Eine Gemeinderätin der Stadt Zürich mit muslimischen Wurzeln, bestens verankert in der hiesigen Gesellschaft, entsprechend vernetzt und national durchaus bekannt, hat Stress. Um den abzubauen, möchte sie ein Schiesstraining mit einer Sportpistole im heimischen Keller abhalten. Das Bedürfnis entsteht spontan, weshalb keine Zielscheiben vorhanden sind. Hierfür muss das Bild einer Ikone aus einem Auktionskatalog herhalten, weil es einigermassen die richtige Grösse hat. Dargestellt wird darauf die Gottesmutter Maria mit ihrem Jesuskind. Bis dahin mag das ja noch eine Privatsache sein.
Doch die Politikerin lässt sich beim Schiessen fotografieren. Die durchaus jeweils modebewusst auftretende junge Dame tritt in diesem Fall in schwarz auf, in einem knöchellangen Rock und schwere Sandalen. Sie erstellt einen Social Media – Post mit ihr in Aktion – und dem Trefferbild mit den durchlöcherten Köpfen von Maria und Jesus.
Die Folge ist ein Shit-Storm, wie ihn die Schweiz noch selten gesehen hat.
Die Frau hat mittlerweile um Vergebung bei den Menschen gebeten, die durch ihren Post verletzt wurden. Der religiöse Inhalt wäre ihr nicht bewusst gewesen und sie hätte sich nichts dabei überlegt.
Das von einer Frau zu lesen, die auf sozialen Netzwerken sehr scharf zu argumentieren gewohnt ist und seit Jahren sehr bewusst Social Media für politische Themen und Ziele einsetzt und dabei auch diskriminierend werden kann, in einem Consultingunternehmen für Kommunikationsstrategien angestellt ist, Jura studiert hat und doktoriert, ist erstaunlich.
Was folgt, ist klar. Es gibt übelste Kommentare, der sich anonym glaubende Mob beginnt zu rasen, die Frau und ihre Familie erhalten Morddrohungen.
Grenzüberschreitungen auf allen Seiten. Und in der Folge die sich ebenfalls immer wiederholenden Reflexionen: Trifft es sie nur so sehr, weil sie eine Frau ist? Und es werden frühere Fälle aufgeführt, bei denen andere nachsichtiger behandelt wurden.
Dieser ganze Internet-Mob mit all seinen Auswüchsen ist zu verurteilen, und es geht überhaupt nicht, dass sich jemand mit dem Tod bedroht sieht. Das muss aber nicht von einer Regel ablenken, die ebenfalls gültig ist:
Immer wieder kann beobachtet werden, dass besonders scharfzüngige Agitatoren in den asozialen Netzwerken früher oder später kein Gefühl mehr dafür haben, welche Art von Verletzungen sie verursachen. Es geht schleichend aber stetig nicht nur die Akzeptanz, sondern die Duldung „der Anderen“ verloren, während man zu glauben beginnt, man wäre selbst unantastbar. Das Internet ist kein folgenloser Raum ohne Rückkopplungen, ganz im Gegenteil.
Natürlich ist die Frau genug gestraft, wenn ihre politische Karriere beendet ist und sie ihren Job verliert. Aber die Frage, wie das alles geschehen konnte, und welche tiefe innere Motivation für das alles bestand, bleibt bestehen, und keine der Konsequenzen kann wirklich überraschen:
Ich bin wohl nicht der Einzige, der sich wünscht, es würden sich mehr Menschen wieder bewusst machen, dass jedes gesprochene und geschriebene Wort eine Tat ist, mit der man diskutieren, debattieren, streiten, versöhnen oder spalten kann. Und wir leben in unserem eigenen Kulturraum, zu dessen Grundwerten auch die christlichen Wurzeln gehören – auch wenn wir eine säkulare politische Gesellschaftsform haben und die Religionsfreiheit zentral ist. Und es ist zu wünschen, dass wir dem auch weiter gerecht werden, indem wir die christliche Errungenschaft nicht jene Form der Toleranz reduzieren, die alles erträgt, weil eh alles egal geworden ist.
Der Tag also, an dem die hier beschriebenen Aktionen keine entsprechenden Konsequenzen mehr haben, ist nicht herbeizuwünschen. Gleichzeitig sollten sich die feigen Heckenschützen, die glauben, ein neues Freiwild ausgemacht zu haben, in ihren Worten zügeln, denn, siehe oben, das eigene Reden, Schreiben und Handeln bleibt nie folgenlos. Auch für einen selber nicht.