Ressort: Lebenskunst(Weitere Infos)

14.April 2021, 1:00

Die Macht der Worte

Ja, mein Freund.
Du hast recht.
Worte haben Macht.
Sie können Waffen sein.
Sie können Wunden schlagen,
sich in sie hinein legen
und darin zu wühlen beginnen.

Sie können aber auch heilen,
unsere Seele wärmen,
uns stärken,
deine Wunde erkunden,
sich darüber legen,
schützend und behütend,
wie kühlende Gaze,
und mit warmem Strich
über schwellende Narben fahren,
bis der Schmerz der Entzündung nachlässt.

Darum sollten wir
unsere Worte bewusst wählen,
und sie zum Werkzeug unseres Herzens machen.


thinkabout.myblog.de vom 9.11.2004

„Fühl dich umarmt“ ist so eine hilflose Redewendung in unseren virtuellen Begegnungsräumen. Und doch kann ein Herz das andere fühlen, wenn es sich beim Schreiben öffnet. Grossartig an einem Wort ist nicht die Form, sondern das Herz, das es hat.

12.April 2021, 6:50

Wunschlos zufrieden

Wünsche, die wir hegen, verraten uns, wie wir unsere Welt und unser Leben sehen. Sie erzählen von uns selbst und helfen uns daher auch, uns auf die Schliche zu kommen. Im Nachhinein erweist sich so mancher brennende Wunsch als verzichtbar. Wünsche wollen einen empfundenen Mangel beseitigen. Das, was wir in unserem Leben als mangelhaft, als unzureichend, verbesserungswürdig bezeichnen, sagt mehr über unseren Frieden mit uns selbst aus als manches daher gesagte Glaubensbekenntnis.

Wünsche zu haben, ist völlig normal, und gerade junge Menschen besetzen Wünsche und Vorstellungen mit einem positiven Denken, aus dem ihr Tatendrang entsteht. Es ist die Bedeutung der jugendlichen unverbrauchten Kraft, energisch und enthusiastisch ins Leben zu drängen, um die Welt zu ergreifen und zu verändern und nicht nur zu fordern. Darum ist es so verheerend, wenn wir ihre Kraft so sehr beschneiden, wie es gerade geschieht. Denn tatsächlich verändert nicht nur die Tat, sondern auch die Haltung zur Gegenwart die Welt, denn darin liegt der Antrieb für alles Gestalten.

Wenn das Leben aber durch unerfüllte Wünsche angetrieben wird, wird man zum Hamster im Rad. Denn der Korb dieser Wünsche wird niemals leer sein, und ein anderer Korb ist immer noch besser gefüllt.

Zum Glück haben wir die Fähigkeit, auf ein Stück Käse in der Falle zu verzichten:

„Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.“

Otto Klaus

Und wenn wir das Kaleidoskop unserer Wünsche retrospektiv betrachten, dann staunen wir, wie sich diese Liste im Lauf der Jahre verändert hat. So sagen unsere Wünsche eine Menge über unsere Haltung dem Leben gegenüber aus.

Auf einen reifen Menschen kann dann, seiner Fähigkeit zur Zufriedenheit entsprechend, folgendes gelten:

„Eines jeden Menschen Wunsch entspricht seiner inneren Entwicklung. Das, wofür er reif ist, erscheint ihm wünschenswert.“

unbekannt

Und unsere Wüsche haben verschiedenste Ursprünge, Motivationen. Was ist Herzenswunsch, was schon BeGIERde? Blockieren uns unsere Wünsche gar?

„Des Menschen Begierden lenken ihn ab von den Wünschen des Herzens, und die Wünsche des Herzens halten ihn fern von der Versenkung in seine Seele.“

unbekannt

Das tiefste Innere unseres Seins, unsere Seele, wird durch materielle Dinge nicht gestärkt, berührt oder erschüttert. Ja selbst Glück oder Unglück vermag sie nicht zu erschüttern. Wir können sie immer aufsuchen, in ihr ruhen, ganz egal, wie die äusseren Umstände sind. Wir erkennen vielleicht sogar, dass Euphorie über Erfolg uns mehr von uns selbst trennen kann, als so manches Leid…

Es ist befreiend, keine Wünsche zu haben. Nichts benennen zu können, zu müssen, das sich im eigenen Leben noch ändern, wegdrücken lassen oder einstellen müsste, um zufrieden sein zu können.
Das hat nichts mit dem fatalistischen Satz: „Ich erwarte nichts mehr vom Leben“, zu tun. Es ist keine Haltung, die auf enttäuschten Erwartungen, auf Frustration beruht.

