Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

16.August 2023, 6:30

Vereinzelung

Gerade wurde statistisch erhoben, wie viele Freunde wir im Durchschnitt haben. Das Resultat interessiert mich nicht wirklich, denn wem wir diesen Status in unserem Leben geben, ist wohl sehr individuell. Wer eher wenig Freunde zu haben glaubt, muss deswegen nicht einsam sein, er schützt diese Qualität einer Beziehung vielleicht einfach auch dadurch, dass er oder sie um das besondere Glück einer Tiefe weiss, die ausserordentlich ist. Und die gibt es eben selten. Vor allem scheint mir, dass das Geschick mir einen solchen Menschen wie eine Bescherung schenkt – und erst dann liegt es an mir, dieses Glück zu sehen und dafür auch alles zu tun, um es zu erhalten.

Dass wir, mit mehr oder weniger Freunden gesegnet, ganz allgemein in einer Zeit leben, in der uns die echten Gemeinschaften abhanden kommen, DAS sollte uns alle allerdings sehr umtreiben.

Was ich konstatiere, ist, dass wir zur Vereinzelung tendieren. Ich glaube nicht, dass ich das einfach als Aussenseiter am Rande der Gesellschaft beklage. Es ist ein Phänomen unserer Zeit – und es dürfte sich noch weiter konkretisieren. Wir verwenden unheimlich viel Zeit darauf, fit zu werden für Aufgaben, die wir allein meistern können. Hilf Dir selbst. Die Politik spricht von der Eigenverantwortung des Einzelnen, nicht nur, wenn es um die Altersvorsorge geht. Vom Staat wird erwartet, dass er diese Initiativen nicht behindert, und weniger, dass er Geld locker macht (und damit bei uns erhebt), um Altersarmut oder eine andere Art von Hilflosigkeit abzuwenden. Wir haben immer den Einzelnen im Kopf, der zurecht kommen muss, und das primäre Ziel ist, dass er keine Hilfe braucht.

Die Kompetenz, im Miteinander einen Wert zu sehen, wird nicht gerade gefördert, und alle technologischen Fortschritte in der digitalen Welt sind darauf ausgerichtet, Hilfen an die Hand zu geben, mit denen ich selbst mein Problem lösen kann. Es gibt den TV-Techniker nicht mehr, der bei der Oma den Fernseher repariert, es gibt noch nicht mal mehr einen Kundendienst, bei dem ein Mensch dem Menschen hilft. Der Einsatz von Manpower ist tunlichst zu vermeiden. Er kostet nur Geld. Dafür gibt es die FAQ’s, wo man sich doch bitte umsehen möge. Nicht nur ältere Menschen beschleicht immer öfter gefühlte Kälte mit der Ahnung, dass sie selbst dann, wenn sie glaubten, nun eine Mail-Antwort von einer Person bekommen zu haben, sie in Wahrheit mit Algorithmen „gesprochen“ haben.

Und dann die Welt. Die ganze Welt. Die Erde. Die Atmosphäre. Der Globus. Kleiner machen wir es nicht mehr. Achten wir mal darauf: Was uns zunehmend beschäftigt und auf Trab hält (halten soll?), sind globale Erscheinungen, für welche ein Mainstream das Problem und die Lösung definiert, worauf dann wir alle, nein, jeder Einzelne, auf ein Verhalten eingemittet und danach beurteilt werden kann.

Wann habe ich zum letzten Mal einem Menschen wirklich zugehört? Erst dachte ich, die Antwort darauf wäre ernüchternd, aber ich habe es im Rumor, im Lärm des Internet-Alltags einfach einen Moment nicht mehr erinnert. Das war erst gestern. Ich habe jemanden gefragt, wie es ihm geht. Ich habe gefragt, weil ich wusste, dass es der Person nicht gut geht. Und ich hatte Zeit, zuzuhören. Das ist uns allen zu wünschen. Dass wir gefragt werden. Und dass wir zuhören können. Wir müssen dafür nichts (besser) wissen – sondern einfach Gefühle aufnehmen und eigene Empfindungen teilen. Und dabei bleiben. Beim Menschen. Auf dass er gerade mal nicht einfach ein Einzelner ist.

Ein Gedanke zu „Vereinzelung

  1. ClaudiaBerlin

    In einem Berliner Bezirk hat die Bezirksbürgermeisterin eine Vollzeitstelle als „Einsamkeitsbeauftragte/r“ ausgeschrieben!

    Es ist m.E. nicht falsch, sich mit globalen Themen zu befassen und davon auch berührt zu sein! Es ist aber auch wichtig, davon ablassen zu können, sonst wird man krank, depressiv, verängstigt, verzweifelt oder beginnt, zu hassen.

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