Archiv für den Monat: März 2021

29.März 2021, 23:15

Normalität und Veränderung

Wir wünschen uns die Normalität zurück. Wir haben genug. Wir fühlen uns bedrängt, manipuliert, eingesperrt. Wir wollen unser Leben zurück. Die Beizen, das Strassenleben, die Lebendigkeit, das Gesellige, den Konsum. Und was ist mit den Aufgaben, denen wir uns für den Erhalt der Erde zu stellen haben?

Ich kann verstehen, dass junge und alte Klimaaktivisten sich daran reiben, dass es der Masse ganz offensichtlich schlicht darum geht, den Konsum wieder aufnehmen zu können – während doch die Zeit der Lockdowns gerade der Natur in einigen Segmenten ein bisschen Durchatmen erlaubt haben mag. Aber die Nachhaltigkeit in unserem Verhalten kann sich nicht durch die Angst vor einem Virus einstellen. Sie muss verstanden und gelernt werden – und gewollt. Aus freien Stücken. Und darum bleibt der Konsum unser Thema, dem wir uns stellen müssen, eine jede Person persönlich: Was vertreten wir? Was brauchen wir? Und was meinen wir mit „brauchen“? Wir werden auf jeden Fall in unserer Gesellschaft nie einen politischen Kurs durchgesetzt bekommen, welcher nicht das Auskommen für Alle möglich macht. Und sehr viele Segmente unserer Wirtschaftsleistung erbringen wir für Güter, die ein Bedürfnis befriedigen sollen, das zuvor künstlich geschaffen wurde.

So sind wir und so bleiben wir. Wir wollen es bequem und schön haben – was das heisst und wie sehr, müssen wir definieren, erst allenfalls neu lernen. Oder korrigieren. Unsere Einstellung zum Konsum kann sich nur anhand der Erfahrungen ändern – und vielleicht haben wir eine Ahnung gewonnen, wie es auch gehen könnte. Aber, ganz ehrlich: Was wir der Natur an Atempause ermöglicht haben, ist ein Klacks – und ging auf Kosten vieler Menschen, die umgekehrt bildlich gesprochen viel zu wenig Sauerstoff bekommen haben. Der Weg, ein natürlich natürlicher Mensch zu werden, ist verdammt lang – und gewissermassen zubetoniert. Und doch müssen wir zurück, zurück in unsere Normalität, in das, was wir darunter verstehen, weil nur Programme und Leitlinien, die wir frei entscheiden, in wirklicher Sorge um die Natur, so ehrlich und konsistent sind, dass sie Stresstests bestehen. Das macht nicht unbedingt optimistisch, ich weiss. Genau so wenig, wie die Tatsache, mit wie wenig Umsicht und Lebensnähe wir dem Virus die Stirn geboten haben – oder auch nicht.

Alles, wirklich alles, bleibt eine Frage der persönlichen Einstellung. Es ist das, was mir am meisten in den Knochen sitzt und sich als bleibende Erfahrung anfühlt:

Meine persönlichen Werte und meine Sicht auf meine Endlichkeit haben sich gefestigt, so dass ich dadurch ganz viel Frieden spüre und Freude an meinem Leben. Aber die Welt, die mich regiert, mit welchen guten oder weniger guten Absichten auch immer, ist mir fremder geworden. Das wird mich nicht hindern, in meiner Freude so zu leben, dass es auch andere spüren können. Ich will Menschen gut tun und sie nicht verunsichern. Aber ich verstehe die Unsicherheit, und ich befürchte, dass sie zu oft nicht ausgehalten wird, sondern zugedeckt. Wir passen uns an. Suchen bestenfalls einfache Antworten. Die niemand hat. Heute weniger denn je.

Dabei ist so unfassbar Vieles in uns Allen angelegt… denn wir haben das Leben in uns. Wir sind Schöpfung.

29.März 2021, 0:45

Heimkoller

Im Militär haben wir manchmal vom Lagerkoller gesprochen. In der aktuellen Homeofficezeit, die in ihrer Durchsetzung ja nicht auf einer bewussten Arbeitsplatzgestaltung beruht, sondern von den Unwägbarkeiten und Unverständlichkeiten behördlicher Vorgaben stark mit beeinflusst wird, stelle ich ähnliche Phänomene fest. Es reicht langsam, und ganz allmählich werden wir stinkig.