Für mich ist es eher ein Trost, eine Quelle der Kraft: Egal, wie und wo ich mein Leben bestreite, egal ob es Leid oder Freude im Überfluss bereit hält – mir steht immer frei, wie ich damit umgehen will und wohin ich meine Schritte lenken möchte.
Es bedeutet Freiheit.

Mein grösster Wunsch ist es, meine Wünsche ablegen zu können und in mir zu ruhen.


thinkabout.myblog.de vom 8.11.2004 – heute redigiert und ergänzt.

06.April 2021, 20:30

An eine Seele im grauen Nebel

Vorbemerkung: Das Netz und speziell die Bloggerwelt kann immer wieder zu Kontakten mit Menschen führen, die mit einem Schatten auf der Seele leben und das im Schutz der Anonymität auch thematisieren. Depressionen sind ein sehr persönliches Thema, und Aussenstehende haben gut auf sich selbst acht zu geben, wenn sie sich „damit“, und also mit Menschen beschäftigen, die darunter leiden. Wenn die gefühlte Sinnlosigkeit für Menschen den Tod zu einem Sehnsuchtsort macht, kann das erschrecken, und es stellt sich die Frage, für welche Art Hilferuf die Hinweise stehen mögen. Die eigenen Gedanken dazu nicht zurück zu halten, verbunden mit einer Haltung, die versucht zu zeigen, dass weder Thema noch Situation Unruhe und Krise als geschlossenes System bedeuten müssen, kann ein Weg sein, die Not ernst zu nehmen, dabei aber darauf zu achten, ganz bei sich selbst zu bleiben. Für den Ausstieg aus tiefen Löchern braucht es professionelle Hilfe – aber Zeuge kannst du immer sein: Dass nämlich Gedanken über den Tod auch zu Gedanken zum Leben und zum Lebenwollen auslösen können. Der folgende Text kann unter Wahrung aller Persönlichkeitsrechte eingestellt werden – der Anlass ist viele Jahre her, die Gedanken darin werden allerdings kaum je Patina ansetzen – oder nur jene, die sie zeitlos erscheinen lässt… bis ich tiefere Wahrheiten finde.


Vielleicht hilft Dir das ein wenig:

Wenn wir den Gedanken an den Tod ausweichen, ihn mystifizieren, das Unbekannte scheuen, nicht wissen, wo wir hingehen oder hingeleitet werden mögen – Warum fragt niemand von uns, woher wir kommen? Warum ist die Geburt selbstverständlich, der Tod aber ein Tabu?

Die Bestimmung, die uns in unsere Körper geführt hat, wird uns auch hinaus helfen.

Du sagst, Du willst nicht verletzen, ziehst Dich von Freunden zurück. Du bist nicht der Erste und Einzige, dem bei der Bewältigung seines Schicksals vor allem die Angst der Nächsten alles noch viel schwerer macht.

Versuche einfach, Deine eigene Situation so gut wie möglich zu meistern. Nur damit kannst Du nach aussen wirken und den anderen Menschen helfen.

Ziehe Dich nur da und dann zurück, wenn Du es für Dich brauchst, und nicht, um andere zu schonen.

Übrigens ist Deine fehlende Perspektive vielleicht Dein grösster Trugschluss. Was meinst Du, warum wir so gerne von Dir lesen? Vielleicht, weil Du uns gerade in Deiner Situation so viel zum Leben zu sagen hast.

Nur wenn wir uns bewusst sind, dass unser Leben ein Ende hat und das jederzeit eintreten kann, haben wir wirklich einen Antrieb, bewusst zu leben und mit unserer Zeit sorgsam umzugehen.

Gib uns davon eine Ahnung – und wer weiss, vielleicht sind deine weiteren Schritte solche, die Dir gar neues Leben, neue Lebendigkeit schenken. Deine Seele auf jeden Fall lebt – mag sie auch wie ein Bergsee unter dichter Bewölkung momentan etwas dunkel scheinen.

Mach stets nur einen Schritt, auch im Kopf – und gewähre Dir auch mal eine Pause, eine Rast, eine Stille. Gerade Du kannst uns lehren, wie wertvoll das sein kann.

