Ressort: Mensch und Natur(Weitere Infos)

11.November 2021, 8:00

Ein Herbst- und Wintermärchen in Einem

Wir haben Ferien gemacht. Zwei Wochen im Oberengadin, weit weg von jeder Corona-Regel, uns selbst genügend in der gemieteten Wohnung, gebucht für einen Zeitpunkt, der Nachsaison genannt wird. Bahnen: Stillgelegt für die Revision vor der hoffentlich brummenden Wintersaison. Restaurants und viele Läden: Geschlossen. Kein Eintritt, mit oder ohne Zertifikat. Der Volg in Sils hatte offen – und das reichte vollkommen.

Wir spekulierten auf den Indian Summer im Oberengadin, die Zeit, wenn die Lärchen goldgrün leuchten und der erste Schnee, das Gelb der Wälder und das Blau der Seen atemlos machen können. Und wir hatten nicht nur Glück. Wir hatten Schwein. So was von. Ich bin noch immer besoffen vor Freude, wenn ich die Bilder ansehe. Ihr Lieben, die Ihr diese Bilder seht: Genau so schön war es. Ohne Flugzeug, keine drei Stunden von Zürich entfernt.

Die erste Woche schenkte und strahlendes, stabiles Wetter, und das Timing war einfach perfekt. Die Ebene um Sils bietet unfassbare Ausblicke und Flanierwege am See zuhauf, und Wanderungen auf der Via Engadina oder ins Fextal sind reine Sinnesfreuden für Augen, Nase und Herz. Ich habe bestimmt noch nie so viele glückliche Menschen auf Wanderwegen gesehen, so viele offene, lachende Gesichter und staunende Blicke.

Und dann war es zwei Tage wolkenverhangen. Und es begann zu schneien. Die Wolken schütteten nicht etwa einfach etwas weissen Zucker aus, sondern mehr als einen halben Meter Schnee. Es war, als würden wir sanft in eine Zauberwelt gesetzt – und da sitzt Du dann und staunst und wirst ganz still.

Ich habe mich nicht zum Reporter machen wollen. Ich wollte einfach staunen, geniessen, Kindergeburtstag feiern. Aber das hier möchte ich noch teilen. Denn es gibt Fotos, die im goldenen Herbst und dann im Winterzauber gemacht wurden, an der praktisch gleichen Stelle. Hier einfach zum Geniessen!

Hotel Waldhaus, oberhalb von Sils:

Blick auf den Beach Club am Silvaplanersee:

Sils Maria:

Mit neuer Demut und Dankbarkeit und vollgetankt tauche ich wieder ein in unseren Irrsinn. So herrlich unwichtig und unnötig sind so viele unserer Aufregungen.

08.Juli 2021, 23:00

Oh Gott, wir Menschen

Immer wieder hörte ich von Menschen, dass Gott nicht existieren könne. Wie könnte er ansonsten all das Unrecht zulassen? Ja, ich habe die Vergangenheitsform benutzt. Denn heute scheint die Frage niemanden mehr zu beschäftigen. Wir brauchen Gott nicht.

Wir haben mit der Entschlüsselung der menschlichen Gene all seine Wunder erklärbar gemacht – so tönt es nicht selten. Wir suchen das Heil in der Forschung, der Technik, dem Fortschritt. Kein Politiker wird gewählt, uns zu regieren, wenn er uns höhere Steuern in Aussicht stellt – oder gar im Interesse der Umwelt Verzicht und Entschleunigung auch nur zur Diskussion stellt. Nein, wer uns führen will, muss das Heil versprechen. Und das Heil ist immer Wachstum. Verbesserung der Lebensumstände. Und mit diesen sind die Annehmlichkeiten des Alltags gemeint.

