Ressort: Reloaded(Weitere Infos)

21.Dezember 2021, 20:45

Worte und ihre (Ohn-)Macht

Hoffentlich kein Geplapper über Geplaudertes. Aber es liegt in der Natur des Schreibens, dass du dir immer wieder Gedanken machst über den Prozess und seine Wirkungen auf dich selbst und auf andere:

VOM SCHWEIGEN
Khalil Gibran

Obwohl die Stürme der Worte
uns unablässig überschwemmen,
in den Tiefen unseres Ichs
herrscht das Schweigen auf immer.

***

WIEVIEL WIR REDEN

Nur ja die Stille verhindern,
die wir nur als quälende Pause kennen,
als peinlichen Unterbruch
zwischen zwei Konversationsfetzen.
Ruhe ist fremd.
Stille eine Bedrohung.
Dabei reden wir doch gerade,
um unsere Unruhe los zu werden.

Hinweg mit dem Gebrabbel und Geplapper,
mit dem ich meine Zeit verschwende.

Still werden vor mir selbst und
in der scheinbaren Leere meiner Seele
die Tiefe erkennen,
die Weisheit und Wahrheit kennt

Thinkabout


thinkabout.myblog.de am 14.11.2004 – heute redigiert

WORTE UND IHRE OHNMACHT

Wenn du schreibst, bist Du gerade mit Dir allein und es Dir auch bewusst. Wer dich liest, nimmt sich einen Moment Zeit für sich selbst – und für dich? Was erfährst du davon? Was machen die Worte, die du formuliert hast? Wo bleiben sie? Wen erreichst du damit? Sie verlassen deinen Mund oder deine Tastatur und ziehen weiter. Sie lassen dich zurück und du sie. Ein Zeugnis des Moments, die Aufzeichnung eines Gedankens, eines Gefühls. Gibt es Sätze, die noch nie gesagt oder geschrieben wurden? Kaum. Aber neu an ihnen kann immer mein Verstehen sein. Mein Zugang – oder die Voraussetzung, die zu ihrem Abgang bei mir geführt hat. Worte kleiden eine Empfindung in eine Hülle, die etwas fassbar machen soll. Es gelingt nie wirklich. Wir scheinen alle Wahrnehmung nur teilen zu können, wenn wir sie reduzieren. Es wäre daher schön, wir wären so demütig, einzugestehen, dass alles viel grösser ist, als wir es begreifen. Die Worte, die wir dann benützten, wären wahrhaftiger.

11.Dezember 2021, 23:45

Der Blick meiner Muse auf mich

Du erleichterst mir
den Zugang zu meiner Seele.
Würde ich Dir nicht glauben,
wenn du sagst, dass ich schön bin,
und Schönes schreibe,
würde ich uns Beide beleidigen.

Stattdessen will ich Dich
und meinen Schöpfer ehren,
indem ich mich ehrlich bemühe,
meine Kreativität zu schulen,
und mit meinen Talenten zu arbeiten.

Ich will die Reflexe ablegen,
die mich alles verwerfen liessen.
Ich erahne meine Talente.
Ich werde keine Projekte mehr weglegen,
bevor jemand anderer als ich selbst gesagt hat,
dass sie nichts taugen,
nein, bevor ich damit nicht wirklich gescheitert bin.


thinkabout.myblog.de vom 14.11.04, heute redigiert
und heute dazu weiter gedacht:

Na, das habe ich ja bisher prächtig hinbekommen, denke ich spontan. Doch hätte ich die innere Wahrheit zwischen den Zeilen nicht doch ein gutes Stück weit verinnerlicht, so gäbe es Thinkabout als Blog heute natürlich nicht mehr. Die letzten Jahre in den Tasten haben nicht nur mich auf eine neue Weise mürbe gemacht, und es ist höchste Zeit, weniger die Welt verändern zu wollen als mich selbst mehr zu finden. Da habe ich dann auch wirklich etwas davon. Eine Impfung hilft auch dabei nicht weiter, aber nach wie vor mit dem Verlangen getränkt zu sein, etwas Kreatives zu versuchen, immer wieder, macht mich glücklich.