Ich danke Dir für Deinen Umgang mit Deinem Dasein.


thinkabout.myblog.de vom 7.11.04 – heute redigiert, mit Einleitung

05.April 2021, 18:55

Lernen wollen: Lust auf mein Leben haben

Eine Gebrauchsanweisung, die ich – je länger je mehr – auf jede Falle anzuwenden versuche, in die ich tappe. Solche Fallen lauern für uns überall, und sie sind für unsere Freiheit ganz kleine oder auch ganz kapitale Katastrophen.

Es ist die deutsche Version der „Autobiographie in fünf Kapiteln“ von Portia Nelson.
(Den englischen Text setze ich ans Ende dieses Beitrags).

1.
Ich gehe die Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren…
Ich bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, wieder herauszukommen.

2.
Ich gehe dieselbe Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so, als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.

3.
Ich gehe dieselbe Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein… aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen.
Ich weiss, wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.

4.
Ich gehe dieselbe Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.

5.
Ich gehe eine andere Strasse.


Vieles, das mir in meinem Leben Energie raubt, beruht auf Impulsen, die mich die immer gleichen Runden drehen lassen. Meine Reflexe folgen meinen Mustern, wie wenn mein Verhalten durch mein vegetatives Nervensystems gesteuert wäre. Und das Leid, das es bedeutet, scheint mir lieber Orientierung zu sein, als dass ich es zu überwinden versuchte.

Manchmal ist es allein schon sehr harte Arbeit, das Loch überhaupt zu erkennen, mich darin als Gefangener zu begreifen. Dabei ist das Loch genau dafür so gross und so dunkel – will es mich wirklich verschlucken, oder nicht eher warnen?

So wohlig kann ich mich – scheinbar – fühlen, so zusammengekauert im Loch. Ich verweile da, weil da kein Weg mehr ist, den ich glaube gehen zu können (gehen zu müssen?). Die fehlende Perspektive lockt mich mit Selbstaufgabe. Warum sich wehren? Das Loch ist ja immer da.

Aber die Welt ist viel grösser, als sie aus einem Erdloch gesehen werden kann.
Um dieses Wissen bin ich dankbar, denn es lässt mich aus den tiefsten Löchern krabbeln und am Ende neue Strassen finden, die mir, die uns allen offen stehen. An die stelle von Reflexen kann ein Gestalten treten, ein Plan, ein Weg mit einem Ziel, einem Bewusstsein.

There’s a Hole in my Sidewalk
Autobiography in Five Short Chapters
By Portia Nelson

Chapter One
I walk down the street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I fall in.
I am lost …. I am helpless.
It isn’t my fault.
It takes forever to find a way out.

Chapter Two
I walk down the street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I pretend that I don’t see it.
I fall in again.
I can’t believe I am in this same place.
But, it isn’t my fault.
It still takes a long time to get out.

Chapter Three
I walk down the same street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I see it is there.
I still fall in … it’s a habit … but, my eyes are open.
I know where I am.
It is my fault.
I get out immediately.

Chapter Four
I walk down the same street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I walk around it.

Chapter Five
I walk down another street.

Zu finden hier (und mehr): The Sidewalk of Life


thinkabout.myblog.de vom 7.11.04 – heute redigiert und ergänzt

02.April 2021, 23:15

Begegnung mit einer alten Liebe

Ich bin wieder zuhause. Die Aussicht auf den Zwetschgenkuchen, den wir gestern gebacken haben, hat mich etwas früher aus meiner Jogging-Runde heim gezogen. Kleine Sünde, grosse Freude… Er ist soo herrlich saftig!!

Ich geniesse die behagliche Wärme der geheizten Wohnung, zufrieden mit meiner Welt. Und ich denke an das Paar, das mir beim Laufen immer wieder begegnet ist, auch heute wieder:

Eine alte, freundliche Frau, die ihren Mann in einem Rollstuhl spazieren schiebt, jeden Tag, bei jedem Wetter. Sie spricht ständig mit ihm, lebhaft und voller Liebe. Er aber redet nie, sagt keinen Ton, und sein Gesicht, das bis auf sein kantiges Kinn und einen harten, schmallippigen Mund hinter den dunklen Gläsern einer dicken Hornbrille versteckt ist, verrät keine Regung. Wahrscheinlich hat er eine Lähmung, denn er sitzt stets mit verkrampfter Haltung in seinem Rollstuhl, so, als hätte man seinen Körper zurecht biegen müssen, um ihn hinsetzen zu können.

