Ressort: Lebenskunst(Weitere Infos)

08.März 2021, 21:30

Das soziale Dilemma online

Seit der Ankündigung von Whatsapp über die sich ändernden Datenschutzbestimmungen nimmt die Diskussion über den Wert und die Geissel der verschiedenen Plattformen wieder mal Fahrt auf. Wer hier liest oder mit mir privat Kontakt hat, weiss es längst: Ich habe mich wenigstens mal von den Erzeugnissen aus dem Hause Zuckerberg abgehalftert – und bin mir dabei bewusst, dass das nie komplett gelingen kann. Aber es soll hier mehr um uns gehen, um dich und mich. Denn ganz egal, wie verknechtend Logarithmen agieren wollen – wir bleiben selbst in einer Verantwortung – und entscheiden mit jeder Aktion über die Art und den Gehalt unserer Kommunikation. Dieses Wort ist ein Witz – oder tatsächlich eine Begegnungschance, für welche die virtuelle Welt alle Distanzen überwinden kann. Das bestimmen wir tatsächlich.

Wenn treffend festgestellt und uns auch vor Augen geführt wird, dass wir für die Social Media – Kanäle nicht die Kunden sind, sondern das Produkt, dann liegt es trotz aller Manipulationen doch nach wie vor und unbestreitbar an uns, welchen Gehalt unsere Nutzung der Kanäle hat – für die mit uns verbundenen Menschen und für uns selbst.

Schauen wir auf die Jungen und sind wir uns dabei bewusst, dass wir mit unserem eigenen Verhalten gewissermassen das Vorbild sind. Jaaah, so ungern das heute Menschen hören wollen, aber es gilt nach wie vor: Junge beobachten und imitieren die Erwachsenen, und selbst wenn sie in der Pubertät vor allem Ablehnung entwickeln und sich exakt über Kontras definieren wollen, kehren sie zur Auseinandersetzung mit den Vorgaben zurück, wenn sie selbst Entscheidungen treffen müssen. Das Schlimmste dabei ist eh, wenn wir einfach machen lassen – oder die Auseinandersetzung mit dem galoppierenden Fortschritt nicht annehmen – wenn wir für unsere Kids so für von gestern gelten, wie es die Politiker oft tatsächlich sind, dann wird es sehr schwer. Damit das anders kommt, ist aber vor allem die eigene Auseinandersetzung mit dem persönlichen Verhalten angesagt: Wie reagiere ich darauf, wenn ein Facebook-Post viel weniger Likes erhält als normal? Wie, wenn Kollegen viel mehr Beachtung finden? Selbst wenn wir nur eine Zahl registrieren oder eine Einblendung, so sollten wir uns bewusst sein, dass das etwas mit uns macht. Social Media zwingt uns – ist uns denn unsere eigene Psychologie und Denkweise Wert, geschützt oder überprüft zu werden – ganz persönliche Fragen an uns selbst zu richten:

Was ist meine Motivation für meine Online-Aktivität? Wie reagiere ich auf fehlende Beachtung? Wie oft kehre ich zu meinem Handy zurück, weil ja vielleicht noch jemand geantwortet hat? Wie stark weicht meine tatsächliche Online-Präsenzzeit (vor allem am Handy) von meinem vermuteten Wert ab? Wieviel Bestätigung brauche ich? Und wie soll sie aussehen? Bin ich davon abhängig?

Oder:

Würde ich mich mit den Personen, mit denen ich „in Kontakt stehe“, auch gerne treffen wollen?
Habe ich Zeit, aus einem Chat ein Gespräch werden zu lassen?

Bild: iStock/megamix

Es ist unfassbar, was zum Beispiel sog. Filterprogramme, mit denen Selfies bearbeitet werden können, bei Jugendlichen anrichten. Der Druck, so aussehen zu wollen und dann zu müssen, wie eine Instagram-Vorlage oder eine Selfieoptimierung, die ja doch augenscheinlich „schöner“ ist als ich selbst, kann in der virtuellen Blase, in welcher die Kinder stecken, rasend schnell ein Problem werden.

Und wie lesen wir Nachrichten? Aus welchen Quellen? Sind wir uns bewusst, was „googeln“ für die Informationen, die wir ausgespuckt bekommen, bedeutet? Was geschieht mit uns, wenn wir uns hauptsächlich über unsere Twitter- und Facebook-Accounts und über Youtube und Google News informieren? Über Kanäle, die EIN Ziel haben: Dass du möglichst schnell auf viele weitere Impulse mit Clicks reagierst. Liest Du aber einen Text in aller Ruhe zu Ende und denkst dann auch noch darüber nach, bist du schon fast der Albtraum der Portalkonstrukteure… Der Gedanke gefällt mir gerade sehr…

Und dann muss diese Bemerkung unbedingt noch sein: Aktuell werden die verschiedenen Messenger wie WhatsApp, Signal, Telegram und Threema (und es gibt noch einige mehr) mit einander verglichen. Threema hat den Nachteil, dass es als einziger dieser Anbieter kostenpflichtig ist. Aber nicht dass ihr nun meint, Threema koste eine monatliche Nutzungsgebühr oder so. Nein. Es geht schlicht um 3 Märker, die ihr einmalig abdrücken müsst, wenn ihr den Dienst nutzt. Aber alle Testberichte führen diesen Umstand ernst gemeint als Nachteil auf. Weil sie wissen, wie die Online-Welt darauf reagiert: Es herrscht eine Pfennigfuchserei vor, die unfassbar ist. Der Anspruch, dass alles gratis verfügbar sein soll, hockt ganz tief – und so braucht sich wirklich niemand zu wundern, dass die Firmen Wege suchen, dass sie anderweitig mit uns Geld verdienen – aber dann so richtig. So ergibt eines das andere: Wir wollen gratis konsumieren und finden uns darin vereint mit der Welt, bilden die grösstmögliche Ansammlung von Klickvieh und sind so ein Paradies für noch grössere Datensammlungen und Datenverwertungen.

Versteht mich nicht falsch: Ich finde das Internet fantastisch. Ich habe Leser. Ich werde immer wieder überrascht. Ich bleibe motiviert, so lange ich mir bewusst bin, dass ein vertiefter Kontakt sehr viel mehr Wert ist als eine Vielzahl von „Views“, „Clicks“, „Likes“.
Ich habe übers Internet viele hoch spannende Menschen kennen gelernt, und echte Freunde gewonnen. Vielleicht habe ich, im dankbaren Bewusstsein über diese Tatsache, endlich kapiert, WIE das gelungen ist. Durch wirkliche Kommunikation, durch Teilung und Zuhören mit Herz und Seele. Und Meinungen durfte ich mir bilden, vertieft. Durch gründliche, sachliche Argumentationen, die mich erreicht haben, durch gesetzte und gelebte Beispiele. Das Internet kann phantastisch sein. Wenn es zu meiner Lebendigkeit beiträgt. Und mit ihr ist nicht das helle Display gemeint, nicht wahr?


Netflix-Dokumentation: Das Dilemma mit den sozialen Medien.

Trailer:

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