Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

28.Dezember 2023, 14:06

Die Blasen werden kleiner und verschlossener

Wir sind scheinbar gefragt. Brüche und Umwälzungen, wohin man schaut. Katastrophen, über deren Ursache endlos gestritten werden kann – und ganz viel davon scheint näher an uns heran zu treten, als das viele Jahrzehnte lang der Fall war. Wir reagieren darauf aber in aller Regel nicht mit breiterer persönlicher Nachrichtenbeschaffung – wir wünschen uns stattdessen die Sicherheit einer klaren eindeutigen Meinung. Und die wird doch häufig durch eine Gesinnung gefiltert.

Die Corona-Krise, der Ukraine-Krieg, der Hamas-Terrorangriff und die Kriegsantwort in Gaza, die Dauerklimakrise.

Mir scheint, die Probleme bauen sich immer grösser vor uns auf – und gleichzeitig ist es kaum mehr möglich, auch einfach mal zu sagen: Ich weiss es nicht. Ich bin ratlos. Ich blicke nicht durch.

Stattdessen werden Meinungskriege geführt, angezündet in den asozialen Medien und von dort in altbekannter Manier von den Leitmedien aufgegriffen und mehr oder weniger verarbeitet weiter gegeben.

Dabei informieren wir uns nicht wirklich. Wir treten kaum mehr aus unserer Blase heraus. Und je komplexer sich ein Thema darstellt, um so deutlicher ist das so. Wir vertrauen „den Medien“ nicht, schaffen uns unsere eigenen Kanäle und konsumieren daraus mehr und mehr Einheitsbrei. Wir empören uns mit den Richtigen und schimpfen auf die Richtigen. Austausch findet immer weniger statt, und wenn wir Kritisches verifizieren wollen, dann stossen wir in diesen unseren Blasen eben nicht auf Meinungsgeschwister, die selber differenzieren wollen. Und es ist nun mal in unruhigen Zeiten angenehm, sich darin bestätigt zu sehen, wer die Guten und wer die Bösen sind.

Manchmal frage ich mich, wie meine eigene persönliche Meinungsbildung denn in „Urzeiten“ ablief? Ich habe die NZZ gelesen und den Tages Anzeiger, und von beiden Zeitungen wusste „man“ in etwa, wie sie ihr Weltbild geordnet hatten – und wie also Meinungsjournalismus einzuordnen war. Und ja, natürlich wurde auch versucht, damit selbst politischen Einfluss zu erzielen, aber es gab ein Bewusstsein für die eigene Aufgabe als vierter Macht im demokratischen Staatsgefüge. Heute ist davon nicht viel übrig geblieben. Nicht nur ich empfinde sehr viele Medien zu eindeutig regierungsfreundlich oder zu penetrant regierungskritisch.

Es war wohl schon immer so, aber heute ist es viel offener zu beobachten, wie sehr die journalistische Arbeit von wirtschaftlichen und anderen Abhängigkeiten geprägt ist. Und damit wird das Medium eben auch zu einem Teil der Blase. Der Journalist verfolgt einen Kurs – Evidenz und Wahrheit sind zu oft nur zweite Priorität.

Auch der Verlass auf Expertenwissen, auf Rückmeldungen aus dem eigenen Verbund von Berufskollegen ist kritisch. Allzu oft ist in gesellschaftlichen Debatten eines sehr deutlich zu beobachten: Die differenzierten, kritischen Voten die sich gegen eine sich bildende allgemeine Stossrichtung der Nachrichtenlage und -Filterung und -Beurteilung richten, kommen meist von Personen, die nicht mehr Teil von Institutionen wie Instituten oder Firmenleitungen sind. Ein emeritierter Professor kann sich eine Kritik viel eher leisten, die sich gegen die Interessen „seines“ Institutes richtet, vorausgesetzt, er ist in einem Alter, in welchem er eine vergleichbare Anstellung in einer anderen Institution eh nicht mehr anstrebt. Das gilt natürlich für Manager in Wirtschaftsunternehmen genau so – und es gilt auch für Politiker, die in ihrer eigenen Partei Sukkurs für politische Ämter, für Platzierungen auf Wahllisten benötigen.