Ein Video-Chat oder erst recht eine Videokonferenz ist auch kein Telefongespräch. Die Menschen auf den Bildschirmen kommen uns mit ihren Gesichtern sehr viel näher als in jeder tatsächlichen Begegnung, und oft unbemerkt liegt darin eine Nähe, die uns stresst. Sich selbst beim Reden sehen zu können, macht es auch nicht einfacher. Kurz: Unsere „Kontakte“ sind Notbehelfe, und sie ersetzen die persönliche Begegnung in keiner Weise. Mir scheint, dass Viele an dem Punkt angekommen sind, an dem ihnen das Zuwenig eindeutig Zuviel wird.

Tools der Online-Kommunikation, die wir doch ursprünglich mit so viel Freude eingerichtet hatten, weil wir uns damit zeigen konnten, dass wir uns doch zu helfen wissen, nutzen sich ab. Die Chats werden seltener, der Humor wird dünner, die Gehässigkeit grösser, will heissen, Witze werden vermehrt auf Kosten anderer gemacht, oder Luft muss entweichen. Dafür eignen sich Politiker als Zielscheiben immer, aber es kann auch andere treffen – und dabei treffen wir uns selbst. Weil die üble Laune dadurch nicht wirklich entweichen kann, ist das eine Sackgasse, und mit der Zeit wird es im eigenen Oberstübchen so muffig wie in einer wochenlang nicht mehr gelüfteten Studierstube. Mein Rat: Ehrlich mal sagen, wie sehr einem die ganze Situation auf den Keks geht, es aber so formulieren, dass andere durchaus erkennen können, dass es tiefer geht. Hat man mit etwas Mühe, erfordert es eine persönliche Mühe, da raus zu kommen, sich auf ein positives Niveau zurück zu hieven. Wenn man dann dabei durch exakt die angesprochenen Tools Hilfe bekommt, durch Menschen eben, die ja die Situation kennen, dann sind die Onlinehilfen plötzlich wieder so toll, wie sie tatsächlich sein können. Weil wir sie nutzen, indem wir nicht nur an der Oberfläche bleiben.

Ich würde mal vermuten, dass sehr Viele, die als „Verantwortliche“ Corona-Massnahmen in Betrieben umsetzen und durchsetzen mussten, sehr viel Unwillen abbekommen haben, ohne dafür auch nur das Geringste zu können. Mit der Zeit hilft es diesen Personen dann auch nicht weiter, wenn der üblen Laune der Satz nachgeschoben wird: Ich weiss ja, dass Du nichts dafür kannst. Darum gilt wohl auch hier: Wenn wir uns um eine positive Sicht bemühen, immer wieder, helfen wir nicht nur uns. Aber uns ganz sicher.

24.März 2021, 18:30

10min schreiben über: Dankbarkeit

Danke sagen, ist eine Höflichkeit, ein Erziehungsschritt für Kinder, eine gesellschaftlich angebrachte Norm – zumindest war es das lange Zeit. Danke sagen können ist auch eine Fähigkeit – denn sie schliesst ein, dass der Support eines Menschen mir selbst weiter geholfen hat. Ich konnte Hilfe gebrauchen. Vielleicht habe ich sie bekommen, ohne danach zu fragen, vielleicht wurde sie mir aufgedrängt, vielleicht aber habe ich es einfach nicht fertig gebracht, darum zu bitten. Dann also um so mehr Danke! Dankbarkeit ist aber auch eine Lebenseinstellung.

