Ich war mal ein sehr eifriger, disziplinierter, aber auch ein überzeugter Festtagskartenschreiber. Irgendwie ist das verloren gegangen. Ich habe dieses Jahr genau 2, in Worten: Zwei, Weihnachtskarten geschrieben. Und die beabsichtigten Neujahrsgrüsse gehen als erster unerfüllter Vorsatz des neuen Jahres in meine persönliche Geschichte ein. Versuch einer Erklärung, nicht einer Entschuldigung.
Dabei war ich mal „berühmt“ für meine Karten, weil ich niemals zweimal den gleichen Text versandte und es mir eine Freude, eine positive Herausforderung war, die an sich ja immer gleichen wichtigsten Wünsche in neuen Formulierungen und Wendungen und in einer persönlichen Färbung niederzuschreiben, welche den Adressaten auch zeigte, dass es nicht nur eine pflichtvolle Freundschaftspflege war, was sie in Händen hielten. Es war das Werk eines Überzeugungstäters.
Ich scheine diese Überzeugung verloren zu haben. Ich verriet den Gedanken der persönlichen, ausserordentlichen Tat und des damit verbundenen Ausdrucks von Verbundenheit, indem ich nicht aus dem Kopf brachte, dass ich selber immer weniger Post bekam. Und dann, ja dann gab mir Facebook den Rest. Oder Social Media allgemein, ich muss ja nicht immer das Fratzenbuch speziell bashen. All die Erinnerungsfunktionen, die virtuellen Kerzchen und Briefchen, die PP-Präsentationen mit weisen Sprüchen und gut gemeinten besten Wünschen, tausendfach, millionenfach verschickt. Ich will all diese Zeichen, dass an mich gedacht wurde in diesem virtuellen Moment, nicht runtermachen. Aber die ganze Wünscherei hat halt schon viel von ihrem Charme eingebüsst – und ich selber bin, wenn ich diese Auswege aus der persönlichen Trägheit benütze, ja auch Teil dieses Spiels geworden. Also muss ich diese neue Form des Weihnachts- und Silvestergrusses nicht wirklich in die Tonne treten. Nur, irgendwie, ich weiss nicht, ist es nebensächlicher geworden, was wir schreiben – aber sehr wichtig, dass wir niemanden vergessen. DAS scheint gleich geblieben zu sein. Und dem könnten wir uns doch entziehen, indem wir… ja, genau, bewusst ein paar Weihnachtskarten und Neujahrskarten schreiben, dieses Jahr, in etwas mehr als elf Monaten. Und zwar nicht an eine Liste von Adressaten, die vielleicht eine erwarten, sondern an jene Menschen, denen wir gerade spontan schreiben könnten – und wollen. Und wenn dafür die Stimmung fehlt, dann lassen wir es eben.
Es wäre schön, sagt der naive, aber irgendwie auch überzeugte Nostalgiker in mir, wir würden das Kartenschreiben nicht verlernen. WANN wir dieses Mittel, Verbundenheit zu zeigen, einsetzen, ist eigentlich komplett nebensächlich. Wir können ja auch im Juli einen Weihnachtsmoment zaubern – gerade so, wie wenn vor meiner Tür eine Karte von der Nachbarin liegt, mit einem kleinen Naschgruss aus der Pralinenkiste, mit Dankesworten für eine nachbarschaftliche Geste, die wir noch so gern gezeigt haben. Gehen wir doch einfach mit einander um, mit bewussten Worten, gesprochen und gerne auch geschrieben – und haben wir keine Angst, zur erwarteten Zeit wider Erwarten stumm zu bleiben – umgekehrt an anderer Stelle oder zur gleichen Zeit bei vermeintlich nicht so nahen Menschen für eine Überraschung zu sorgen. Denn die Menschen, die uns wirklich wichtig sind – mit ihnen ist Weihnachten immer. Oder gerne immer öfter.
Spät aber doch: dir ein schönes 2019!
Ach, Festtagskarten! Die hatte ich als in den 70gern Sozialisierte gleich ganz abgelehnt als hohles Höflichkeitsritual ohne Substanz. Das war natürlich jugendlich ignorant, wenn auch durchaus ein Körnchen Wahrheit darin lag: Wer machte das damals schon, um „Verbundenheit zu demonstrieren“ – Grußkarten zu Geburtstagen, Weihnachten und Kondolenzkarten bei Beerdigungen schrieb man ja eher, weil „es sich so gehört“.
Trotzdem: Ganz ohne irgendwelche Botschaften ist es auch nicht schön! Und die sogenannt sozialen Medien sind aus meiner Sicht kein Ersatz. Da erinnert mich z.B. FB an Geburtstage irgendwelcher „Befreundeter“, die sich sowieso meist nicht persönlich kenne. Hab ich dann auch meist verweigert und werde auch nach Jahren nicht wirklich warm mit FB (alle 3 Wochen schau ich mal rein) – und mit Twitter sowieso nicht, obwohl ich das häufig nutze. Ist ja mehr Infoschleuder als Medium für Kontakte, also kein Feld für „Wärme“.
Schön, dass du noch bloggst! Hab mich grade melancholisch über die schwindende Kommentarkultur ausgelassen. Tja, besser wird das alles nicht…
Hallo Claudia! Schön von Dir zu lesen!
Ja, ich blogge noch, leider noch viel zu selten. Und das hat viel damit zu tun, dass auch ich mich viel zu oft frage, wofür? Und die Antwort ausserhalb von mir suche. Wer liest, wen interessiert es? Statt mich an die Ursprünge zu erinnern, als mir das Blog einfach Schreibplattform war, von dem ich erst mal nicht mehr erwartete als von einem Tagebuch: Aufschlagen musste es sich lassen und einladen sollte es mich, es zu füllen.
Doch wir alle streben immer nach Beachtung, nicht wahr? Und so hat Facebook die Bloggerszene aufgefressen, denn sehr viele haben das Bloggen genau deswegen aufgegeben: Statt einer eigenen Plattform unterwirft man sich lieber den SocialMedia-Zwängen eines grossen Netzwerks, in dem man doch bitte gehört und gesehen werden möge – und das beeinflusst ganz bestimmt auch die Kommentarkultur im Allgemeinen.
Und weil wir eben solche Aufmerksamkeitsjunkies sind, ist auch Facebook wie es ist und verdient Geld damit.
Auch von mir sehr spät :Ein schönes 2019!
Kartenschreiben, das machen nur mehr sehr Wenige. Ein Freund aus der Nähe Frankfurts z.b.
Ich denke, solche Dinge wieder zu aktivieren, könnte ein Zeichen setzen.
Ein Zeichen wofür?
Sparsamer zu sein in seinen Aktivitäten und gezielter Akzente setzen?.
Sich wieder zu konzentrieren auf authentische Äusserungen?
Freude zu schenken?
Danke Gerhard, für die Wünsche. Das Jahr ist ja noch lang, ich nehme sie also gerne und gebe es zurück.
Ich glaube, in dem Moment, in dem man schreibt, sicher sein, dass es dem Leser und Empfänger eine Freude sein wird, muss und kann als Antrieb genügen. Und vielleicht bekommen die Karten, die man erhält, weil sie eben selten geworden sind, höhere Wertschätzung und können ihre Botschaft entfalten. Und womöglich zu etwas mehr Kontakt führen.