14.Juni 2021, 8:30

Erdige Gedanken

Unsere Begegnungen mit der Natur können manchmal so tief empfunden werden, als würden wir von Gott selbst berührt.
Wenn ich Tiere beobachte oder einen besonderen Baum, der im Wechsel der Jahreszeiten Blühen und Welken immer wieder neu durchlebt und ich dabei seine Wurzeln wachsen sehe, dann fühle ich die Sehnsucht danach, „wie die Tiere dem Leben recht geben zu können“ (J.R. von Salis) und entsprechend im Leben verwurzelt zu sein:

Meiner Bestimmung gemäss zu leben. Was bedeutete: Ich weiss wer ich bin und was ich soll. Tiere müssen nicht nach ihrem Sinn fragen – sie scheinen in jedem Moment das zu tun, wofür sie bestimmt und gedacht sind und folgen ihren Instinkten. Wir aber haben ein Bewusstsein, das wir scheinbar erst entwickeln oder wieder freilegen müssen: Wir können uns eine Zukunft denken und womöglich die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Wir vermögen scheinbar sehr schlecht mit der Tatsache der weiter laufenden Zeit umzugehen. Statt Werden und Vergehen in unser Bewusstsein eindringen zu lassen, verscheuchen wir die Fragen nach unserer Herkunft und unserm Hingang und leben in einem diffusen Durcheinander von Augenblicken, abgelenkt vom scheinbaren Trost momentaner Zerstreuung und der Erfüllung aktueller Pflichten.

Dabei wird uns immer die Möglichkeit gelassen, im Bewusstsein unserer physischen Endlichkeit unsere Seele zu nähren und mit beiden Füssen die Erde spürend gleichzeitig den Himmel zu greifen.

thinkabout/myblog.de vom 13. Nov. 2004, heute bearbeitet und ergänzt

28.Mai 2021, 14:50

Die Nacht als Tageszeit

Ich weiss gar nicht mehr, wann das angefangen hat, dass ich die Nacht gerne zu einem Teil meines Tages gemacht habe. Es hat mir schon als Student entsprochen und ist bis heute so:

WACHE NACHT

Ich liebe die Nacht,
die mich empfängt
mit Stille und Geschichten.
Ich sitze da und denke
ganz anders als am Tag,
wenn helle Lichter blenden.

Ich lief ganz jung schon
nachts durch dunkle Strassen,
den spiegelglatt glänzenden Asphalt
regennass unter meinen Füssen:
Zuflucht für bedrängte Herzen,
Wanderpfad für meine Seele.

Nicht Bedrohung fühle ich,
nicht Angst, nicht Ruhelosigkeit.
Es bescheint ein fahlgelber Mond
meine springenden Gedanken,
bis mich schläfrige Sanftmut
in eine neue Ruhe entführt.

thinkabout.myblog.de am 12.11.04, heute bearbeitet

In der Nacht bin ich unter Menschen allein. Ich weiss sie schlafend, arbeitend, unter der Decke, in den Freuden oder Sorgen wegen morgen. Das ein Morgen ist. An dem die Sonne wieder aufgeht. Ganz sicher. Was für ein Wunder, jeden Tag. Ich bin in diesen Stunden allein – aber bin ich es wirklich? Und mehr als am Tag, wenn ich unter ebenfalls wachen Menschen bin? Wir kommen allein und wir gehen allein. Der erste und der letzte Teil des Weges kann nicht geteilt werden. Und die Entwicklungsschritte, die wir gehen, sind auch die unseren. Wir können sie nicht abgeben. Niemand geht den Weg für uns und niemand geht genau den gleichen. Aber ich trete aus der Nacht und dem folgenden Schlaf heraus in einen Tag, der Begegnungen bereit hält. In denen ich wahrhaftig sein kann, wenn ich in mir selber wohne in einer Weise, die auch und gerade in der Nacht der Unsicherheit standhält, Angst aushält und überwindet. Viele Briefe, die ich schreibe, schreibe ich nachts. Wenn ich bei mir bin. Und etwas davon zu jemandem tragen will. Einen Gruss. Einen Gedanken. Das Gefühl, das ich habe, wenn ich den Mond betrachte, und wieder mal sehe, welch unfassbare Kraft er besitzt. Er blendet nicht. Aber er scheint. Leuchtet. Geht seinen Weg und vergisst dabei die Erde nie. Wenn ich ihn am Himmel suche und finde, ist alles gut.

