Ressort: Gesellschaft(Weitere Infos)

03.April 2025, 18:00

Unsere Blase

Wie ChatGPT diesen Text sieht

Wenn ich davon rede, was ich höre, im kleinen Kreis diskutiert habe, oder was mir zugetragen wurde, dann spreche ich gerne von meinem Umfeld. Nun taucht für die Bezeichnung der eigenen relativ kleinen Welt immer wieder der Begriff der Blase auf – und ich glaube, dass das sehr treffend ist. Verwendet wird er wohl erst, seit die Phänomene der asozialen Medien wenigstens teilweise reflektiert werden. Aber er wird auch darüber hinaus immer zutreffender.

Als Mensch, der viel mit dem Internet arbeitet, erscheint es mir unwirklich, dass fast 50 Prozent der Menschen gar keine News mehr konsumieren, aber ich kann beobachten, dass ganz Viele sich heute sehr stark über die asozialen Medien informieren – und daselbst meist nur bei gefühlt einem, zwei Kanälen. Die Informationen werden in Schnipseln konsumiert und sind auch entsprechend getrimmt, dass „es“ aufgenommen wird. Es geht um Kernaussagen, um Griffigkeit und eine Form von (Ein-)Dringlichkeit, die haften bleiben soll. Sind die News umfangreicher, so wird es anstrengender – und reflektiert wird es dann erst recht von jenen, die vollständig gleicher Meinung sind – oder vereinzelt von denen, die komplett dagegen opponieren. Das ist aber ganz selten. Denn es ist ganz eindeutig viel angenehmer, sich dort zu äussern, wo man mit Zustimmung rechnen kann – und eine Gegenrede nicht förmlich niedergeknüppelt wird. Und so bilden sich Blasen, die neben einander her verlaufen und sich kaum mehr berühren. Im Grunde will damit die Nachricht nicht mehr informieren, sondern mobilisieren.

Unsere Neigung, in Blasen zu leben und zu denken, nimmt auch, wie mir scheint, abseits der asozialen Medien zu und ist damit – siehe oben – auch ein Phänomen der anderen 50 Prozent. Wir haben komplexe Herausforderungen vor der Brust, und je nach dem persönlichen Rüstzeug, der so genannten Resilienz, macht uns das mehr oder weniger Angst. Vom Eindruck, dass niemand Bescheid weiss, bis zum Verdacht, dass „die“ uns für dumm verkaufen, ist es manchmal ein kurzer Weg, und gerade in komplexen Problemstellungen haben einfache Antworten ein Verführungspotenzial, weshalb politische Parteien, welche die Probleme auf ein, zwei Kernursachen zurückführen, die möglichst wenig mit unserem eigenen Verhalten zu tun haben, goldene Zeiten erleben.

Mein Eindruck ist, dass die meisten Menschen heute auch im kleinen Kreis viel weniger offen über Probleme debattieren, dass abweichende Meinungen nur schwer ausgehalten werden. Wir brauchen die eigene Blase, in der uns wohl ist, und sei es nur in der geteilten Unbehaglichkeit. Die grosse Herausforderung für alle Medienformate mit dem Ziel, eine differenzierende Berichterstattung und damit verschiedenste Aspekte für die Meinungsbildung anzubieten, ist es, dies in einer Weise zu tun, die attraktiv genug bleibt, um überhaupt beachtet zu werden. Es ist ein harter Job und eine grosse Herausforderung. Ich bin ja schon als Leser und Debattierer überfordert, indem ich damit umgehen muss, dass ich nie wirklich wo dazugehöre. Es ist kompliziert mit mir. Mir fehlen in allen Blasen die differenzierten Betrachtungen, der Mut nicht nur zur Gegenrede, sondern zum Aushalten von Unklarheiten, und ich bin ständig damit beschäftigt, mich auch gegen den Eindruck zu wehren, dieser oder jener Strömung anzugehören. Denn das scheint in diesen unruhigen Zeiten wichtig zu sein. Und so ertappe ich mich dabei, wie ich ein kleines Bisschen beklage, keine eigene Blase zu haben – und also eigentlich nirgends dazu zu gehören. Der Preis der eigenen Meinung und des eigenen Lebensentwurfs ist die ständige Herausforderung, mich selbst zu überprüfen, wie subjektiv oder objektiv ich mir meine Meinungen bilde.

4 Gedanken zu „Unsere Blase

  1. von Relax

    Mein lieber Impulsgeber zum Innehalten und Hinsehen. Was für ein wohltuender Text, den man auch noch vor der Bett-Zeit lesen kann, weil der Lesekoller ausbleibt. Und das ist gut so, denn andernfalls entsteht diese Wut und damit die Energie aufzuzeigen, was für ein Schrott der Text ist, weil die eigene Sach- oder Welt-Sicht nicht leuchtend genug abgebildet ist.

