Eines der grossen Probleme traditioneller Medien ist es, dass sie im Kampf um Aufmerksamkeit immer zu spät kommen und sich von den asozialen Social Media – Portalen vor sich her treiben lassen. Es wäre einmal interessant, festzustellen, wie viele redaktionelle Texte der diversen Online-Portale durch einen Post in Social Media ausgelöst werden. Dabei ist unsere eigene Erwartungshaltung und der journalistische Anspruch auf Seriösität eine Krux: Die Dynamik der asozialen Medien führt dazu, dass reflektierende, womöglich gar recherchierende, zumindest nachfassende Beiträge in den traditionellen Medien zeitlich hoffnungslos hinterher hinken. Hinzu kommt der Wettbewerbsdruck. Früher war die Auflage das Messband, heute sind es die Clickzahlen und damit die Aufregungsintensität, die man selbst bewirken oder steigern kann. Das zerstört die Debattenkultur. Hemmschwellen aus menschlichem Respekt gehen verloren – für jeden Gemeinschaftsgedanken ist das verheerend. Und wenn in einer Demokratie Debatten geschürter Empörung weichen, sind die Grundwerte unseres politischen Systems gefährdet.
Wir brauchen einen Codex, nach welchem sich alle richten – nach dem Leitsatz, dass ein minimaler Schutz von Personen, die einem Shitstorm ausgesetzt sind, eine Voraussetzung dafür ist, dass minimaler Respekt gewahrt bleibt.
Ich habe Marc Schiess im vorgängigen Beitrag im Kommentar schon erwähnt, hier nun seine Gedanken im Wortlaut, mit seinem Einverständnis:
Rahmenbedingungen für eine funktionierende Demokratie im Online-Zeitalter
Medien
- Bei Artikeln mit mutmasslich rufschädigenden Artikeln zu (öffentlichen) Personen bleibt die Kommentarfunktion deaktiviert. Das gilt für Online-Medien wie auch deren Social Media Kanäle.
- Sobald eine Person rechtskräftig verurteilt ist, kann die Kommentarspalte geöffnet werden.
- Bei Artikeln über einzelne Personen besteht besondere journalistische Sorgfaltspflicht.
Social Media
Die Social Media Unternehmen haben die Pflicht, Aufrufe zu Mord und Gewalttaten automatisiert den Polizeibehörden zu melden.
Arbeitgeber
Arbeitgeber sollen ihre in der öffentlichen Kritik stehenden Mitarbeitenden beurlauben oder von der Arbeit suspendieren. Bevor eine Kündigung ausgesprochen werden kann, müssen die Beschuldigten Gelegenheit erhalten, sich mit dem Arbeitgeber in einem internen Gespräch zu erklären. Dies benötigt eine gesetzliche Grundlage, damit massive Druckversuche auf den Arbeitgeber diesen nicht einknicken lassen.
Simpel? Nicht ausreichend? Naiv?
Stellen wir uns einfach vor, wie sich die Temperatur so mancher Aufregung senken liesse, hätten wir ein paar dieser oder sehr ähnliche Regeln…
PS: Dass Personen, die bewusst mit Provokationen arbeiten, für manchen Shitstorm mitverantwortlich sind, ist kein Gegenargument. Die Selbstverantwortung für das geschriebene Wort und das entsprechende Bewusstsein würde eher zunehmen.