02.Mai 2021, 17:50

Noch etwas über Erfolg

Erfolg ist durchaus eine Sache des persönlichen Blickwinkels. Und nur schon dadurch, dass ich mir bewusst werde, was für mich Erfolg ist, erfahre ich etwas über mich. Wie materiell sind meine Vorstellungen von Erfolg? Was macht mich erfolgreich?
Kinder gross ziehen und sie dann sicher durchs Leben ziehen sehen, ist ein Erfolg, der nicht einfach nur auf der eigenen Umsicht, dem eigenen beispielhaften und Sicherheit gebenden Vorbild beruht. Kindererziehung ist auch stets mit Bangen und Hoffen verbunden. Unmöglich können alle erdenklichen Einflüsse und Nöte vom Kind fern gehalten werden. Es muss auch behütet sein von höheren Händen. Erklärt man solche Ziele als erstrangig und sieht darin den wichtigsten Erfolg, so ist die Demut der Dankbarkeit für den Erfolg etwas, was unweigerlich folgt.

Nicht alle Menschen können Erfolg so von fremden Einflüssen beeinflusst sehen und entsprechend akzeptieren, dass stets Unwägbares unsere Erfolge mit beeinflusst.

Männer neigen dazu, sich Ziele zu setzen, die nach ihrer Vorstellung gänzlich aus eigener Kraft zu erreichen sind, und entsprechend fixiert gehen sie oft Ihre Karriere auch an. Sie mögen davon reden, dass es „immer auch Glück braucht“, aber sie denken im Grunde, dass es ihr Können oder Unvermögen ist, das sie am Ende gewinnen oder scheitern lässt. Solche Menschen haben eine innere Unruhe, die sie treibt und sehr oft auch nicht ruhen lässt, wenn Erfolg durchaus da ist.

Ich werfe einen Blick auf einen Menschen, über den sich ein Urteil eigentlich verbietet.
Nach weltlicher Sichtweise ist der Dalai Lama alles andere als erfolgreich. Aus seinem Land vertrieben, der Tibet ausgeweidet, abgeholzt, ausgehöhlt, sein Volk unterdrückt. Und seine Nachfolge ist alles andere als gesichert: Die Chinesen werden die traditionelle Suche nach der nächsten Inkarnation des Dalai Lama mit aller Macht zu verhindern trachten.
Mit dieser Bilanz tagtäglich konfrontiert – ich weiss nicht, wie ich damit umgehen würde.
Ich bin ziemlich sicher, dass mir seine Heiligkeit mit einem Lächeln begegnen würde, wie es für ihn typisch ist, und mir vielleicht antwortete:
Ein wirklicher Misserfolg, ja ein Desaster für jeden Menschen ist es, wenn er seine Fähigkeit zum Mitgefühl verliert.

Damit sind wir bei Zielen, die wir uns im Leben setzen können, die unabhängig von der bestehenden Lebenssituation gleich schwer oder leicht erreichbar bleiben. Sie sind tatsächlich alleine von uns selbst abhängig, und von der Fähigkeit, über viele unserer Erwartungen und Bedürfnisse hinweg zu kommen, sie mit einem Lächeln abzulegen. Kraft und Einsichten, die ich gewinnen und bewahren kann in jeder Lebenssituation – das kann Quellwasser sein für den Brunnen meiner Seele.


thinkabout.myblog.de vom 11. Nov. 2004 – heute redigiert

19.April 2021, 6:20

Glanz und Arroganz des Erfolgreichen

Was ist die Voraussetzung für Erfolg?
Jeder betont ständig, wie hart er arbeitet:
Auch so eine Worthülse, die man getrost nach Amerika zurückschicken könnte, von wo sie herkommt.

Ich empfinde es immer als Affront gegenüber den nicht ganz so Erfolgreichen, wenn ein Sieger im Sport seinen Erfolg damit begründet, dass er so hart gearbeitet habe.
Damit sagt er indirekt, dass er mehr tat als andere.
Wie will er das wissen?
Er kann davon ausgehen, dass bei diesem Wettkampf alles bei ihm am besten zusammen gepasst hat, und er mag so viel Selbstbewusstsein haben, dass er denkt, dazu eine ganze Menge beigetragen zu haben durch Talent, und ja, auch durch Fleiss und Willenskraft und Bereitschaft zum Verzicht, zur Überwindung des inneren Schweinehundes, und über den Lohn aller Mühen glücklich zu sein, ist wunderbar mit zu erleben.

Aber an einem bestimmten Tag besser zu sein als alle anderen oder unverhofft einen Auftrag zu kriegen oder ein Projekt erfolgreich zu Ende zu bringen, das beweist vielleicht meine grosse Geschicklichkeit, zeugt auch von Fähigkeiten, aber es lässt auch Fügung erahnen hinter dem auch beteiligten Zufall, der, tritt er ein, sich nie völlig schlüssig herleiten lässt: Warum wurde ich hier und jetzt nicht von einem Konkurrenzangebot, von einem Konkurrenten überrascht? Ich nenne dies Grund zur Demut und Dank für das Geschick meines Lebens. Also versuche ich nicht nur, mich nach Möglichkeit in meine Lebensumstände zu schicken – ich möchte sie begreifen und darin den Leitfaden sehen, nach dem und an dem ich mich weiter entwickeln kann.