Wie ich die beiden nach einem kurzen Gruss hinter mir zurücklasse, mit ausholenden Schritten weiter laufend, frage ich mich, ob mir dieser Mann nicht bittere Gedanken nachsenden mag? Auch wenn ich über meine Bestimmung für den morgigen Tag nichts weiss, so ist doch klar, dass unsere Lebenslinien unterschiedliche Krümmungen aufweisen.

Das einzige aber, was ich höre, ist die Stimme seiner Frau, die nicht müde wird, ihm weiter von allem Möglichen zu erzählen. Der Wind trägt mir ihre Stimme noch lange nach, als möchte er damit die Liebe dieser Frau ehren, die ihrem Mann jeden Atemhauch ihrer Kraft schenkt, Tag für Tag.


thinkabout.myblog.de vom 6.11.04 – heute redigiert

01.April 2021, 7:50

10min schreiben über: Freizeit

Freizeit ist freie Zeit. Kein Chef sagt mir, was ich zu tun habe, kein Auftrag mahnt mich, weiter zu arbeiten. Ich bin frei, Zeit zu haben. Sollte ich sein. Wir haben so viele Möglichkeiten, freie Zeit zu nutzen, etwas „Gescheites“ damit anzufangen – und schon packen wir Erwartung in sie hinein und schaffen damit die Grundlage, dass wir ganz sicher zu wenig davon haben. Weil wir enttäuscht sein werden, wenn sie vorbei ist, die freie Zeit. Wie schnell ist sie gerannt, die Zeit!

Wir verstehen Freizeit als eine weitere Zeit mit Betrieb. Aktive Erholung – das Wort muss die Freizeitindustrie erfunden haben! Der Sportartikelverkäufer lebt davon, dass wir uns die Zeit nicht einfach gefallen lassen. Wir müssen sie besetzen mit Sinn. Kaum jemand kommt auf die Idee, dass die Freizeit ihren Sinn genau darin haben könnte, dass die Zeit frei bleibt.

Hat man plötzlich freie Zeit, auch dann, wenn sie einem nicht als Aufgabe gestellt wird, weil man versetzt wird, vom Partner, vom Freund, vom Arbeitgeber, sondern weil die Lebensplanung sich durchaus erfüllt: Teilzeit, die Wahl, mehr Zeit statt mehr Lohn zu haben, erfüllt sich, oder die Pensionierung ist da. Alle, welche diese Ausgangslage kennen, werden bestätigen, dass die grösste Herausforderung darin liegt, nicht ganz schnell auch jetzt „keine Zeit“ mehr zu haben. Es gibt schlicht zu wenig davon. Wir alle sind darauf getrimmt, sie zu füllen. Zeit zu verbringen, ohne wohin kommen zu müssen, hat den Hauch der Vergeudung. Zeit zu haben ist eine Chance für ein Werk. Eine Leistung. Ein Ergebnis. Ich glaube, dass unsere Freizeit viel zu wenig wirklich freie Zeit enthält.

Und auch wenn wir sie suchen, geben wir ihr sofort Struktur. Wir lassen uns anleiten. Wir sind in der Lage, auch zur Kunst, Zeit zu haben, erst mal einen Kurs zu besuchen.

Freie Zeit, die darin besteht, dass ich mich einfach mal hinsetze und aus dem Fenster schaue. Das ist eine Herausforderung. Unglaublich, wie laut es da erst in mir ist. Dann hinter mir, dann… wenn Ruhe nicht beunruhigt, ist das wirklich freie Zeit.


eine Auftragsarbeit

29.März 2021, 0:45

Heimkoller

Im Militär haben wir manchmal vom Lagerkoller gesprochen. In der aktuellen Homeofficezeit, die in ihrer Durchsetzung ja nicht auf einer bewussten Arbeitsplatzgestaltung beruht, sondern von den Unwägbarkeiten und Unverständlichkeiten behördlicher Vorgaben stark mit beeinflusst wird, stelle ich ähnliche Phänomene fest. Es reicht langsam, und ganz allmählich werden wir stinkig.

Ein Video-Chat oder erst recht eine Videokonferenz ist auch kein Telefongespräch. Die Menschen auf den Bildschirmen kommen uns mit ihren Gesichtern sehr viel näher als in jeder tatsächlichen Begegnung, und oft unbemerkt liegt darin eine Nähe, die uns stresst. Sich selbst beim Reden sehen zu können, macht es auch nicht einfacher. Kurz: Unsere „Kontakte“ sind Notbehelfe, und sie ersetzen die persönliche Begegnung in keiner Weise. Mir scheint, dass Viele an dem Punkt angekommen sind, an dem ihnen das Zuwenig eindeutig Zuviel wird.

