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13.April 2020, 19:00

Wir können uns wirklich Angst machen

Work in the hospital’s critical care unit. – credit: istock/sudok1

Ich bin zunehmend fassungslos. Ich habe den Eindruck, dass die aktuelle Krise vor allem eines offenbart: Wir sind alle ausser Rand und Band. Intensivstationen und Beatmungsgeräte und eine höchst zweifelhafte Akut-Behandlung Schwerstkranker bestimmen die Weltpolitik und unser aller wirtschaftliches Auskommen.

Immer wieder heisst es, dass die aktuellen Massnahmen gegen Corona sich daran orientieren, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet werden darf. Wir können, jeden Tag frisch aufdatiert, die Zahlen studieren, wie viele Intensivpflege-Betten und Beatmunsgeräte noch frei sind und eine Prognose hören, wie lange es geht, bis Patienten für diese Behandlung abgelehnt werden müssen. Es wird von Unternehmen berichtet, die nun neu Beatmungsgeräte produzieren werden,  ob freiwillig oder vom Staat dazu angehalten.

Und mitten in die Dynamik, mit welcher diese maschinelle Medizin weiter hoch gefahren wird, mischen sich Berichte, die in ihrer Grundaussage ja nicht neu sind, aber einfach nicht wahr genommen werden (wollen). Medizinische Beatmung kann Lungenverletzungen verschlimmern – mit Langzeitschäden, welche oft irreparabel bleiben, wenn sie denn überlebt werden. Patienten mit schwerer Atemnot starben auch schon vor Corona trotz maschineller Beatmung praktisch in der Hälfte der Behandlungen. In der Corona-Pandemie sind es nun bis zu 80% der Patienten, die trotz oder wegen der körperlichen Tortur sterben. Zahlen einer hohen Sterblichkeit trotz Intubation gibt es von überall auf der Welt, und wenn der Wert zur Zwei Drittel Tote beziffert, ist er tief. Der massive Eingriff, die Tortur für den Köper ist für durch Corona und oder Vorerkrankungen zusätzlich geschwächte Menschen ein Vorgang, welcher die Lage sehr wohl noch verschlimmern kann.

Aber unser ganzes System, unsere Vorgehensweise, unsere Abwehr zielt darauf, alles für das nackte Überleben zu tun, und wir gestatten uns keinen einzigen reflektierenden Gedanken darüber, was „lebenswert“ bedeutet. Natürlich ist das eine persönliche individuelle Frage, und es bleibt unstatthaft, als Staat und Gemeinschaft dem Einzelnen vorzuschreiben, ob er eine Behandlung verlangen darf oder nicht. Aber es kann und soll auch nicht vom Staat verlangt werden, dass er eine technische Medizin, auf die Spitze getrieben, am Laufen halten muss, um eine Behandlung zu ermöglichen, die solch katastrophal zweifelhafte Erfolgschancen beinhaltet – zumindest für schon sehr geschwächte alte Menschen – und ich wage nicht zu fragen, wie viele Menschen, ins Koma gesetzt, für immer an der Beatmungsmaschine bleiben? Denn auch das kann – gerade jüngeren Patienten drohen.

Das Corona-Virus zeigt unserer Gesellschaft exemplarisch auf, wie absurd unreflektiert wir unserer Vergänglichkeit gegenüberstehen und wie gross unser Machbarkeitswahn ist. In der Globalisierung wird auch deutlich, dass wir mit dem steigenden Wohlstand weltweit zunehmend in der gleichen Oberflächlichkeit gefangen sind – und uns damit gleich selber aus dem Rennen nehmen: Denn wir sind in unserer Unfähigkeit, Corona einzuordnen, bereit, die Weltwirtschaft gegen die Wand zu fahren. Wir haben innert weniger Wochen es geschafft, Millionen von Existenzen zu bedrohen, und es gibt keine Statistik darüber, wie viele Menschen an anderen Krankheiten gestorben sind, weil medizinische Kapazitäten, und sei es nur Manpower, fehlte. Wie viel Krankheit wir in unserem absurden Kampf begründet statt besiegt haben, werden wir wohl in den nächsten Jahren sehen.

Dass wir uns nun erstaunt geben, wie gross der angerichtete Schaden schon geworden ist, zeigt ebenfalls, wie wenig wir unser Tun erfassen und die Wirkungen voraussehen können – oder wie einseitig darüber berichtet wird. Wundern müssen wir uns darüber nicht. Denn umgekehrt könnte man fragen: Werden nicht gerade die Regierungen, welche als Erste Lockerungen durchsetzen, unter dem grössten Druck stehen, weil der Vorwurf, „Menschenleben zu riskieren“ einer ist, dem man als selbst verantwortungsvoll denkender und handelnder Mensch ohnmächtig gegenüber steht.


Zum Thema: von AP/tsha bei bluewin: Beatmungsgeräte – mehr Schaden als Nutzen?

2 Gedanken zu „Wir können uns wirklich Angst machen

  1. ClaudiaBerlin

    Es stimmt aber auch: ohne die Maßnahmen hätte sich der Virus exponentiell weiter verbreitet mit entsprechend vielen Infizierten, Kranken und Sterbefällen. Auch das hätte die Wirtschaft schwer geschädigt – und nachhaltiger!

    Was die invasive Beatmung angeht: man kann das auch ablehnen!

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Liebe Claudia
      Ob eine „durchlässigere“ Praxis die Wirtschaft mehr geschädigt hätte, wird nie zu beweisen sein. Dazu sage ich: Noch hast Du keine Vorstellung davon, wie schwer wir die Wirtschaft schon geschädigt haben – by the way geht das ja auch noch weiter. Wir sind noch lange nicht am wirtschaftlichen negativen Peak.
      Ja, die invasive Beatmung kann man auch ablehnen. Sofern man über den Verlauf und die Risiken auch entsprechend aufgeklärt wird sogar mit Entscheidungsgrundlagen Für und Wider. Vielleicht ist davon ja zukünftig mehr die Rede. Vielleicht führt uns die Seuche vor, wie absurd wir darin behaftet sind, einer schweren Krankheit noch etwas siechendes Leben abtrotzen zu wollen. Natürlich ist eine Pandemie nicht der geeignete Moment, diese Diskussion im Grundsatz zu führen, denn es ist kein Thema für Zyniker. Aber wir müssen als Gesellschaft mit dem Sterben neu umgehen lernen. Es zum Leben dazu denken und empfinden, genau so wie die Geburt. Wenn wir das tun, wenn wir wieder zu Atem kommen (sic!), können wir uns auch in der Einstellung besser gegen die nächste Pandemie wappnen – die kommen wird. DAS ist ganz sicher.

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