Nun sind sie da, die Meldungen von Indien als neuem Corona-Hotspot. Und natürlich fehlen auch die wirksamen Bilder nicht von den Kranken auf Holzbahren, abgelegt auf überfüllten Spitalgängen oder Parkplätzen, und wir können von der indischen Mutation lesen und dass diese in der Schweiz auch schon festgestellt wurde. Und es wird uns hoch gerechnet, was es bedeutet, wenn in einem Land mit 1.5 Milliarden Menschen (oder sind es 1.8 Mia, wer weiss das ganz genau?) die Krankheit unkontrolliert zu wachsen beginnt?
Jetzt sind wir besorgt. Wir schauen hin. Wir lassen uns beeindrucken. Angst fressen Seele vielleicht nicht auf, aber durchgerüttelt werden wir schon. Jetzt.
Wo, frage ich Euch, waren die Bilder von den indischen Wanderarbeitern, die – im dreistelligen Millionenbereich – vor ziemlich genau einem Jahr ihre Arbeit verloren hatten und von einem Tag auf den anderen ohne Verdienst, ohne Absicherung sich teils hunderte Kilometer zu Fuss auf den Weg zurück zu ihren Familien machten, statt ihnen weiter Geld schicken zu können? Es ist dies, was mich in dieser Krise wirklich beschämt: Wir reagieren auf jeden kleinen Deut einer möglichen eigenen Bedrohung in einer Weise, die verheerende Konsequenzen für – schätzen wir mal nicht zu knapp – eine Milliarde Menschen auf der ganzen Welt hat. Während wir hier ein paar tausend belegte statt leere Spitalbetten zum Grund machen, den Waren- und Wirtschaftsverkehr weltweit zu behindern und damit die Armut und das Gefälle unter uns Menschen dramatisch zu steigern, haben gerade diese Menschen keine Lobby, keine Unterstützung, keine Presse, und es gibt keine Fotos, welche uns den Irrsinn unserer Corona-Politik entlarvend vor Augen führten. Und auch keine Statistiken, von denen wir uns doch so gern aufrütteln und manipulieren lassen.
Mit unserer Unfähigkeit, eine relative Krise durch eine minimale Bedrohung in einer übersättigten Welt mit Bedacht einzuordnen und gelassen zu meistern, verschärfen wir die unmittelbare Not all jener Menschen, die wir in der Globalisierung durch miese Arbeitsbedingungen und Tiefstlöhne schon ausbeuten. Jetzt haben sie gar nichts mehr. Und wenn es wieder Arbeit gibt, so lehrt die Erfahrung, sind die Bedingungen dafür nochmals schlechter als zuvor.
Wir hier leben auf einem anderen Planeten, und unsere Ängste sind, wollen wir denn tatsächlich auf die Welt blicken und uns umgekehrt auch beurteilen lassen, einfach absurd, grottesk und beschämend. Wir sind die Kolonisten der Welt geblieben.