Wer Dankbarkeit empfinden kann für das, was ist, für die Umstände, die sein Leben ausmachen, auch und gerade im Kleinen, der verfügt über eine Ruhe, eine Bescheidenheit, die auch in allfälliger Mühsal erkennt, dass es viele Dinge und Menschen gibt, welche die Herausforderungen leichter machen. Dankbare Menschen sehen das Glas nie leer. Dankbarkeit kann auch auf einer Einsicht beruhen, einer Weisheit, die da weiss, dass unser aller Leben jederzeit zu Ende sein kann. Niemand kann erwarten, dass ihm genügend Zeit bleibt für alles, was im Leben noch geändert gehört. Oder verbessert. Es kann morgen vorbei sein. Also ist es ganz wichtig, dass ich meinen Frieden machen kann mit allem, was war oder noch nicht ist. Auch der grösste Macher ist von der Gnade abhängig, Zeit zu bekommen – und die Fähigkeit, für Umstände dankbar zu sein, die ihm gegeben werden, verhindert Überheblichkeit. Und wenn wir dann also Zeit bekommen, Raum haben, gestalten können, verändern, verbessern, so ist auch dafür die Basis etwas, was uns gegeben wurde, ohne dass wir wirklich wissen, warum. Das Geschick hat uns gütig bedacht, und das kann genau so rätselhaft bleiben wie die Antwort auf die Frage, warum mir gerade dieser oder jener Mensch geholfen hat? In der Hilfe sind wir auch immer Engelsboten, Kameraden, Freunde, und die Stärke, die wir teilen, schenkt uns Vertrauen. Danke dafür. Eine gute Voraussetzung, um den nächsten Moment heller werden zu lassen, oder sein Licht zu sehen.

20.März 2021, 23:50

10min schreiben über: Ganzheitlichkeit

So viele von uns sind heute zu Netzwerkern geworden. Wir vernetzen uns weitläufig und tiefgehend, um möglichst ganzheitlich abschöpfen zu können, was uns irgendwann mal an Kontakten hilfreich sein könnte. Wir wollen alles, das Ganze, wir träumen von der Übersicht. Dabei ist uns vernetztes Denken nach wie vor eine Herausforderung, an welcher wir immer scheitern, und viel früher, als wir es uns zutrauen, wenn wir von den grossen Eingriffen in die Natur sprechen. Wir verändern einen Baustein, manipulieren ein Gen, transferieren Stammzellen und machen Mensch und Natur zur Reperaturstelle. Wir flicken drauflos – und haben dabei keine Ahnung, was wir damit an Wechselwirkungen und Folgeentwicklungen auslösen. Wir haben so viel gelernt über „die Welt“ – und wissen dabei so wenig. Und genau das müsste uns doch als tiefste Erfahrung bleiben. Doch die Realität ist genau die umgekehrte. Wir denken begrenzt, und beobachten eben auch zeitlich kurzfristig, was wir auslösen – vorausblickend können wir das eh nicht.

Die Ganzheitlichkeit im Denken, welche der Schutz der Natur oder des Klimas im Speziellen erfordern würde, überfordert uns. Dabei scheitern wir schon an der Übungsanordnung, denn schon wie wir Ganzheitlichkeit definieren, ist von unseren Prioritäten abhängig, und solche setzen wir immer. Niemand von uns gewichtet alles gleich, ist komplett wertfrei gegenüber Einschränkungen, die irgend jemand für uns zum Wohle anderer oder Aller andenkt. Und wie bitte wollen wir nur schon neutral berechnen können, was für einen bestimmten Flecken Erde denn besonders wichtig wäre? Die Verbesserung der Luftqualität oder des Grundwassers? Was schützen wir zuerst und wie effektiv, und welcher Eingriff hat denn tatsächlich welchen Effekt und wie schnell?

Die Energiebilanz des Elektroautos ist ähnlich mies wie die des Diesels, aber es stinkt halt schon viel weniger vor der Haustür. Ganzheitlichkeit wirklich zu versuchen, sie im Denken anzustreben, ist schon eine Charakterfrage. Und auch wenn wir dabei gar nicht erfolgreich sein können, wäre es wohl ehrlicher und darum auch zielführender, wenn wir uns schon dieser Problematik gleich zu Beginn bewusst wären. Auf dass kein Hochmut über uns komme. Das Verzagen daran dann zu verhindern, ist die wohl noch grössere Aufgabe. Mit dem Versuch, weniger zu verbrauchen, können wir allerdings GANZ am Anfang jedes Tages neu beginnen.

