Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

29.März 2022, 18:25

Die Sache mit der Angst

Wenn wir uns selbst auf den Zahn fühlen wollen, dann schauen wir uns am besten genau an, wovor wir Angst haben und warum? Angst kann uns treiben, aber sie kann auch ein Lehrer sein. Sehr oft wird sie eingesetzt: Wer uns Angst macht, will ein bestimmtes Verhalten von uns – und sei es nur ein Einverständnis…

Die Freiheit beginnt dort, wo die Angst aufhört.

leider unbekannt

Politik funktioniert sehr oft so, dass eine Gefahr beschworen wird – gegen die es dann die propagierten Massnahmen zu ergreifen gibt. Die Terrorgefahr hat man uns in den letzten zwanzig Jahren so intensiv beschrieben, dass wir heute Überwachungs- und Kontrollmechanismen akzeptieren, die früher unvorstellbar waren. Doch immerhin ist uns dabei ein Feind von aussen beschrieben worden und man hat ihn nicht unter uns gesucht. Also, nicht unter unseresgleichen. Dafür haben ganz sicher zuviele Flüchtlinge zusätzlich leiden müssen. Angst frisst die Seele auf. Diffus können sie sein, diese Ängste. Das macht es eher noch schlimmer. Wir haben uns in der Pandemie von mancher Angst getrieben – sic – treiben lassen. In ein Wohlverhalten, damit es uns wohl gehen möge. Selbstverständlich. Wann ist jemals jemand dafür bestraft worden, dass er Ängste geschürt hat? Im Zweifelsfall war die Warnung unbegründet, aber gut gemeint, und es hätte ja sein können? Der Schaden, der damit angerichtet wird in der Gemeinschaft, ist nicht zu beziffern. Es sind nicht nur die Kameras, die nicht mehr verschwinden. Wer erlebt hat, wie er zum Problem werden konnte, nur, weil er sich eine andere Meinung erlaubte und die für sich und seinen eigenen Körper auch aufrecht erhielt, weiss, wovon ich schreibe. Es wird nie mehr genau das Gleiche sein. Vielleicht ist das eine Art von Erfahrung, wie wir sie zu Dutzenden als junge Erwachsene gemacht haben, als wir glaubten, die Welt wäre mit dem Glauben an wirkliche Ideale zu verändern. Das war dann Naivität, die abzulegen war. Leider. Dabei hat der Sieg über die Mauer, die Überwindung des kalten Krieges und die Möglichkeit zur fast weltweiten Interaktion der Menschheit wohl einmalige Chancen eröffnet. An denen sie krachend gescheitert ist.

Der propagierte Wandel durch Handel hat nur als Deckmantel, als moralisches Notgerüst funktioniert, in deren Dunst die Profitgier ungehemmt gewütet hat. Der hochmütig arrogante Anspruch des Westens, moralisch überlegen zu sein, ist unerträglich. Sieger, die sich auch als solche geben, müssen sich in der Folge anrechnen lassen, was sie aus ihrem Triumph gemacht haben. Die Bilanz ist verheerend.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine kann gar keine Rechtfertigung haben und jeder einzelne Tote ist einer zuviel – die russischen Soldaten eingeschlossen. Die jüngst wieder angeschlagene Rhetorik der USA allerdings ist wohl die hässlichste Art, zu zeigen, dass auch und gerade jetzt die Menschen in der Ukraine nur Spielball sind. Ja, wir sind den Mächten hilflos ausgeliefert. Aber wir sind nicht einfach nur hiflos oder schuldlos. Und wir zeigen das ja auch: Durch unzählige Aktionen, die unsere ehrliche Betroffenheit bezeugen. Erstmals hat man den Eindruck, dass Europa als Kontinent tatsächlich eine Geschlossenheit erreichen kann – auch hier wirkt die Angst vor der Bedrohung. Doch diese Bedrohung ist konkret, und das führt dazu, dass wir uns ihr auch viel eher stellen. Wir begreifen: Die Bedrohung rührt an etwas, was uns wichtig ist, was bedeutend ist und wertvoll, mögen wir es auch lange Zeit uns nicht mehr bewusst gemacht haben: Selbstbestimmung ist ein hohes, wichtiges Gut! Wir wehren uns gegen die Aggression, und es ist dabei auch gut, wenn wir sie auf allen Seiten erkennen und nicht gutheissen. Und ja, auch Worte sind da gemeint. Die Rede von Joe Biden jüngst in Polen war eine Katastrophe, und der Krebsgang, der danach in der amerikanischen Diplomatie eingesetzt hat, legt das offen.

