Die Weltreligionen tragen so viele wunderbare spirituelle Energie in sich, die uns Menschen zur Liebe führt, zu einer Art Gottesliebe, die selbstlose Güte und Nächstenliebe mit einschliesst. Eine wunderbaree Quelle von Lebensenergie. Alle diese Religionen tragen aber auch den Stachel der Unfehlbarkeit in sich: Sie besitzen und verkünden die alleinige Wahrheit, und es gibt keine Erlösung als durch genau diese Lehre.
Und dieser Stachel trieb uns in unzählige Kriege, schafft Heiden und Ungläubige, Menschen zweien Grades. Und selbst wenn wir heute einen toleranten Islam, ein aufgeschlossenes Juden- oder Christentum leben, so müssen wir uns bewusst sein, dass wir uns diese Interpretationen und Ausgestaltungen und Lebensformen aneignen können, weil die Essenz noch vorhanden ist, Kulturgut sind, gewissermassen – und womöglich zuvor mit Waffengewalt in Gesellschaften festgesetzt wurden. Um so mehr haben wir diese Kräfte zu überwinden und uns auf die gemeinsamen Bedürfnisse aller Menschen zu konzentrieren – und auf deren Fragen nach Werden und Vergehen.
Ich erlebe gerade wieder hautnah, wie sehr Kirche und Religion den Umgang mit unserer Trauerarbeit bestimmen. Wie sie Gerüst sind, Geländer, für die Verarbeitung von Verlust – und wie sie aber auch Autorität ausüben: Wie leicht fällt es Würdeträgern wie Gläubigen, sich über den letzten Willen eines Verstorbenen in Zeremonienfragen hinwegzusetzen – nur so als Beispiel? Wie oft wird mit Autorität „für das Seelenheil“ einer verstorbenen Seele entschieden, ganz unabhängig davon, wie bewusst sich diese Seele zuvor andere Zeremonien oder auch nur Abweichungen wünschte? Welche Anmassung erlaubt sich die Kirche? Wie viel Selbstherrlichkeit dringt da durch?
Und wie sehr wird im Zweifelsfall doch ein Weg beschritten, der sich nur am Willen der Hinterbliebenen orientiert und nicht wirklich nach dem Verstorbenen fragt? Es herrscht die Macht des egoistischen Verlangens, Verlust in einer Weise gemildert zu bekommen, die einem selbst erträglich erscheint – und nicht der aus einem kalten Köprer ausgetretenen Seele. Man mag sich zwar daran trösten, dass diese Seele nun befreit sei, ihre Wünsche haben aber bei weitem nicht die Autorität wie der Talar des Pfarrers und dessen Dogmen…
Sollte „die Seele“ diese Autorität haben? Ich denke grad drüber nach….
Als Bürgerin würde ich jedem lebenden Menschen evtl. ein Recht zubilligen, die Form seines Begräbnisses im Voraus (im Rahmen machbarer Grenzen und Eigenfinanzierung) rechtsverbindlich festzulegen.
Aber warum? Ich denke nicht, dass es nach dem Tod ein Leiden am falschen Begräbnis gibt.. also sind die Rituale und Traditionen allein für die Lebenden da. Die es offenbar nötig haben, es so „wie gewohnt“ zu machen.
Was sich zeigt, wenn entgegen dem Willen des Verstorbenen agiert wird, ist das ja zunächst keine von reigiösen Würdenträgern angestoßenes Geschehen, sondern eine Entscheidung der Familie, der Nächsten. Vielleicht war ihre Beziehung zum Verstorbenen nicht so innig, dass es ihnen am Herzen gelegen hätte, seinen Wünschen zu entsprechen. Vielleicht sind es Menschen, denen Konventionen vor allem Anderen wichtig sind. Wir wissen es nicht.
So ein „abweichendes Ritual“ ermöglicht noch einmal eine echte Begegnung mit dem Verstorbenen – eben im Erleben der spezifischen Abweichung: Ja, so war er…so war sie…
Aber das muss man halt wollen.
Du schreibst:
Ich denke nicht, dass es nach dem Tod ein Leiden am falschen Begräbnis gibt..
Du denkst so. Aber der Verstorbene, dem die Art seines Begräbnisses so wichtig war, dass er es kund tat, sich damit beschäftigte, als er noch lebte, und sich womöglich gar die Mühe machte, das schriftlich zu hinterlegen, dachte offensichtlich anders. Und das ist das einzige, was wir wirklich wissen.
Das abweichende Ritual ermöglicht eine Begegnung mit dem Verstorbenen? Das ist dann noch eindimensionaler als es die Situation an sich schon hergibt. Wie will ich dem Menschen begegnen, dessen Willen ich missachtet habe? Welche Art Begegnung kann das werden?
Ich gebe gerne zu: Ich mag darüber gar nicht diskutieren. Denn was ich real gerade erlebe, ist schmerzlich genug und ganz offensichtlich kann man sich dem letzten Willen eines Menschen immer leichter widersetzen. Es gibt dafür eine rechtfertigende „Vernunft“ der Verbliebenen, welche sich immer leichter anmasst, solche Dinge umzustossen.
Meine Frau springt gerade in die Bresche und weist mich darauf hin, dass Du Deinen Einwand vom abweichenden Ritual gerade andersrum meinen dürftest, und dann bin ich mit Dir völlig einer Meinung:
Ja, genau diese Abweichung von der eigenen Erwartung zu respektieren, würde die Begegnung ermöglichen – eine Auseinandersetzung mit Respekt vor dem Willen der Person. Und das muss man dann tatsächlich wollen, diese Grösse erst haben.
Danke!
Ja, ich meinte es genau so, wie Deine Frau es richtig verstanden hat – und ich bin selbstverständlich dafür, den Willen des Verstorbenen wo immer möglich zu respektieren! Es sei denn, es wird der Gemeinschaft Unmögliches/Unfinanzierbares abverlangt, wie etwa das Verstreuen der Asche irgendwo in der Südsee…
Insgesamt sehe ich das Ganze dennoch als eine Veranstaltung für die Lebenden. Nicht auf die mögliche Verärgerung der posthum womöglich noch herum geisternden Seele sollten wir die Akzeptanz des Willens des Verstorbenen gründen (das wäre archaisch-magisches Denken) – sondern auf Liebe und Respekt, die im nach seinen Wünschen „abweichenden Ritual“ eben noch einmal gesondert Ausdruck finden.