16.März 2021, 23:30

10min schreiben über: Ende

Das Ende. Wir sehnen es herbei, wir zögern es hinaus. Wir versuchen, dahinter zu kommen, wenn wir glauben, das Danach würde sicher besser. Wir wollen das Schöne festhalten, auf dass es nicht enden möge. Aber ist nicht ganz Vieles gerade deswegen so kostbar, weil es vergänglich ist?

Wir geben uns beherrscht, wir beherrschen Dinge, Tätigkeiten, Verhaltensweisen, kontrollieren unsere Emotionen und bemühen uns um rationale Antworten auf Fragen. Manchmal erliegen wir der Illusion, etwas „endgültig“ zu wissen – oder begriffen zu haben. Aber was kommt denn dahinter, hinter dem Ende unserer Fragen? Wie verhalten wir uns, wenn das Ende da ist? Eine Arbeit, ein Projekt, Ferien, eine Reise, eine Aufgabe, eine Anstellung. Fast alles hat ein Ende. Alles? Gibt es Ewiges? Wissen und Einsichten, Fragen und Zweifel, die uns auf jedem neuen Abschnitt, der wieder ein Ende haben wird, immer begleiten?

Hätten alle unsere Wege nicht dieses Ende, wir wären nicht herausgefordert, über den Weg hinaus zu denken, oder nach links oder rechts zu schauen. Wenn wir alt werden, läuft die Zeit nicht langsamer, aber wir tun es. Wir kommen zu einem Ende. Oder zu einem letzten Anfang, der jedem Ende seine Wahrheit entgegen stellen kann, die wir gar nicht sehen können, bevor wir dieses Ende hinter uns gelassen haben?

Das Ende einer Freude oder einer Mühsal kann bis dahin immer der Anfang einer neuen solchen sein. Wie wir den Weg gehen, wie wir Brüche annehmen und – eben – Enden überwinden und Anfänge wagen, ist eine Frage des Lebens. Bis zum Ende.

14.März 2021, 19:00

Nicht schweigen. Nicht schreien.

Ich würde mich informiert nennen. Einigermassen. Und interessiert. Vieles, was „in der Welt“ geschieht, treibt mich um. Ich habe schnell eine Meinung. Und ich äussere sie. In Kommentaren, Foren, Briefen. Ich bin mit meinen Betrachtungen direkt bei der Gesellschaft, die wir alle bilden, und sehe mich darin bestätigt, dass wir uns nicht wirklich entwickeln, sondern verlieren.

Dann schreibe ich dagegen an. Ich bin emotional. Es schreit in mir. Und wenn der Text das einmal nicht verrät, so unterdrücke ich es nur. Im Schrei aber liegt Verzweiflung. Ich bin enerviert über die Dummheit anderer und kann doch nie ausschliessen, dass am Ende doch ich der Dumme bin. Meine Kritik setzt sich auch immer dem Verdacht aus, auf der Arroganz einer Besserwisserei zu gründen, so dass der so häufig gehörte Satz viel zu gut passt: „Man weiss es nicht.“ Ich weiss es nicht. Es fühlt sich aber so viel einfach so falsch an. Und ich frage mich schon, ob diesem Gefühl, das wir in uns tragen, nicht mehr zu trauen wäre – und wie nahe wir dabei wohl einander sind?

Die Kunst ist, den gefühlten Aufruhr sanft auszuhalten, Momentaufnahmen mit all ihren Unsicherheiten zu erstellen und darauf zu hören, was mir meine inneren Koordinaten sagen. Dann ist es auch möglich, nicht zu schreien. Dann mache ich keinen Lärm, gebe aber auch keine Ruhe. Ich spare Energie und schaffe positives Denken, um DAS nicht zu lassen, was mir wichtig ist: Ich beobachte und sehe meine Welt und die unsere, und ich bin gewiss nicht allein im Gefühl, dass wir ganz vielen Herausforderungen der Gegenwart nicht im bisherigen Trott gewachsen sein werden. Ob wir einen anderen Weg, überhaupt einen Weg finden? Spätestens die Enkelkinder Eurer Kinder könnten es Euch wohl sagen. Und ich hoffe, dass sie dabei nicht zu Schreien beginnen.