Ja – es gibt die Menschen, die herausragend erfolgreich sind. Die – wie im Sport – messbar die Besten in ihrer Tätigkeit sind. Aber die Strahlkraft, das Besondere an ihnen ist ganz schnell nicht der Erfolg allein, sondern, wie sie mit ihm umgehen. Und sie können Mutmacher sein, eine Inspiration: Nicht aufzugeben, wenn die Dinge schlecht stehen. Denn schaut man genau hin, gerade bei den ganz grossen Karrieren, so findet man fast immer auch Brüche. Den strahlenden ewigen Sieger gibt es nicht. Jede Tenniskarriere, auch die strahlendste, gibt unzählige Geschichten von bitteren Niederlagen her. Wenn wir Höhen und Tiefen so betrachten können, dass sie uns etwas lehren wollen für einen möglichst sicheren, geraden, ausgeglichenen Weg, dann erhalten wir etwas von der Sicherheit, die Siege allein nicht vermitteln können.


Basis des Textes: thinkabout.myblog.de vom 10. Nov. 2004 – heute ergänzt und vertieft

14.April 2021, 1:00

Die Macht der Worte

Ja, mein Freund.
Du hast recht.
Worte haben Macht.
Sie können Waffen sein.
Sie können Wunden schlagen,
sich in sie hinein legen
und darin zu wühlen beginnen.

Sie können aber auch heilen,
unsere Seele wärmen,
uns stärken,
deine Wunde erkunden,
sich darüber legen,
schützend und behütend,
wie kühlende Gaze,
und mit warmem Strich
über schwellende Narben fahren,
bis der Schmerz der Entzündung nachlässt.

Darum sollten wir
unsere Worte bewusst wählen,
und sie zum Werkzeug unseres Herzens machen.


thinkabout.myblog.de vom 9.11.2004

„Fühl dich umarmt“ ist so eine hilflose Redewendung in unseren virtuellen Begegnungsräumen. Und doch kann ein Herz das andere fühlen, wenn es sich beim Schreiben öffnet. Grossartig an einem Wort ist nicht die Form, sondern das Herz, das es hat.

12.April 2021, 6:50

Wunschlos zufrieden

Wünsche, die wir hegen, verraten uns, wie wir unsere Welt und unser Leben sehen. Sie erzählen von uns selbst und helfen uns daher auch, uns auf die Schliche zu kommen. Im Nachhinein erweist sich so mancher brennende Wunsch als verzichtbar. Wünsche wollen einen empfundenen Mangel beseitigen. Das, was wir in unserem Leben als mangelhaft, als unzureichend, verbesserungswürdig bezeichnen, sagt mehr über unseren Frieden mit uns selbst aus als manches daher gesagte Glaubensbekenntnis.

Wünsche zu haben, ist völlig normal, und gerade junge Menschen besetzen Wünsche und Vorstellungen mit einem positiven Denken, aus dem ihr Tatendrang entsteht. Es ist die Bedeutung der jugendlichen unverbrauchten Kraft, energisch und enthusiastisch ins Leben zu drängen, um die Welt zu ergreifen und zu verändern und nicht nur zu fordern. Darum ist es so verheerend, wenn wir ihre Kraft so sehr beschneiden, wie es gerade geschieht. Denn tatsächlich verändert nicht nur die Tat, sondern auch die Haltung zur Gegenwart die Welt, denn darin liegt der Antrieb für alles Gestalten.

Wenn das Leben aber durch unerfüllte Wünsche angetrieben wird, wird man zum Hamster im Rad. Denn der Korb dieser Wünsche wird niemals leer sein, und ein anderer Korb ist immer noch besser gefüllt.

Zum Glück haben wir die Fähigkeit, auf ein Stück Käse in der Falle zu verzichten:

„Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.“

Otto Klaus

Und wenn wir das Kaleidoskop unserer Wünsche retrospektiv betrachten, dann staunen wir, wie sich diese Liste im Lauf der Jahre verändert hat. So sagen unsere Wünsche eine Menge über unsere Haltung dem Leben gegenüber aus.

