Pflichtbewusstsein ist eine Tugend. Doch welche Pflichten sollen mir zur Tugend werden?
Die Welt ist voll von Menschen, die sich mit sehr viel Energie mit ihren Erwartungen an ihre Umgebung beschäftigen und in ihrem Umfeld Wohlverhalten entsprechend ihren eigenen Vorstellungen einfordern.
„Pflicht ist das, was man von anderen erwartet.“
Oscar Wilde
Pflichtbewusstes Verhalten ist meist tradiertes, anerzogenes Verhalten und dann auch ein Zwang, ein Gefängnis, aus dem der Mensch nicht heraus findet: Dann funktioniere ich ein Leben lang so, wie „man“ das von mir erwartet, egal wie unglücklich ich dabei bin.
Manchmal wäre es besser, ich verhielte mich mehr nach meinem inneren Gefühl und kümmerte mich weniger darum, was „man“ zu tun hätte. Persönlich kann ich sagen, dass die Brüche in meinem Leben oft Aufbrüche waren, wenn ich eine Erwartung bewusst nicht erfüllte. Das bedeutete eine Befreiung und keine Flucht, denn ich konnte ja der Erwartung von aussen nicht einfach mein eigenes Empfinden entgegensetzen. Daraus musste und sollte ja meine eigenen Erwartung werden, die mir dann auch wirklich positiver Ansporn sein konnte.
Hörst du den Satz: „Man tut so was nicht“, so ist Vorsicht geboten und die Frage liegt nahe: „Warum?“ Die Antwort, so ich dann eine bekam, sprach oft für sich selbst.
„Das macht man einfach nicht.“
Mit einem bereitwilligen „Warum?“ als Frage zu all meinem Tun herum zu laufen, kann sehr anstrengend sein. Ich sollte dabei vor allem darauf achten, dass ich diese Frage mehr mir selbst gönne und mein Verhalten damit hinterfrage, als damit meine Umgebung zu drangsalieren – sonst werde ich sehr schnell und mit Recht den eingangs dieses Textes beschriebenen Pflichtenbeschwörern zugeordnet.
Doch generell kommt die Frage: „Warum?“ in meinem Leben viel zu wenig vor. Nicht wahr,
Thinkabout?
Ursprung: thinkabout.myblog.de am 3.11.04 08:41, heute stark redigiert
Sehr anregender Text. Die rechtliche und gesetzliche Freiheit, sich Pflichten und Erwartungen zu entziehen, als „Selbstfindungsbooster“, besteht noch nicht lange und hatte somit lange philosophischen oder revolutionären Charakter. Mein Vater hat seine Sturm-und Drangzeit u.a. im Russlandfeldzug vebracht. „Wer nicht exakt parierte, wurde an die Wand gestellt“. Solche Rechtsordnungen sind die Schmiede des „Das tut man doch nicht“. Für viele Menschen ist die Nichterfüllung von Erwartungen immer noch eine Vision, ein Traum. Menschen aus Russland, Burma, N-Korea, China und, und, und – und bald auch das moderne Hongkong (über-)leben davon, Erwartungen zu erfüllen. Das macht mich sehr traurig.
Lieber Harald
Ich danke Dir für Dein persönliches Erzählen! Wenn ich mir die Erfahrungen Deines Vaters bewusst mache, kommt mir sofort wieder der Gedanke: Wir sind uns viel zu wenig bewusst, welche Werte es zu erhalten gibt, und wie viele Generationen und damit Menschen mit persönlichem Mut und Überzeugung für diese Freiheiten eingestanden sind. Dabei ist nicht nur die direkte Demokratie ein unfassbar einmaliges Geschenk, sondern eben auch die relative Freiheit, in welcher wir nach eigenen Vorstellungen unser Leben gestalten können. Leider geht uns nicht nur der Wert dieses Privilegs oft vergessen – wir haben in unserer hemmungslosen Konsumgesellschaft auch zunehmend Schwierigkeiten, uns darauf verpflichten zu lassen, dass die persönliche Freiheit ihre Grenzen haben muss, wollen wir als Gemeinschaft lebendig bleiben. Das Miteinander darf nicht vor die Hunde gehen. Das könnte doch eine allgemein anerkannte Erwartung sein. Dann wäre ganz viel gewonnen.