12.März 2021, 0:25

Hinaus, mir entgegen

Es liegt nicht an Corona, dass ich nicht Joggen gehe. Erst haben mir das Hunde überforderter Frauchen und Herrchen vor Jahren schon madig gemacht, und mittlerweile bin ich auch zu träge dafür geworden. Vielleicht juckt es mich ja wieder, wenn ich lange genug in früheren Texten stöbere und an ihnen rum bastle. Allerdings hat das ein Jahr Corona noch nicht geschafft…

Ich lasse mich nicht einsperren. Auch heute will ich joggen.
Ich freue mich, gleich mit meinen Gedanken allein zu sein.
Ich hoffe auf etwas Schwerelosigkeit in meinem Körper, auf die ganz bestimmten Minuten, die mir suggerieren, genau so endlos weiter laufen zu können.

Asthma hat mich in den letzten Tagen zweimal abbrechen lassen. Deprimiert hat mich das nicht. Die langen Wege der letzten Monate haben mich schon etwas gelehrt:

Für mich geht es nicht um Leistung. Fehlt mir die Luft, dann habe ich eben Zeit, inne zu halten.
Anhalten, rasten. Wer sagt, dass es immer vorwärts gehen muss? Ist der Schritt vorwärts immer ein Fortschritt?

Ich muss immer seltener wissen, wie weit ich laufe. Oder wie schnell.
Ich laufe mit mir.
Bin ich bei mir?
Tanzen meine Gedanken davon oder sammeln sie sich?
Die frische Luft kühlt meine Haut.
Gott legt mir die Freude auf den Weg vor meinen Füssen und in jeden Atemzug. Frei atmen können. Ich weiss, wie wunderbar das ist. Ich staune über die Quelle unserer Energie. Rund hunderttausendmal schlägt unser Herz jeden Tag, versorgt uns, ohne dass wir einen Gedanken dafür haben.

Ich bin dankbar für jedes Stück Bewusstsein, für jede Zeile, die ich schreibe, für jeden Schritt, den ich auf meiner Strasse mache.



thinkabout.myblog.de vom 6.11.04, heute redigiert

08.März 2021, 21:30

Das soziale Dilemma online

Seit der Ankündigung von Whatsapp über die sich ändernden Datenschutzbestimmungen nimmt die Diskussion über den Wert und die Geissel der verschiedenen Plattformen wieder mal Fahrt auf. Wer hier liest oder mit mir privat Kontakt hat, weiss es längst: Ich habe mich wenigstens mal von den Erzeugnissen aus dem Hause Zuckerberg abgehalftert – und bin mir dabei bewusst, dass das nie komplett gelingen kann. Aber es soll hier mehr um uns gehen, um dich und mich. Denn ganz egal, wie verknechtend Logarithmen agieren wollen – wir bleiben selbst in einer Verantwortung – und entscheiden mit jeder Aktion über die Art und den Gehalt unserer Kommunikation. Dieses Wort ist ein Witz – oder tatsächlich eine Begegnungschance, für welche die virtuelle Welt alle Distanzen überwinden kann. Das bestimmen wir tatsächlich.

Wenn treffend festgestellt und uns auch vor Augen geführt wird, dass wir für die Social Media – Kanäle nicht die Kunden sind, sondern das Produkt, dann liegt es trotz aller Manipulationen doch nach wie vor und unbestreitbar an uns, welchen Gehalt unsere Nutzung der Kanäle hat – für die mit uns verbundenen Menschen und für uns selbst.