Wir alle leben und denken und fühlen in unseren Blasen – und meine Beobachtung ist, dass diese Zellen immer undurchlässiger werden, sich Diskussionen und Meinungsbildungen den Einflüssen von aussen immer mehr entziehen und damit auch immer mehr Polarisierung das Ergebnis ist. Eine Konfrontation, in welcher Meinungen auf einander prallen, die sich zuvor gar nicht mehr in Feinarbeit geschliffen haben – und nun gar nicht mehr die Bereitschaft mit sich tragen, sich verändern zu können.

Schauen wir genauer auf unseren eigenen Newskonsum, so stellen wir fest, dass die Blasenbildung ein wirtschaftliches Konzept ist: Unser Feed auf dem Smartphone verändert sich dynamisch mit unserem Nutzerverhalten und präsentiert uns laufend angepasste neue Nachrichten – mit immer mehr Anteilen jener Themen und Meinungen, die wir angeklickt und die wir gelesen haben. Und es ist doch angenehm, einen „interessanten“ Feed zu besitzen, in dem wir entsprechend lang verweilen und unsere Fingerkuppe ganz viele der gewünschten Klicks erzeugt. Dass wir damit unsere eigene Welt immer meinungsmonogamer machen, die Ereignisse, die wir vorrangig wahr nehmen, immer weniger unterschiedlichen Charakter haben, kann uns sehr lange gar nicht bewusst werden. Ja, leider stört uns das viel zu wenig.

Ich bin dieses Jahr dazu übergegangen, ganz bewusst Portale völlig unterschiedlicher politischer Orientierungen zu besuchen und dort auch zu lesen. Von der WoZ bis zur Weltwoche, von der Rebublik bis zum Nebelspalter, Cicero, Schweizer Monat, Die Zeit, Die Welt, den Infosperber, aber der Tages-Anzeiger ist mir fremd geworden, doch die NZZ und die NZZ am Sonntag sind betreffend journalistischer Tiefe immer noch weit vorn für mich.
Doch das alles wäre nicht komplett ohne – Achtung, nun kommt’s – auch so genannt alternative Medienportale. Gar nicht so selten tauchen dort aufgegriffene Themen und Meinungen mit Verspätung doch auf den etablierten Portalen auf. Und nicht nur, um Verschwörungstheorien an den Pranger zu stellen. Für mich ist es das Unwort des Jahres: Verschwörungstheoretiker. Geht man auf der Zeitleiste zurück in den letzten Jahren, muss man mehr als einmal feststellen, dass so mancher vermeintliche Schwurbler einen wahren Kern benannt hat. Natürlich bilden gerade ausgegrenzte Gruppen besonders homogene Blasen – aber es ist auch an uns, sie nicht sich selbst zu überlassen und immer mal wieder hin zu hören und zu lesen.

Was mir das alles gebracht hat? Nun, augenscheinlich nicht gerade viel Output. Aber es war auch sehr wichtig, mir eine Grundlage zu erarbeiten, mit welcher ich mich doch immer mal wieder informiert fühlen kann.

3 Gedanken zu „Die Blasen werden kleiner und verschlossener

  1. ClaudiaBerlin

    Eine tolle und sehr stimmige Analyse! Evtl. fehlt noch der Aspekt, dass mittlerweile die meisten Großmedien Zahlschranken haben, so dass die Meinungsbildung bei vielen nurmehr über Kurztexte und Tweets, Headlines und Teaser stattfindet.

    Ich wünsche Dir einen guten Rutsch und ein möglichst friedvolles Jahr 2024 – zumindest persönlich!
    Ansonsten gilt: Möge uns der Himmel nicht auf den Kopf fallen!

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Liebe Claudia
      Guter Hinweis! In meinen Text hätte noch die Bemerkung gehört, dass ich ganz bewusst solche Abonnemente löse, um Zahlschranken zu überwinden, ohne mir täglich zu überlegen, „ob sich das lohnt“. Das kann sich wahrlich nicht jede Person leisten. Leider tun es auch die nicht, die es sich leisten könnten. Und dann ist es doppelt ärgerlich, dass zu Deiner Bemerkung zusätzlich gehört, dass es auch üblich geworden ist, in Titel und Anriss Teaser einzubauen, die sich beim Anklicken auch nicht auflösen, und dann steht man definitiv wie der Esel vor verschlossener Tür. Es geht immer noch extremer darum, Klicks zu generieren.

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  2. Pingback: Ein bisschen Linkliebe: Lesenswertes aus 7 Blogs › Digital Diary

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