Gerade ist mit der Fussball-WM wieder die Zeit der grossen Spiele und Emotionen angebrochen. In einem weltweit verfolgten Wettbewerb wird ein neuer Sieger erkoren. Einer. Der Zweite ist der erste Verlierer, und, weil er so nahe am Sieg sein wird, der grösste aller Verlierer überhaupt. So ist die heute gängige Wahrnehmung. Der Sieg ist alles. Das ist unsere Leistungsgesellschaft. Aber es ist alles andere als eine Leistungskultur.
Das Verhalten ist leider bereits üblich: Das Finale ist vorbei, die unterlegene Mannschaft schleicht zum Podium und lässt sich die Silbermedaille umhängen. Im besten Fall. Noch bevor die Sportler die Bühne wieder verlassen, haben die meisten ihre Auszeichnung bereits wieder abgestreift und sie in der geballten Faust verschwinden lassen. Es scheint unerträglich zu sein.
Der Serienmeister und -Pokalsieger FC Bayern München hat es dieses Jahr als Verlierer des deutschen Pokalfinals nicht mal fertig gebracht, nach der Überreichung der Medaillen auf dem Feld zu bleiben, bis der Pokal an die Sieger aus Frankfurt übergeben wurde. Besser könnte nicht demonstriert werden, was in dieser Art Leistungsgesellschaft an tatsächlicher Kultur verloren gegangen ist. Die erstaunten bis beschwichtigenden Kommentare der Betroffenen danach offenbarten nur noch deutlicher, was da verloren gegangen ist: Die Sozialkompetenz des Wettkämpfers im Umgang mit seinem Scheitern. Es fehlt jegliches Bewusstsein, dass ein grosser Sieg gegen grosse Gegner nicht immer gelingen kann, ja, dass der Sieger dem Unterlegenen immer etwas mitgibt, das womöglich für die weitere Karriere ganz wichtig ist. Wer es hasst, Zweiter zu werden, ist grenzenlos ehrgeizig, und womöglich braucht es dieses Extrem, um sich bis in ein Endspiel vorzukämpfen. Wenn der Kampf aber geführt ist – und ich brauche bewusst hier diese martialische Sprache – gibt es zwar nur einen Sieger, aber Entwicklung und Einordnung für alle Seiten. Und die gelingt nur, wenn man die Niederlage akzeptiert und die Leistung des Gegners respektiert.
Die Duelle zwischen Nadal und Federer sind auch deswegen so ausserordentlich, weil wir Zuschauer den grossen Respekt sehen und spüren können, den die Kontrahenten für einander haben. Und wenn wir die Vita der Beiden ansehen, dann werden wir erstaunt feststellen, dass neben der Fülle der Siege, die jeder Sportfan kennt, unzählige bittere Niederlagen stehen – Momente eben, in denen sie nur zweiter Sieger warten, das Scheitern so knapp vor dem Ziel nur einfach bitter war. Da flossen Tränen, wurde Enttäuschung gezeigt, aber auch um die Fassung gerungen und die letzte Aufgabe ebenfalls mit Bravour gemeistert: Teil des Rahmens zu sein, der an diesem Tag den Sieger für dessen Leistung würdigt. Wenn wir alle, die wir im Sport mitfiebern, nur als Sieger über alle Anderen zufrieden wären, würden nur ganz Wenige ihres Lebens froh – und blieben dabei furchtbar einsam – genau so einsam, wie jene, welche Niederlagen nicht positiv zu verarbeiten verstehen. Für die Entwicklung der eigenen Leistungsfähigkeit – und der Persönlichkeit.
Ich wünsche mir Kommentatoren, die den mangelnden Respekt so mancher Fussballer (oder anderer Sportler) missbilligen und ihr Augenmerk darauf legen – und uns so daran erinnern, in wie vielen Bereichen wir laufend verlernen, mit einem immer möglichen Scheitern positiv umzugehen.