Schauen wir auf die Jungen und sind wir uns dabei bewusst, dass wir mit unserem eigenen Verhalten gewissermassen das Vorbild sind. Jaaah, so ungern das heute Menschen hören wollen, aber es gilt nach wie vor: Junge beobachten und imitieren die Erwachsenen, und selbst wenn sie in der Pubertät vor allem Ablehnung entwickeln und sich exakt über Kontras definieren wollen, kehren sie zur Auseinandersetzung mit den Vorgaben zurück, wenn sie selbst Entscheidungen treffen müssen. Das Schlimmste dabei ist eh, wenn wir einfach machen lassen – oder die Auseinandersetzung mit dem galoppierenden Fortschritt nicht annehmen – wenn wir für unsere Kids so für von gestern gelten, wie es die Politiker oft tatsächlich sind, dann wird es sehr schwer. Damit das anders kommt, ist aber vor allem die eigene Auseinandersetzung mit dem persönlichen Verhalten angesagt: Wie reagiere ich darauf, wenn ein Facebook-Post viel weniger Likes erhält als normal? Wie, wenn Kollegen viel mehr Beachtung finden? Selbst wenn wir nur eine Zahl registrieren oder eine Einblendung, so sollten wir uns bewusst sein, dass das etwas mit uns macht. Social Media zwingt uns – ist uns denn unsere eigene Psychologie und Denkweise Wert, geschützt oder überprüft zu werden – ganz persönliche Fragen an uns selbst zu richten:

Was ist meine Motivation für meine Online-Aktivität? Wie reagiere ich auf fehlende Beachtung? Wie oft kehre ich zu meinem Handy zurück, weil ja vielleicht noch jemand geantwortet hat? Wie stark weicht meine tatsächliche Online-Präsenzzeit (vor allem am Handy) von meinem vermuteten Wert ab? Wieviel Bestätigung brauche ich? Und wie soll sie aussehen? Bin ich davon abhängig?

Oder:

Würde ich mich mit den Personen, mit denen ich „in Kontakt stehe“, auch gerne treffen wollen?
Habe ich Zeit, aus einem Chat ein Gespräch werden zu lassen?

Bild: iStock/megamix

Es ist unfassbar, was zum Beispiel sog. Filterprogramme, mit denen Selfies bearbeitet werden können, bei Jugendlichen anrichten. Der Druck, so aussehen zu wollen und dann zu müssen, wie eine Instagram-Vorlage oder eine Selfieoptimierung, die ja doch augenscheinlich „schöner“ ist als ich selbst, kann in der virtuellen Blase, in welcher die Kinder stecken, rasend schnell ein Problem werden.

Und wie lesen wir Nachrichten? Aus welchen Quellen? Sind wir uns bewusst, was „googeln“ für die Informationen, die wir ausgespuckt bekommen, bedeutet? Was geschieht mit uns, wenn wir uns hauptsächlich über unsere Twitter- und Facebook-Accounts und über Youtube und Google News informieren? Über Kanäle, die EIN Ziel haben: Dass du möglichst schnell auf viele weitere Impulse mit Clicks reagierst. Liest Du aber einen Text in aller Ruhe zu Ende und denkst dann auch noch darüber nach, bist du schon fast der Albtraum der Portalkonstrukteure… Der Gedanke gefällt mir gerade sehr…

Und dann muss diese Bemerkung unbedingt noch sein: Aktuell werden die verschiedenen Messenger wie WhatsApp, Signal, Telegram und Threema (und es gibt noch einige mehr) mit einander verglichen. Threema hat den Nachteil, dass es als einziger dieser Anbieter kostenpflichtig ist. Aber nicht dass ihr nun meint, Threema koste eine monatliche Nutzungsgebühr oder so. Nein. Es geht schlicht um 3 Märker, die ihr einmalig abdrücken müsst, wenn ihr den Dienst nutzt. Aber alle Testberichte führen diesen Umstand ernst gemeint als Nachteil auf. Weil sie wissen, wie die Online-Welt darauf reagiert: Es herrscht eine Pfennigfuchserei vor, die unfassbar ist. Der Anspruch, dass alles gratis verfügbar sein soll, hockt ganz tief – und so braucht sich wirklich niemand zu wundern, dass die Firmen Wege suchen, dass sie anderweitig mit uns Geld verdienen – aber dann so richtig. So ergibt eines das andere: Wir wollen gratis konsumieren und finden uns darin vereint mit der Welt, bilden die grösstmögliche Ansammlung von Klickvieh und sind so ein Paradies für noch grössere Datensammlungen und Datenverwertungen.