Auf einen reifen Menschen kann dann, seiner Fähigkeit zur Zufriedenheit entsprechend, folgendes gelten:

„Eines jeden Menschen Wunsch entspricht seiner inneren Entwicklung. Das, wofür er reif ist, erscheint ihm wünschenswert.“

unbekannt

Und unsere Wüsche haben verschiedenste Ursprünge, Motivationen. Was ist Herzenswunsch, was schon BeGIERde? Blockieren uns unsere Wünsche gar?

„Des Menschen Begierden lenken ihn ab von den Wünschen des Herzens, und die Wünsche des Herzens halten ihn fern von der Versenkung in seine Seele.“

unbekannt

Das tiefste Innere unseres Seins, unsere Seele, wird durch materielle Dinge nicht gestärkt, berührt oder erschüttert. Ja selbst Glück oder Unglück vermag sie nicht zu erschüttern. Wir können sie immer aufsuchen, in ihr ruhen, ganz egal, wie die äusseren Umstände sind. Wir erkennen vielleicht sogar, dass Euphorie über Erfolg uns mehr von uns selbst trennen kann, als so manches Leid…

Es ist befreiend, keine Wünsche zu haben. Nichts benennen zu können, zu müssen, das sich im eigenen Leben noch ändern, wegdrücken lassen oder einstellen müsste, um zufrieden sein zu können.
Das hat nichts mit dem fatalistischen Satz: „Ich erwarte nichts mehr vom Leben“, zu tun. Es ist keine Haltung, die auf enttäuschten Erwartungen, auf Frustration beruht.

Für mich ist es eher ein Trost, eine Quelle der Kraft: Egal, wie und wo ich mein Leben bestreite, egal ob es Leid oder Freude im Überfluss bereit hält – mir steht immer frei, wie ich damit umgehen will und wohin ich meine Schritte lenken möchte.
Es bedeutet Freiheit.

Mein grösster Wunsch ist es, meine Wünsche ablegen zu können und in mir zu ruhen.


thinkabout.myblog.de vom 8.11.2004 – heute redigiert und ergänzt.

06.April 2021, 20:30

An eine Seele im grauen Nebel

Vorbemerkung: Das Netz und speziell die Bloggerwelt kann immer wieder zu Kontakten mit Menschen führen, die mit einem Schatten auf der Seele leben und das im Schutz der Anonymität auch thematisieren. Depressionen sind ein sehr persönliches Thema, und Aussenstehende haben gut auf sich selbst acht zu geben, wenn sie sich „damit“, und also mit Menschen beschäftigen, die darunter leiden. Wenn die gefühlte Sinnlosigkeit für Menschen den Tod zu einem Sehnsuchtsort macht, kann das erschrecken, und es stellt sich die Frage, für welche Art Hilferuf die Hinweise stehen mögen. Die eigenen Gedanken dazu nicht zurück zu halten, verbunden mit einer Haltung, die versucht zu zeigen, dass weder Thema noch Situation Unruhe und Krise als geschlossenes System bedeuten müssen, kann ein Weg sein, die Not ernst zu nehmen, dabei aber darauf zu achten, ganz bei sich selbst zu bleiben. Für den Ausstieg aus tiefen Löchern braucht es professionelle Hilfe – aber Zeuge kannst du immer sein: Dass nämlich Gedanken über den Tod auch zu Gedanken zum Leben und zum Lebenwollen auslösen können. Der folgende Text kann unter Wahrung aller Persönlichkeitsrechte eingestellt werden – der Anlass ist viele Jahre her, die Gedanken darin werden allerdings kaum je Patina ansetzen – oder nur jene, die sie zeitlos erscheinen lässt… bis ich tiefere Wahrheiten finde.


Vielleicht hilft Dir das ein wenig:

Wenn wir den Gedanken an den Tod ausweichen, ihn mystifizieren, das Unbekannte scheuen, nicht wissen, wo wir hingehen oder hingeleitet werden mögen – Warum fragt niemand von uns, woher wir kommen? Warum ist die Geburt selbstverständlich, der Tod aber ein Tabu?

Die Bestimmung, die uns in unsere Körper geführt hat, wird uns auch hinaus helfen.

Du sagst, Du willst nicht verletzen, ziehst Dich von Freunden zurück. Du bist nicht der Erste und Einzige, dem bei der Bewältigung seines Schicksals vor allem die Angst der Nächsten alles noch viel schwerer macht.

Versuche einfach, Deine eigene Situation so gut wie möglich zu meistern. Nur damit kannst Du nach aussen wirken und den anderen Menschen helfen.

