Ein Versuch, die Beobachtungen und Eindrücke in den USA einzuordnen und sie, gültig auch für unsere europäische und schweizerische Situation, zu bewerten. Mit nachteiligem Urteil über die Reflexe der meisten gewählten Politiker.
Die Republikaner in den USA führten in den letzten vier Jahren etwas vor, was beispielhaft zeigt, was eine Demokratie so sehr beschädigt, dass sie mehr einer Farce gleicht als der Umsetzung von Agenden durch demokratisch gewählte Volksvertreter.
Erst einmal muss ich wohl erklären, was ich für eine Demokratie voraussetze: Institutionen, welche die Gewaltenteilung sicherstellen, mit Menschen, die treuhänderisch danach handeln. Exekutive, Legislative und eine unabhängige Gerichtsbarkeit. Im Idealfall leben die in diese Gewalten gewählten oder beförderten Menschen den Prinzipien des Systems nach und stellen damit Ausgewogenheit sicher und die Umsetzung von Aufgaben, welche die Mehrheit für zentral betrachtet, mit Gesetzen, welche die Mehrheit so beschliesst, dass sie praktikabel sind und mit einer Justiz, die sicherstellt und anrufbar ist für jede Prüfung, ob die beschrittenen Wege und die beschlossenen Gesetze verfassungskonform sind. Prinzipiell ist dabei jeder Funktion für die Dauer des Amtes so viel Unabhängigkeit möglich, dass die gewählte Person ihre verkündeten Werte einbringen kann, wenn sie führt, gestaltet oder kontrolliert und Ergebnisse verantwortet. Nur leider ist nach der Wahl vor der Wahl, und was wir in Demokratien, nicht nur in den USA, immer wieder erleben, ist, dass erfolgreiche Personen eigentlich nie als Persönlichkeiten agieren, die gewählt sind, sondern als Stimmungssucher, die wiedergewählt werden wollen. Wenn dann ein Präsident so locker aus der Hüfte befördert und feuert, wie das Mr. Trump zu tun pflegte, ist nicht nur das traurige Schauspiel des Präsidenten zu beobachten, sondern vor allem das kriechende, speichelleckende, im besten Fall mit den Wölfen heulende Verhalten des Rudels, das glaubt, mit dem Trend zu schwimmen. Persönlichkeiten, die agieren und handeln, debattieren und beschliessen, Lösungen und Kompromisse suchen, weil sie an eine Sache glauben und dabei nicht an ihre nächste Wahl denken, sind sehr, sehr selten. Wenn dieses Verhalten auf allen Seiten opportun erscheint, wird das System so marode, dass dem Wähler gar keine wirklichen Alternativen angeboten werden oder diese es nicht in die Auswahl schaffen: Das politische System verliert seine Werte, bis nicht mal mehr die Fassade zu halten ist.
Ganz traurig wird die Bilanz, wenn wir bedenken, dass in den meisten westlichen Demokratien mit einer Personen- und Parteienwahl alle vier Jahre als einziger Art der demokratischen Volksbefragung sich die Wähler immer weniger repräsentiert sehen – denn schon bei der anschliessenden Prüfung der Möglichkeiten von Zusammenschlüssen und Allianzen macht die Kaste der Politiker ihr eigenes Ding – und die Wähler stellen oft sehr schnell fest, dass sie genau diese oder jene Entwicklung auf keinen Fall gewollt haben. Auch in Europa fehlen sehr oft Persönlichkeiten, denen die Wähler abnehmen, dass sie für Prinzipien und Überzeugungen wirklich stehen. Dass sie verlässlich sind. Und den Politikern fehlt die Transparenz, Beweggründe den Bürgern begreiflich zu machen und sie mitzunehmen. Gemeint sind vor allem die Parlamentarier, von Regierung und Opposition, die viel zu oft, zu schnell und zu reflexartig mit dem aufgestellten feuchten Zeigefinger durch die Gegend laufen, um in jedem Fall checken zu können, woher denn nun der Wind gerade weht?