Versteht mich nicht falsch: Ich finde das Internet fantastisch. Ich habe Leser. Ich werde immer wieder überrascht. Ich bleibe motiviert, so lange ich mir bewusst bin, dass ein vertiefter Kontakt sehr viel mehr Wert ist als eine Vielzahl von „Views“, „Clicks“, „Likes“.
Ich habe übers Internet viele hoch spannende Menschen kennen gelernt, und echte Freunde gewonnen. Vielleicht habe ich, im dankbaren Bewusstsein über diese Tatsache, endlich kapiert, WIE das gelungen ist. Durch wirkliche Kommunikation, durch Teilung und Zuhören mit Herz und Seele. Und Meinungen durfte ich mir bilden, vertieft. Durch gründliche, sachliche Argumentationen, die mich erreicht haben, durch gesetzte und gelebte Beispiele. Das Internet kann phantastisch sein. Wenn es zu meiner Lebendigkeit beiträgt. Und mit ihr ist nicht das helle Display gemeint, nicht wahr?


Netflix-Dokumentation: Das Dilemma mit den sozialen Medien.

Trailer:

04.März 2021, 7:12

Arbeit macht froh??

Genau so wie Arbeit nicht frei macht, ist sie ganz bestimmt für viele Menschen auch kein Freudespender. Arbeit macht erst richtig froh, wenn man darin eine Berufung erkennt – oder wenn man ein Team erleben und als dessen Teil etwas mit gestalten darf zu einem ganzheitlichen Gelingen. Unsere Freude an und bei der Arbeit ist also davon abhängig, wie sehr wir gefördert werden, weil die Arbeit zu unseren Talenten passt und die Menschen, die uns dabei begegnen, uns etwas zutrauen. Oder wir haben das Wissen über unsere Arbeit, dass sie notwendig und daher sinnvoll ist. Deshalb finden wir einen positiven Bezug zu ihr.

(c) Thinkabout: Bäuerin im Ladakh

Wer arbeitet, um schlicht das Pensum abzuspulen, das er zum überleben braucht, nach dem Motto, ohne Knete kein Brot, kann es vielleicht nicht besser treffen, für den Moment. Was aber, wenn sie oder er sich damit zufrieden gibt, dass Arbeit einfach sein muss, egal ob sie Spass macht? Es gelingt nicht, acht Stunden des Werktages in einer stumpfen Ecke seines Bewusstseins zu vergraben, um dann nach Büroschluss oder Schichtende mit dem Leben anfangen zu können. Das funktioniert nicht:

„Wer an der Arbeit keine Freude findet, dem wird sie in der Freizeit keinesfalls geschenkt.“

Ernst R. Hauschka

Wir sollten uns immer selbst so wichtig sein, dass wir unsere Erwartungen von Arbeit und Freizeit nicht vollständig trennen. Denn wir tragen immer unser ganzes Ich bei uns, auf dem Weg ins Kino genau so wie frühmorgens auf dem Weg „in den Stollen“. Wir brauchen Nahrung für uns selbst, für unseren inneren Frieden, für die Balance unserer Schritte durch den GANZEN Tag. Wenn der Job also öde ist, ist das ein Problem. Und finde ich keinen anderen oder besseren, so muss der Tag eben mit diesem Job besser werden. Also versuche ich doch besser, auch bewusst zu arbeiten, etwas mit Hand und Fuss abzuliefern, damit ich für mich selbst eine positive Rückmeldung über mein Tun und Verhalten bekommen kann.
Mag mir die Anerkennung auch versagt bleiben, ich für mich weiss, wann ich zufrieden mit mir sein kann. Wie werde ich danach den Kinobesuch noch freudvoller geniessen!

Und übrigens: Der Chef, der meine Arbeit nicht wertschätzt, trägt den eigenen Frust mit in seine Tage. Dass ich das von ihm abbekomme, ist nur scheinbar nicht sein Problem. [Und jaaah, es kann auch die Chefin sein!!]


thinkabout.myblog.de vom 6.11.2004, heute in mehreren Teilen redigiert

01.März 2021, 0:10

Die Sache mit der Aufmerksamkeit

Den folgenden Text habe ich im November 2004 geschrieben. Bis das erste iPhone in Europa auf den Markt kam, sollte es noch drei Jahre dauern:

Wie viele Möglichkeiten elektronischer Unterhaltung und Kommunikation hat unser Erfindungsgeist uns in den letzten 50 Jahren beschert?
Die Werbung preist uns alle diese Erzeugnisse an, ob Handy, Computer, Internet etc. Alles für uns und unsere Kommunikation!

