Archiv für den Monat: Januar 2021

30.Januar 2021, 22:45

Man weiss es nicht

Eine Pandemie ist, wir lernen es allmählich, die Krise einer Gesellschaft, die sich in einer Notlage sieht, die nach schnellen Antworten verlangt, die es nicht geben kann, weil so viel Wissen fehlt und die Ahnungslosigkeit sehr viel grösser ist als jede Gewissheit. Und jene Menschen, die führen müssen und Verantwortung übernehmen wollen, stehen vor der Herausforderung, Klarheit zu suggerieren und Unklarheit zu kaschieren. Offenbart sich dann Unwissen in der Führung, wird das fatale Gegenteil erreicht…

credit: iStock/MHJ

Die Menschen sollen „mitgenommen“, motiviert, diszipliniert werden oder sein und bleiben. Was ihnen zugemutet wird, ist zum Wohle des Ganzen, wobei jegliche Zeit fehlt, sich – als Gesellschaft – klar zu werden, was denn dieses Wohl darstellt? Wir sind im Verbund atemlos, orientierungslos, hilflos, und wenn die Frage einigermassen zuverlässig für eine tragende Mehrheit beantwortbar wird, so folgt die nächste Aufgabe: Und wie erreichen wir dieses Wohl am Besten und wie am Schnellsten? Und wie messen wir es? Mit welcher weiteren unzulänglichen Statistik?

Wir verharren im Gefühl, fremdbestimmt zu sein, Spielball fremder Einflüsse, egal, ob wir Verschwörungen dahinter vermuten oder schlicht verhängnisvoll in einander arbeitende Sachzwänge. Im besten Fall attestieren wir den Behörden guten Willen aber schlechte Resultate – weil der Teil der Realität, den wir erfassen und über den wir informiert werden, immer denjenigen Recht gibt, die es anders gemacht hätten. Es bleiben einfach zu viele schlechte Nachrichten in den Gehirnen kleben.

Wir müssen wohl dahin kommen, dass wir die Demut lernen, die uns sagen lässt: Man weiss es nicht. Oder nicht besser. Noch nicht. Und ich weiss es auch nicht. Was ich aber weiss, und was ich kann, ist, mir deutlich zu machen, wie ich es denn selbst habe mit meiner Verletzlichkeit, mit meiner Angst vor Krankheit und Sterblichkeit oder wirtschaftlicher Not? Wir reagieren in aller Regel auf jene Bedrohung am stärksten, die vermeintlich am nächsten ist. Sie scheint die grösste zu sein. Was ferner droht, kommt später, und so beachten wir das auch später. Die Zerreissprobe liegt genau darin, dass für den Querschnitt unserer Bevölkerung diese grösste Bedrohung eine sehr unterschiedliche ist – auch, weil wir sehr unterschiedliche Möglichkeiten haben, den Herausforderungen zu begegnen.

Dabei haben besser situierte Menschen deutlich höhere Ansprüche an die von den Behörden zu garantierende Sicherheit. Und sie definieren Sicherheit auch – logisch – ganz anders.

Wie also, wenn wir, aus der Erkenntnis heraus, wie viel wir doch tatsächlich nicht wissen, einfach länger und besser zuhörten? Nicht nur den Experten. Sondern den Nächsten. Und jenen, die ganz andere Probleme haben.

Eine Gesellschaft, die Opfer verlangt, geht auch eine Bringschuld ein.

Und ganz sicher wird es uns alle für die Zukunft ganz persönlich krisenresistenter und lebendiger machen, wenn wir es nicht verpassen, uns einzugestehen, wie kalt uns die Pandemie erwischt hat. Als Gemeinschaft. Und persönlich. Als sterbliche Wesen mit einem Wohlstand, der niemals wirklich selbstverständlich ist. Und für den wir wieder vermehrt werden kämpfen müssen – und zusammenstehen. Ich hoffe, das ist möglich.

28.Januar 2021, 6:56

10min schreiben über: Gewissen

Es wurde ihm ins Gewissen geredet. Heisst: Eine (Möchtegern-)Autorität hat an die (gute) Erziehung apelliert und die Moral angerufen. Oder die Macht des guten Denkens und Handelns. Ich will das gar nicht kleinreden oder mies machen, denn schlussendlich sind die Werte, die wir anerzogen bekommen, eine Orientierungshilfe.