Schauen wir uns also unsere Angst an, helfen wir den Menschen, wehren wir uns, fassen wir Mut. So, wie es ganz viele Menschen gerade vorleben. Wir haben tatsächlich viel mehr zu verlieren als die Möglichkeit auf freien, unbeschränkten Konsum. Und seien wir uns bewusst: Die grösste Herausforderung beginnt dann, wenn sich die Angst legt und wir Freiheit zurück gewinnen (sollten): Damit müssen wir nämlich was anfangen. Dann beginnt sie erst recht, die Verantwortung für uns und andere. Für die Erde, die uns nur noch sehr schwer erträgt. Wir haben so viel zu ändern. Aber keine Angst sollte so gross sein, dass wir es nicht wagen, es anzugehen.

2 Gedanken zu „Die Sache mit der Angst

  1. Relax-Senf

    Angst wie Glücksgefühle entspringen einer persönlichen Wertung, die mit unserem Innenleben und der situativen Wahrnehmung zu tun hat. Trifft natürlich auch auf alle anderen Seelenzustände zu.
    Die Menschen erliegen viel zu schnell dem täglichen Bombardement der unüberschaubaren Flut von korrekten und Fake-News ohne sich bei ausgesuchten wichtigen Nachrichten die Zeit für effektive Wichtigkeit, Tragweite und Substanz zu nehmen.

    In einem Witztext den ich zum 1. April erhalten habe, erkenne ich eine brauchbare Verhaltensweise mit der Feststellung, dass viel gewonnen wäre, wenn die Leute immer und nicht nur am 1. April überlegen würden, ob der Text Sinn macht und stimmen kann. Wer dies nicht macht, ist über kurz oder langer Tablettenabhängig um mit sozialen Medien/Internet leben zu können!!!

    Die Leute wollen es immer gerne einfach, weshalb das Schreiben von Ratgebern trotz Rückgang vom Buchverkauf insgesamt, noch immer eine sehr lohnende Autorentätigkeit sein kann. Die Menschen wollen lesen, wie sie die Angst verlieren und natürlich wollen sie lesen, wie sie das Glück finden. Andere wollen wissen, wie sie zu viel Geld kommen und wieder andere suchen die Anleitung, wie sie täglich zu einem Date kommen.

    Und da komme ich zurück auf das Thema Angst. Wer darauf ausgerichtet ist, Artikel zu suchen und zu lesen, die eine Bestätigung liefern, dass die empfundene Angst zu recht besteht, wird sich auch mit einem „Ratgeber gegen die Angst“ nicht aus der Gefühlsfalle befreien können.

    Und hier um noch etwas Pfeffer zu hinterlassen – natürlich nur für unsere übliche Diskussion – stelle ich fest, dass ich die Biden Ausführungen nicht für die Katastrophe halte, wie es Deiner Einstufung entspricht. Also wenn Putin mit Atombomben droht und die täglichen Bilder von Krieg und Zerstörung in der Ukraine in unser Wohnzimmer kommen, ist es doch nachvollziehbar, dass Biden bei der Wortwahl nicht mit der Goldwaage unterwegs ist.

    In Talkshows habe ich letzter Zeit auch Konflikt- und Kommunikations-Experten gehört, die Kritik am Nato-Verhalten übten, dass man täglich ohne Ende wiederholt, dass man nicht einfgreifen wird.