Ziehe Dich nur da und dann zurück, wenn Du es für Dich brauchst, und nicht, um andere zu schonen.

Übrigens ist Deine fehlende Perspektive vielleicht Dein grösster Trugschluss. Was meinst Du, warum wir so gerne von Dir lesen? Vielleicht, weil Du uns gerade in Deiner Situation so viel zum Leben zu sagen hast.

Nur wenn wir uns bewusst sind, dass unser Leben ein Ende hat und das jederzeit eintreten kann, haben wir wirklich einen Antrieb, bewusst zu leben und mit unserer Zeit sorgsam umzugehen.

Gib uns davon eine Ahnung – und wer weiss, vielleicht sind deine weiteren Schritte solche, die Dir gar neues Leben, neue Lebendigkeit schenken. Deine Seele auf jeden Fall lebt – mag sie auch wie ein Bergsee unter dichter Bewölkung momentan etwas dunkel scheinen.

Mach stets nur einen Schritt, auch im Kopf – und gewähre Dir auch mal eine Pause, eine Rast, eine Stille. Gerade Du kannst uns lehren, wie wertvoll das sein kann.

Ich danke Dir für Deinen Umgang mit Deinem Dasein.


thinkabout.myblog.de vom 7.11.04 – heute redigiert, mit Einleitung

05.April 2021, 18:55

Lernen wollen: Lust auf mein Leben haben

Eine Gebrauchsanweisung, die ich – je länger je mehr – auf jede Falle anzuwenden versuche, in die ich tappe. Solche Fallen lauern für uns überall, und sie sind für unsere Freiheit ganz kleine oder auch ganz kapitale Katastrophen.

Es ist die deutsche Version der „Autobiographie in fünf Kapiteln“ von Portia Nelson.
(Den englischen Text setze ich ans Ende dieses Beitrags).

1.
Ich gehe die Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren…
Ich bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, wieder herauszukommen.

2.
Ich gehe dieselbe Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so, als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.

3.
Ich gehe dieselbe Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein… aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen.
Ich weiss, wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.

4.
Ich gehe dieselbe Strasse entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.

5.
Ich gehe eine andere Strasse.


Vieles, das mir in meinem Leben Energie raubt, beruht auf Impulsen, die mich die immer gleichen Runden drehen lassen. Meine Reflexe folgen meinen Mustern, wie wenn mein Verhalten durch mein vegetatives Nervensystems gesteuert wäre. Und das Leid, das es bedeutet, scheint mir lieber Orientierung zu sein, als dass ich es zu überwinden versuchte.

Manchmal ist es allein schon sehr harte Arbeit, das Loch überhaupt zu erkennen, mich darin als Gefangener zu begreifen. Dabei ist das Loch genau dafür so gross und so dunkel – will es mich wirklich verschlucken, oder nicht eher warnen?

So wohlig kann ich mich – scheinbar – fühlen, so zusammengekauert im Loch. Ich verweile da, weil da kein Weg mehr ist, den ich glaube gehen zu können (gehen zu müssen?). Die fehlende Perspektive lockt mich mit Selbstaufgabe. Warum sich wehren? Das Loch ist ja immer da.

Aber die Welt ist viel grösser, als sie aus einem Erdloch gesehen werden kann.
Um dieses Wissen bin ich dankbar, denn es lässt mich aus den tiefsten Löchern krabbeln und am Ende neue Strassen finden, die mir, die uns allen offen stehen. An die stelle von Reflexen kann ein Gestalten treten, ein Plan, ein Weg mit einem Ziel, einem Bewusstsein.

There’s a Hole in my Sidewalk
Autobiography in Five Short Chapters
By Portia Nelson

Chapter One
I walk down the street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I fall in.
I am lost …. I am helpless.
It isn’t my fault.
It takes forever to find a way out.

Chapter Two
I walk down the street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I pretend that I don’t see it.
I fall in again.
I can’t believe I am in this same place.
But, it isn’t my fault.
It still takes a long time to get out.

Chapter Three
I walk down the same street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I see it is there.
I still fall in … it’s a habit … but, my eyes are open.
I know where I am.
It is my fault.
I get out immediately.

Chapter Four
I walk down the same street.
There is a deep hole in the sidewalk.
I walk around it.

Chapter Five
I walk down another street.

Zu finden hier (und mehr): The Sidewalk of Life


thinkabout.myblog.de vom 7.11.04 – heute redigiert und ergänzt