Tools der Online-Kommunikation, die wir doch ursprünglich mit so viel Freude eingerichtet hatten, weil wir uns damit zeigen konnten, dass wir uns doch zu helfen wissen, nutzen sich ab. Die Chats werden seltener, der Humor wird dünner, die Gehässigkeit grösser, will heissen, Witze werden vermehrt auf Kosten anderer gemacht, oder Luft muss entweichen. Dafür eignen sich Politiker als Zielscheiben immer, aber es kann auch andere treffen – und dabei treffen wir uns selbst. Weil die üble Laune dadurch nicht wirklich entweichen kann, ist das eine Sackgasse, und mit der Zeit wird es im eigenen Oberstübchen so muffig wie in einer wochenlang nicht mehr gelüfteten Studierstube. Mein Rat: Ehrlich mal sagen, wie sehr einem die ganze Situation auf den Keks geht, es aber so formulieren, dass andere durchaus erkennen können, dass es tiefer geht. Hat man mit etwas Mühe, erfordert es eine persönliche Mühe, da raus zu kommen, sich auf ein positives Niveau zurück zu hieven. Wenn man dann dabei durch exakt die angesprochenen Tools Hilfe bekommt, durch Menschen eben, die ja die Situation kennen, dann sind die Onlinehilfen plötzlich wieder so toll, wie sie tatsächlich sein können. Weil wir sie nutzen, indem wir nicht nur an der Oberfläche bleiben.

Ich würde mal vermuten, dass sehr Viele, die als „Verantwortliche“ Corona-Massnahmen in Betrieben umsetzen und durchsetzen mussten, sehr viel Unwillen abbekommen haben, ohne dafür auch nur das Geringste zu können. Mit der Zeit hilft es diesen Personen dann auch nicht weiter, wenn der üblen Laune der Satz nachgeschoben wird: Ich weiss ja, dass Du nichts dafür kannst. Darum gilt wohl auch hier: Wenn wir uns um eine positive Sicht bemühen, immer wieder, helfen wir nicht nur uns. Aber uns ganz sicher.

24.März 2021, 18:30

10min schreiben über: Dankbarkeit

Danke sagen, ist eine Höflichkeit, ein Erziehungsschritt für Kinder, eine gesellschaftlich angebrachte Norm – zumindest war es das lange Zeit. Danke sagen können ist auch eine Fähigkeit – denn sie schliesst ein, dass der Support eines Menschen mir selbst weiter geholfen hat. Ich konnte Hilfe gebrauchen. Vielleicht habe ich sie bekommen, ohne danach zu fragen, vielleicht wurde sie mir aufgedrängt, vielleicht aber habe ich es einfach nicht fertig gebracht, darum zu bitten. Dann also um so mehr Danke! Dankbarkeit ist aber auch eine Lebenseinstellung.

Wer Dankbarkeit empfinden kann für das, was ist, für die Umstände, die sein Leben ausmachen, auch und gerade im Kleinen, der verfügt über eine Ruhe, eine Bescheidenheit, die auch in allfälliger Mühsal erkennt, dass es viele Dinge und Menschen gibt, welche die Herausforderungen leichter machen. Dankbare Menschen sehen das Glas nie leer. Dankbarkeit kann auch auf einer Einsicht beruhen, einer Weisheit, die da weiss, dass unser aller Leben jederzeit zu Ende sein kann. Niemand kann erwarten, dass ihm genügend Zeit bleibt für alles, was im Leben noch geändert gehört. Oder verbessert. Es kann morgen vorbei sein. Also ist es ganz wichtig, dass ich meinen Frieden machen kann mit allem, was war oder noch nicht ist. Auch der grösste Macher ist von der Gnade abhängig, Zeit zu bekommen – und die Fähigkeit, für Umstände dankbar zu sein, die ihm gegeben werden, verhindert Überheblichkeit. Und wenn wir dann also Zeit bekommen, Raum haben, gestalten können, verändern, verbessern, so ist auch dafür die Basis etwas, was uns gegeben wurde, ohne dass wir wirklich wissen, warum. Das Geschick hat uns gütig bedacht, und das kann genau so rätselhaft bleiben wie die Antwort auf die Frage, warum mir gerade dieser oder jener Mensch geholfen hat? In der Hilfe sind wir auch immer Engelsboten, Kameraden, Freunde, und die Stärke, die wir teilen, schenkt uns Vertrauen. Danke dafür. Eine gute Voraussetzung, um den nächsten Moment heller werden zu lassen, oder sein Licht zu sehen.

