Ressort: 10 Minuten(Weitere Infos)

02.Februar 2019, 18:45

10min schreiben über: Orientierung

Habe ich eine Ausrichtung, eine Orientierung, so habe ich auch ein Ziel. Es muss nicht in eine Zukunft gerichtet sein, in der es gilt, eine bestimmte Leistung zu erbringen, einen Erfolg einzufahren. Es kann auch die persönliche Haltung gemeint sein, eine Art Settlement im eigenen Leben: Einen Platz einnehmen, von dem ich glaube, fühle, dass er richtig für mich ist – und ich richtig für ihn und meine Mikrowelt.

Viel zu viel und zu oft beschäftigen wir uns mit den grossen Fragen der Welt, beklagen die Weltpolitik und sorgen uns um Frieden und Wohlstand. Was uns aber verloren geht, so fühlt es sich für mich wenigstens an, ist eine Orientierung, in welcher Werte höher gewichtet werden als Stellung und Bedeutung. Denn um letzteres zu erreichen, scheint je länger je mehr jedes Mittel recht.

Manche erfolgreiche Sportler scheuen sich, selber Vorbild zu sein. Denn Vorbild verpflichtet. Führungsfiguren schaffen Identität, geben einer Firma ein Gesicht, schaffen Motivation zur Nachahmung, sind Inspiration. Bis der Sockel, auf dem sie stehen, bricht. Wir kennen nicht mehr so sehr Vorbilder, wir reissen die bestehenden aber auch oft sehr schnell nieder. Vielleicht spüren das die besagten Vorbilder auch selber und wollen damit nichts zu tun haben. Dabei ist es recht einfach: Wer besonderes leistet, und dabei seinen Prinzipien treu bleibt und nicht alles dem Ziel unterordnet, wer seine Orientierung behält, wird dadurch sicher – und erst recht beständig. Und zeigt einen schlüssigen, klaren Charakter, gerade auch dann, wenn er ein Ziel nicht erreicht.

Erfolg und Misserfolg sind auch Launen des Schicksals. Der Umgang damit aber bleibt persönliche Aufgabe und ist eine Frage der Orientierung: Wie verändern mich Geschicke und warum? Was treibt mich an? Ist mir meine Orientierung auch dann eine Hilfe, sehe ich meinen Weg, finde ich ihn wieder, wenn eine Passage zugeschüttet wird? Die eigene Orientierung zu behalten, hat mit Treue zu sich selber zu tun – und mit einem Selbstwertgefühl, das nicht von Anerkennung von aussen abhängig ist. Gelingt das, bin ich plötzlich auch Hilfe zur Orientierung für andere. Ohne dass mich das befremden müsste – und natürlich auch, ohne dass ich das bräuchte.

4 Gedanken zu „10min schreiben über: Orientierung

    1. Thinkabout Beitragsautor

      Liebe Claudia
      Das ist viel Lob, ich danke Dir!
      Die 10min-Texte entstehen tatsächlich so. 10min spontanes Schreiben zu einem Begriff – bisher ist es einfach eine „Dienstleistung“ für Freunde und Bekannte und eine Aufnahme und Bündelung eigener Gedanken, oft in Mails oder im eigenen Tagebuch, noch selten hier. So spontan an die Begriffe und „Schlagworte“ heranzugehen erlaubt auch mir neue Zugänge zu Themen. Und es kann, z.B. wenn man eine Rede schreiben muss oder einen Essay oder Artikel, mir und anderen Anregungen liefern.
      Ich würde eigentlich gerne mehr daraus machen, aber mir ist nicht klar wie. Also pflege ich einfach die Freude am Tun. Wie bei all meinem Schreiben.

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  1. Gerhard

    „Wir kennen nicht mehr so sehr Vorbilder, wir reissen die bestehenden aber auch oft sehr schnell nieder.“.

    Wieso ist das eigentlich so?
    Ich habe das bei Ralf Dobelli erlebt, bei dem eine Schweizerin meinte: Nicht der schon wieder!
    Dann bei Habeck, dessen neuestes Buch ich gelesen hatte und den ich gut finde. Es gibt immer wieder Bekundigungen: Zu weinerlich, zu sehr Gewissen der Nation und ähnliches…
    Und so weiter und so fort.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Ja, wieso ist das eigentlich so? Zumal ich immer wieder höre, dass man diese Eigenart Deutschen und Schweizern besonders zuschreibt. Am besten, wir kümmern uns nicht darum – oder fragen stattdessen uns persönlich: Warum finden wir jemanden „gut“, sehen wir ein Vorbild und auf Grund welcher Informationen? Die Wahl meiner Vorbilder und die Art, wie ich mit ihnen umgehe, sagt ja erst mal etwas über mich aus.
      Und wenn eine Person gerade besonders angesagt ist, wirst Du immer diese Kontras hören. Schweizer sind Podesten gegenüber tatsächlich eher misstrauisch, und wehe, wir hegen den Verdacht, derjenige, der darauf steht, hat es selbst gebaut und trägt „zuviel“ dazu bei.
      Bei Persönlichkeiten wie Habeck ist mir da nicht bange. Was er zu sagen hat, betrifft elementare Themen unserer Gesellschaft. Das wird immer aktuell bleiben, mit unterschiedlichen und wechselnden Taktgebern. Da ist es gut, wenn du für Dich selber sagen kannst, dass Du den einzelnen Themen gegenüber stets weiter reflektierend offen bleibst.
      Und wird beachtet, was ich sage, ist das gar nicht immer so leicht.

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