die fehlende Konsequenz, unsere fehlende Bodenhaftung. Und es braucht so lächerlich wenig, um uns in Panik zu versetzen!
Sars, Vogelgrippe, Ebola – dafür waren und sind wir bereit, Aids-Opfer zu verteufeln – oder deren Auswirkungen zu verniedlichen – es gibt ja Pillen.
Manchmal frage ich mich, ob Gott noch den geringsten Pfifferling auf uns gibt, wenn er uns auch nur einen Tag beobachtet.
Und dann lese ich von Menschen, welche in privaten Organisationen dafür sorgen, dass nicht gebrauchte Nahrungsmitteln aus Lebensmittelläden und Restaurants in Suppenküchen für Bedürftige ankommen. Und Sie Alle, die das lesen, könnten ein eigenes Beispiel hier unten in den Kommentaren aufführen – die Liste würde endlos lang. Denn die eigentliche Botschaft lautet: Es liegt auch heute nur an uns, ob unser eigenes Leben, unser Blick in den Spiegel, unser unmittelbares Lebensumfeld lebenswert ist, oder nicht. Aus dem eigenen Wald tönt es nämlich so heraus, wie wir hineinrufen.