Das eigentliche Gewissen aber, das liegt sicher und geschützt in uns. Es ist das, was wir über uns selbst wissen, gerade wenn niemand von aussen auf uns einredet, wenn alle Beeinflussung weg fällt, wenn wir fragen, wer wir wirklich sind und was wir wollen. Nein, was uns wirklich gut tut, uns glücklich macht. Oder zumindest so leer, dass wir erkennen, was richtig ist. Wahrheit. Sehr oft kennen wir keine Antworten, wissen wir vielleicht nicht einmal, nach was wir suchen, welche Fragen wir uns stellen sollten. Aber alles, was uns dazu befähigt, jenseits von allen tradierten Vorstellungen, was denn der Sinn unseres Lebens, unserer Tätigkeit wäre, wirklich danach zu fragen, wer wir SIND, führt uns zum wirklich vorhandenen Gewissen:

Wenn wir uns selbst wirklich wichtig sind, wenn wir uns lieben, bekommen unsere Gedanken, unsere Fragen, und irgendwann auch die Antworten die Qualität, die Tiefe und Wahrheit, die wir wirklich unser Gewissen nennen können. Nochmal: Damit ist für mich nicht die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gemeint oder eine bestimmte Vorstellung, was ein jeder mit seinen Talenten, mit seinen Stärken und Schwächen anfangen sollte. Es ist die Antwort auf die Frage gesucht:

Nehme ich mich ernst? Kümmere ich mich um mich selbst? Wessen Geschöpf bin ich? Was sagt mir mein Wissen darüber, was ich soll? Dafür muss ich tief graben, ganz viel Ballast abwerfen, alle künstliche Sinngebung verwerfen und die Leere aushalten, die nicht zugeschüttet zu werden braucht. Denn an ihrem Grund liegt das Gewissen, das uns bei jeder eigenen Frage und Antwort vielleicht keine bequemen Wege zeigt, aber gangbare, lichtvolle. Dem Gewissen folgen, heisst, der eigenen Schöpfung nachgehen.

04.Januar 2021, 19:00

10min schreiben über: Sprache

Unsere Sprache ist eines unserer Ausdrucksmittel, aber bei weitem nicht unser Einziges. Oft ringen wir mit ihr, weil wir den Eindruck haben, es würde uns nicht gelingen, mit Worten einzufangen, was wir fühlen. Und wenn es anderen gelingt, ist das schön zu hören oder zu lesen, aber es kann auch erschlagen. Wie oft höre ich von Freunden oder sonst mir zugewandten Menschen, dass sie sehr gern lesen, was ich schreibe, ihnen aber auf Briefe – und ja, so bezeichne ich durchaus auch Mails – keine Antwort einfiele, die dem gerecht werden könnte, was sie selbst zu lesen bekommen haben. Ich versuche dann zu erklären, wie segensreich eine Sprache sein kann, die einfach daher kommt. Der Kern einer jeden Sprache ist Klarheit und Einfachhheit. Sie gibt den Worten den Raum, den sie brauchen, um wirken zu können. Ich kann, wenn ich jemanden empfange, sagen, wie sehr ich mich freue, seine Geschichten zu erfahren, wie lange wir uns nicht gesehen hätten und wie sehr ich diesen Moment ersehnt habe, diesen Menschen hier zu haben. Oder aber ich kann einfach sagen:

Schön, bist Du da.

Niemand will da werten, welche Worte mehr ankommen. Den Worten wird auch ein Klang mitgegeben, eine Wärme, ein Lächeln vielleicht – und selbst wenn ich schreibe, glaube ich daran, ja, weiss ich, dass das Lächeln dabei Teil der Botschaft wird. Sprache ist das eine, Verstehen das andere. Vielleicht ist es sogar so, dass, wer seinen Worten vertraut, weniger davon braucht?

Es gibt nicht richtig oder falsch, wenn wir miteinander reden. Aber wahr oder unwahr, achtsam oder gleichgültig, wach oder abwesend. Sprache kann Umarmung sein oder Abweisung, kann beides wollen, in beidem unbeholfen bleiben und doch wirken. Denn es gibt auch den, an den sie gerichtet wird, und auch als Empfangende haben wir es in der Hand, zu lesen und zu hören, was uns gesagt wird.

Sprache teilt mit. Und den Inhalt empfangen Zugeneigte. So findet jeder Satz sein Ausrufezeichen und sein Inhalt ein Herz, einen Verstand, der geneigt ist, hinzuhören.