Und was machen wir daraus?
Wir stürzen uns darauf, schaffen uns hoch auflösende Displays und „multiphone“-Klingeltöne an und was weiss ich was noch alles – um uns damit in Belanglosigkeiten selbst zu ertränken.
Wir verbreiten bedeutungslose Hülsen, statt uns um Inhalte zu kümmern. Wichtig ist, dass wir die Dinger alle brauchen, dass wir sie besitzen, aber nicht, was wir damit anstellen. Und statt dass wir Zeit gewinnen würden damit, verbrauchen wir sie durch Ablenkung. Den Wert, den diese neuen Möglichkeiten haben, erfassen wir nicht. Wir verwechseln ihn, verdecken ihn, indem wir Statussymbole aus den Tools machen. Jeder will erreichbar sein und misst damit die eigene Bedeutung. Dabei gibt es nichts Armseligeres als einen Gesprächspartner, der eine Unterhaltung unterbricht, weil er nervös seinen ganzen Körper abtastet, um das Hosentelefon, das gerade nicht dort zu sein scheint wo es sein sollte, zum Schweigen zu bringen.
Verzeihung, wertes Vis-à-Vis… reicht das, um zu erkennen, dass wirklich bedeutend ist, wer NICHT erreichbar sein muss oder will?

Man könnte ja hoffen, dass – wenn wir erst mal etwas Übung haben – wir uns schon wieder einkriegen und die moderne Technologie sinnvoller anwenden, , so dass der allgemeine Fortschritt nicht vor allem den persönlichen Rückschritt offenbart…

Aber wie ist es denn aus uns im Umgang mit dem guten alten Fernseher geworden? Wer schaut denn von uns bewusst fern? Selektiv, mit Bedacht – und konzentriert? Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen ganz ohne Programmzeitung auskommen. Das Ding läuft ja eh und es darf gezappt werden, was das Zeug hält. Wie viel Zeit vernichten wir doch täglich mit dieser Kiste! Ich nehme mich da nicht aus, weiss Gott nicht!

Von Zeit zu Zeit macht es allerdings „Klick“, und ich begreife für einen Tag, welchem Bock ich da aufsitze.

Ein gutes Buch macht dann den Abend zu etwas Besonderem, und wenn ich am ncähsten Tag eine gute Dokumentation bewusst auswähle, sie mir anschaue und nachher den Kasten auch wieder ausschalte, ja, dann finde ich mich gut. Ich darf mir dann einbilden, die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Unterhaltung kontrollieren und tatsächlich gewinnbringend einsetzen zu können. Und dann, ja dann ist es tatsächlich toll, alle diese Möglichkeiten zu haben und sich wie in einem Gespräch von Menschen berühren zu lassen. Dann schaue ich ihre Berichte aufmerksam an und es ist fast, als begegnete ich den Menschen, von denen sie erzählen, selbst persönlich.

Aber eine Begegnung mit Freunden für einen Fernsehabend eintauschen? O nein! Nichts geht über eine reale Begegnung, in der Wärme, Herz, Seelentiefe ausgetauscht und immer wieder neu angeboten wird.


thinkabout.myblog.de vom 7.11.2004, heute redigiert

Unfassbar… ich darf gar nicht daran denken, dass diese Gedanken und Beobachtungen aus einer Zeit stammten, in welcher es noch nicht mal Smartphones gab. Heute haben viele Menschen Schwierigkeiten, fünf Minuten nichts zu tun. Es macht sie nervös, während sie die ständige innere Unruhe im eindimensionalen Multitasking mit ihrem Smartphone gar nicht mehr wahrnehmen. Wann hast Du das letzte Mal fünf Minuten nichts getan?