16.März 2021, 23:30

10min schreiben über: Ende

Das Ende. Wir sehnen es herbei, wir zögern es hinaus. Wir versuchen, dahinter zu kommen, wenn wir glauben, das Danach würde sicher besser. Wir wollen das Schöne festhalten, auf dass es nicht enden möge. Aber ist nicht ganz Vieles gerade deswegen so kostbar, weil es vergänglich ist?

Wir geben uns beherrscht, wir beherrschen Dinge, Tätigkeiten, Verhaltensweisen, kontrollieren unsere Emotionen und bemühen uns um rationale Antworten auf Fragen. Manchmal erliegen wir der Illusion, etwas „endgültig“ zu wissen – oder begriffen zu haben. Aber was kommt denn dahinter, hinter dem Ende unserer Fragen? Wie verhalten wir uns, wenn das Ende da ist? Eine Arbeit, ein Projekt, Ferien, eine Reise, eine Aufgabe, eine Anstellung. Fast alles hat ein Ende. Alles? Gibt es Ewiges? Wissen und Einsichten, Fragen und Zweifel, die uns auf jedem neuen Abschnitt, der wieder ein Ende haben wird, immer begleiten?

Hätten alle unsere Wege nicht dieses Ende, wir wären nicht herausgefordert, über den Weg hinaus zu denken, oder nach links oder rechts zu schauen. Wenn wir alt werden, läuft die Zeit nicht langsamer, aber wir tun es. Wir kommen zu einem Ende. Oder zu einem letzten Anfang, der jedem Ende seine Wahrheit entgegen stellen kann, die wir gar nicht sehen können, bevor wir dieses Ende hinter uns gelassen haben?

Das Ende einer Freude oder einer Mühsal kann bis dahin immer der Anfang einer neuen solchen sein. Wie wir den Weg gehen, wie wir Brüche annehmen und – eben – Enden überwinden und Anfänge wagen, ist eine Frage des Lebens. Bis zum Ende.

12.März 2021, 0:25

Hinaus, mir entgegen

Es liegt nicht an Corona, dass ich nicht Joggen gehe. Erst haben mir das Hunde überforderter Frauchen und Herrchen vor Jahren schon madig gemacht, und mittlerweile bin ich auch zu träge dafür geworden. Vielleicht juckt es mich ja wieder, wenn ich lange genug in früheren Texten stöbere und an ihnen rum bastle. Allerdings hat das ein Jahr Corona noch nicht geschafft…

Ich lasse mich nicht einsperren. Auch heute will ich joggen.
Ich freue mich, gleich mit meinen Gedanken allein zu sein.
Ich hoffe auf etwas Schwerelosigkeit in meinem Körper, auf die ganz bestimmten Minuten, die mir suggerieren, genau so endlos weiter laufen zu können.

Asthma hat mich in den letzten Tagen zweimal abbrechen lassen. Deprimiert hat mich das nicht. Die langen Wege der letzten Monate haben mich schon etwas gelehrt:

Für mich geht es nicht um Leistung. Fehlt mir die Luft, dann habe ich eben Zeit, inne zu halten.
Anhalten, rasten. Wer sagt, dass es immer vorwärts gehen muss? Ist der Schritt vorwärts immer ein Fortschritt?

Ich muss immer seltener wissen, wie weit ich laufe. Oder wie schnell.
Ich laufe mit mir.
Bin ich bei mir?
Tanzen meine Gedanken davon oder sammeln sie sich?
Die frische Luft kühlt meine Haut.
Gott legt mir die Freude auf den Weg vor meinen Füssen und in jeden Atemzug. Frei atmen können. Ich weiss, wie wunderbar das ist. Ich staune über die Quelle unserer Energie. Rund hunderttausendmal schlägt unser Herz jeden Tag, versorgt uns, ohne dass wir einen Gedanken dafür haben.

Ich bin dankbar für jedes Stück Bewusstsein, für jede Zeile, die ich schreibe, für jeden Schritt, den ich auf meiner Strasse mache.



thinkabout.myblog.de vom 6.11.04, heute redigiert