    Ja, ich bin auch nicht für einen Eingriff als Kriegspartei, aber muss man das täglich in allen Medien wiederholen. Angst ist dazu da, dass wir ein vorteilhaftes Risikoverhalten aufbauen! Aber wenn unsere Angst sichtbar/spürbar ist, kommen wir weder beim Vorstellungsgespräch noch beim Date ans Ziel. Und wenn wir – der Westen – Putin vom Nachdenken entbinden, ist dies der Lösungssuche nicht förderlich.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Lieber Relax – Du beobachtest sehr schön, wie unsere Angst die Selektion und Wahrnehumung der Nachrichten mit beeinflusst, und tatsächlich ist es in der heutigen Fülle beinahe nicht mehr möglich, die richtige Orientierung zu wählen. Da bleibt – endlich – nur, bei sich zu bleiben, sich zu beobachten und zu konstatieren, woher die eigene Angst genau kommt und wie ihr – ganz persönlich – begegnet werden kann.

      Mein Einwurf zu Biden ist etwas pauschal ausgefallen, und darum will ich gerne präzisieren, was ich damit gemeint habe:
      Biden hat durchblicken lassen, allen später folgenden Dementi zum Trotz war das die Botschaft, die zu hören war, dass Putin abgesetzt gehört. Wie unmöglich das jegliche Verhandlungsposition mit Putins Russland macht, und wie überheblich und kurzsichtig diese Aussage ist, ist ihm ganz offensichtlich anschliessend beigebracht worden.
      Die westliche Neigung, sich einen Kopf zu machen, wer in einem fremden Land NICHT regieren darf, ist eine Unsitte, die durch moralische Ansprüche erhoben wird, welche wir alle nicht erfüllen. Und niemand kann sich wünschen, dass in Russland durch einen Sturz Putins ein Vakuum entsteht oder Schlimmeres. So genau wüsste nämlich niemand zu sagen, was dabei heraus kommen würde. Und die Einflussnahmemöglichkeit der USA auf Russland ist ganz sicher eine andere als jene auf die Ukraine…
      Es ist ein klassisches Beispiel dafür, welch Unterschied es macht, wie Politiker über den Krieg reden (und ihn instrumentalisieren) oder wie Generäle das tun. Ich bin auch der Ansicht, dass die – von Dir als täglich wiederholte Litanei empfundene – oft wiederholte Aussauge, dass die Nato nicht in den Krieg eingreifen will und keine Flugverbotszone installiert werden kann, schlicht dem Realismus entspricht – und einer Grenze, von der wir nur alle hoffen können, dass sie eingehalten wird. Zumal ich überzeugt bin, dass hinter den Kulissen Russland sehr klar gemacht wird, dass die Unterstützungspflicht gegenüber jedem tatsächlichen Nato-Mitgliedsland in jedem Fall wahr genommen würde. Die Ukraine bekommt Unterstützung, aber eine zur militärischen Selbsthilfe. So unerträglich armselig das auch wirken mag, die Situation gibt nicht mehr her, und ich bin persönlich sehr froh über das bisherige Verhalten der Nato. Würde die Nato rhetorisch die Keule schwingen, wäre Putin erst recht versucht, mit martialischen Worten die Angst weiter zu schüren.
      Ich habe noch eine Beobachtung:
      Ich habe in den letzten Wochen verschiedenste Talksendungen gesehen, auch von 2014/15, nach dem Einmarsch der Russen in der Krim, und immer wieder ist mir aufgefallen, dass die besonnensten, klarsten und damit auch informativsten Aussagen, Positionen und Stellungnahmen von Militärs kamen – zum Beispiel von pensionierten Nato-Generälen, die sich eine freiere Kommentierung erlauben können, dabei aber auch erkennen lassen, dass militärische Lagebeurteilung, entschlackt von politischer Rhetorik, zwar nüchterner daher kommt, aber – eben – oft auch besonnener.

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