Ganz schmerzlich ist dabei der Eindruck, den die Presse in vielen Ländern von den Bürgern hat. Kaum ein Land, in dem man dem Willen der Bürger wirklich vertrauen würde. Eine echte Demokratie, in welcher eine Mehrheit wirklich etwas verändert, wird gefürchtet, nicht gefördert. Denn die Mehrheit ist dumm, lässt sich manipulieren und versteht den Kern der Probleme nicht. Nicht nur in Deutschland sind geschichtliche Ereignisse bis heute ein Albtraum, der sich nicht wiederholen darf, weshalb Bürger für politisch unmündig gehalten werden. Kein Wunder, artikuliert sich der Protest dann laut und grob – und wird dann erst recht entsprechend abqualifiziert. Die Medien haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Rolle als vierte Macht im Staat auszuüben und werden in vielen Ländern auch nicht mehr so wahrgenommen. Leitmedien stehen für Medien, welche die Menschen leiten wollen, mit Inhalten, die gefiltert und gewertet in die richtige Richtung führen sollen. Diesen Eindruck hat man sich nach und nach verdient – und die Entwicklung der Internetmedien machen es noch schwieriger, auf eine differenzierte, der Informationsaufbereitung und -auslegung verpflichteten Berichterstattung zu entsprechen.
Die Schweiz ist wirklich mit einer aussergewöhnlich günstigen Ausgangslage gesegnet. Wir besitzen eine bald 200jährige Tradition einer Demokratie, in welcher die Wähler auch Stimmbürger sind – ein entscheidender Unterschied, der dem Volk die direkte Einflussnahme auf Sachentscheidungen erlaubt; und die Parteienvielfalt bildet noch immer die Tatsache ab, dass es unzählige Interessenlagen gibt, in denen Befürworter und Gegner immer wieder wechselnd aufgestellt sind. Die Parteien, die Parlamentarier und die Regierungen von Kantonen und Bund müssen ihren Bürgern immer wieder erklären, warum sie ein Projekt, ein Gesetz bejahen oder ablehnen. Kein einziger Politiker kann sich davor drücken, in einer bewegenden Sachfrage sich eine Meinung zu bilden und diese zu begründen. Gewählte Politiker haben einen Auftrag, sollen getreu den Werten, für die sie versichert haben, einzustehen, agieren, entwickeln, Kompromisse suchen. Überprüft und für gut befunden oder korrigiert wird ihre Arbeit aber laufend weiter – durch den Souverän, der eben nicht nur wählt, sondern über genau diese Arbeit immer wieder abstimmt.
So wird es zur Tatsache, dass eine bundesrätliche Delegation in einer Verhandlung mit Vertretern der EU bei jedem Aspekt der bilateralen Verträge die eine Tatsache – höflicherweise möglichst oft unausgesprochen – immer mit am Tisch hat: Wir wissen, wir haben ein direktes Gefühl dafür, was unsere Wähler, eben Stimmbürger, inhaltlich akzeptieren, und was nicht. Ist das auf der anderen Seite des Tisches auch so?
Und eben unser grösstes Glück: Wir sind zwei Jahrhunderte gut gefahren damit. Unser System glaubt an den Volkswillen, die Medien sind geschult darin, die Diskussion zu begleiten und vielfältig zu halten – und es wird nie zu mühsam, nein, es bleibt wertvoll und wichtig, die Mühsal zu bejahen, im politischen Diskurs Mehrheiten zu finden. Im gar nicht so dummen Volk. Das aber auch entsprechend mitmacht und tatsächlich ein Gefühl dafür hat, was das Land braucht. Und dabei bleibt der Frust der jeweiligen Minderheiten nicht aus – aber für – lebensgerecht wechselnde Gruppierungen. Ein jeder macht bei uns immer wieder mal die Erfahrung, wie es ist, zu unterliegen. Es ist ganz bestimmt eine richtige Beobachtung, dass genau deswegen der Anteil der unterlegenen Stimmen nie unbeachtet bleibt. Denn am Ende müssen alle zusammenleben können – und das auch weiter wollen.
Aus allen diesen spontan aufgeführten Gründen bin ich nicht bereit, auch nur ein Element unserer direkten Demokratie für eine Kooperation mit anderen Staaten aufzugeben.
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