    Nicht immer, aber zu einem grossen Prozentsatz steht meine Meinung zu Themen fest, die mich beschäftigen. Trotzdem lese ich – hm, manchmal überfliege ich – Artikel die den Focus anders setzen. Natürlich tendenziell eher in der Ausnahme, ändere ich doch nicht ständig die Meinung. Ich ertrage eine andere Meinung als Leser besser, wie als Talkshow-Zuschauer, weil da Wirkung der Personen und deren Intellekt zusätzlich wirken. Manchmal schwer zu ertragen, aber da ist ja der magische Knopf, mit der man dieser Zumutung von Argumentation ein Ende bereiten kann.

    Seelenfriede und Seelenhygiene sind zwei völlig unterschiedliche Zustände. Beim angestrebten Frieden nimmt man sich zurück und erträgt viel Geplapper/Worthülsen. Bei der Seelenhygiene ist es anders. Da bäumt sich das Verlangen auf, Sichtweisen zurückzuweisen und die eigene Sicht einzubringen. Ja, mit dem inneren Feuer der Überzeugung zu vertreten.

    Aber man muss abwägen zwischen Seelenfriede und Seelenhygiene am Ende vom wiederkehrenden Lunch. Soll heissen, ich besuche monatlich meine „Wohlfühl-BLASE“ mit Banker-Freunden die ich seit Jahrzehnten kenne. Da kann es schon vorkommen, dass sich die Haltung zu Themen verändert hat, aber als Teil der Blase verhält man sich angepasst. Es sei denn, die Seelenhygiene braucht Entfaltungsraum.

    Übrigens: Lügen spielen auch eine Rolle. Schnell gegoogelt und KI sei Dank sofort Resultat erhalten: Da ist von 200 Mal lügen am Tag die Rede. Nun, in einer anderen Studie ist von 25 Mal am Tag die Rede, wo Menschen lügen. So oder so, grosse Zahlen.. Trifft auf mich als Witwer-Singel nicht zu. Fragen wie „warst Du wieder am Kühlschrank, hast Du auf dem Balkon geraucht, hast du auf dem Compi Porno geschaut!“ fallen weg und damit die Antworten.

    Je danach, mit welcher Blase man gerade zusammen ist, kann die Porno-Sache zu völlig verschiedenen Antworten führen. Entweder Entrüstung, dass man solches Schweinezeugs nicht anschaut oder eben zu einer Empfehlung für die Blase, was das Anklicken lohnen könnte. Die Blase macht den Unterschied.

    Zu Blasen gäbe es noch viel zu Schreiben. Doch ich beschränke mich aufs Lob für die gut hingebrachte Illustration, die das Thema gut widergibt.

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Lieber von Relax
      Die Art, wie Du Seelenfrieden und Seelenhygiene beschreibst, ist ganz wunderbar. Das Begriffpaar habe ich so noch nie gebraucht. Gefällt mir!
      Ich muss gerade auch darüber nachdenken, wie unterschiedlich sich Menschen überhaupt anrühren lassen – emotional, aber auch rein interessehalber. Viele Menschen finden den Widerspruch bzw. die Diskussion nicht der Rede wert, und wenn ich selbst mich in einer Sache herausgefordert fühle, bemerke ich manchmal, dass das links und rechts niemanden aus der Reserve lockt. Dann schwanke ich zwischen Erstaunen, wie unbeteiligt „man“ bleiben kann und einer gewissen Verzweiflung, dass nicht Gleichmut sondern Gleichgültigkeit der Grund zu sein scheint.
      Es ist wirklich eine Herausforderung:
      In der einen Gruppe wird Empörung geschürt und in einer anderen legt sich Über-Konsum über jede Reflexion.

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  2. Fred Lang

    Zitat: „Der Preis der eigenen Meinung und des eigenen Lebensentwurfs ist die ständige Herausforderung, mich selbst zu überprüfen, wie subjektiv oder objektiv ich mir meine Meinungen bilde.“

    Dieser Herausforderung stelle ich mich nur dann, wenn ich hinsichtlich der eigenen Meinung zu diesem oder jenem Thema zwiegespalten bin. Bekanntlich hat ja alles mindestens zwei Seiten.
    Im Übigen fühle ich (Jahrgang 1938) mich keiner „Blase“ mehr zugehörig. Vielleicht ist das aber auch schon Altersstarrsinn? Sei’s drum!

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    1. Thinkabout Beitragsautor

      Danke, Fred, für Ihren Beitrag und willkommen auf meinen Seiten!
      Ich habe persönlich das Gefühl, dass ich mit zunehmendem Alter mich eher schwerer tue, Meinungen ohne Wenn und Aber zu vertreten. Die Altersweisheit lässt auf sich warten…?
      Und zur Zugehörigkeit zu einer Blase: Vielleicht ist es besser, keiner Blase angehören zu wollen, als von einer vergessen zu werden…

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