Wir wollen überall hin in die Ferien reisen können. Und bringen dann gigaweise Fotos nach Hause. Aber wir schauen nicht wirklich hin. Schon gar nicht zweimal. Keines der Naturparadiese, die ich persönlich besuchen durfte, wäre bei einer nächsten Reise zwanzig Jahre später noch gleich anzutreffen. Mit rasendem Tempo verändert sich die Erde. Weil sie so absurd klein ist, weil wir kein Gefühl für ihre Verletzlichkeit haben, und schon gar kein Gefühl für die Zeit, in welcher wir uns bewegen. Was wir zu dehnen versuchen, unser eines Leben, an das wir glauben, weil wir es unmittelbar atmen, jede Sekunde, ist ein Wimpernschlag im Dasein des Planeten. Wir verhalten uns so, als lebten wir ewig – als Individuen wie als Spezies. Unser Ende gibt es nicht, bis es da ist. Der Tod ist ein Skandal, die Niederlage des Arztes, an den wir doch geglaubt haben. Der Tod ist uns nicht Lehrer fürs Leben. Eigentlich ist es doch mittlerweile so, aus der Sicht eines Schöpfers betrachtet, dass wir, von dem Moment an, in dem wir auf die Welt kommen, stören, bis wir gegangen sind.

Und doch sage ich:

Gott resigniert nie. Mögen wir noch so taub sein, er spricht immer weiter zu uns – in der Natur und in unseren Begegnungen.

Gott lässt tatsächlich eine ganze Menge zu. Es gehört eben zum Entwurf, der wir selber sind, dass wir die Wahl haben. Und wenn wir schon so massiv gescheit sind, dann sollten wir uns einfach fragen lassen: Für welches übergeordnete, besondere Ziel setzen wir denn unsere Intelligenz ein? Und wie erfolgreich sind wir dabei? Und ist es nicht schlicht Blasphemie, einen Gott zu verhöhnen, an den wir nicht glauben, weil wir ihn nicht sehen, während wir die Schönheit der Leben, die sich trotz uns vielfältig entwickelt haben, nicht beachten aber sehr wohl gefährden?

Sind wir fähig, die Schöpfung zu verwalten? Welche Antwort gibt unser Umgang mit Corona darauf? Wir sind uns nicht einig? Was wissen wir, worin irren wir? Es gibt keine Antworten, wenn wir ehrlich sind, sobald wir nach dem Sinne des Wortes Forschung meinen: Forschung akzeptiert den Irrtum als mögliches Resultat, mag sie ihn auch – hoffentlich – noch so vehement zu vermeiden trachten. Die Demut, die uns abhanden gekommen ist – sie würde unserem Stand des relativen Unwissens gut tun.

Sie würde uns helfen, Fragen ohne Verzweiflung zu stellen, und Antworten mit dem Gewissen zu suchen, das Unsicherheiten aushält. Bedrohungen sind real. Es wird die EINE Spritze dagegen nie geben.

08.Juni 2021, 2:00

Lebensmittel für ein gutes Leben

Wir stimmen am nächsten Wochenende über eine Volksinitiative für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung ab, und über die Volksinitiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“. Wieder mal ist es einigermassen kompliziert, als Laie den Durchblick zu bekommen.

Die Schweiz ist ein kleines Land – und eine einigermassen autarke Landwirtschaft verheisst uns ein wenig Sicherheit. Gerne wird auch behauptet, dass Schweizer Produkte eh schon einen hohen Standard an Natürlichkeit erfüllen. Die entsprechenden Werbespots der Grossverteiler haben teilweise etwas von einer Märchenstunde, so übertrieben wird uns die Idylle auf dem Bauernhof vorgegaukelt.

Schlussendlich werden Produkte produziert, mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Die Schweizer Bauern haben seit Generationen eine starke Lobby. Es tut sich auch Einiges in Sachen Bio, aber der Wildwuchs der Labels ist grotesk und die Kriterien dafür müssen nicht immer logisch oder sinnvoll sein. Das Prinzip treibt der guten Absicht manchmal den Sinn aus den Tier- und Pflanzenfasern…

Aber nun ist Feuer im Dach. Im kleinen Schweizer Land häufen sich die Nachrichten über eine immer schlechtere Grund- und Quellwasserqualität, und die Rückstände an Pestiziden im menschlichen Körper nehmen laufend zu.

Die Bauern prognostizieren uns bei Annahme eine ausgedünnte Angebotsvielfalt, einen Ausstieg aus den Direktzahlungsprogrammen, welche den Einsatz von Pestiziden kontrollieren, und, das vor allem, viel höhere Gestehungskosten und damit höhere Preise. Da scheint guter Rat teuer. Also vielleicht doch nach dem Bauchgefühl gehen…

Welche Angst ist nun grösser? Diejenige, auf Angebote verzichten oder dafür viel mehr bezahlen zu müssen – oder uns in all der Vielfalt der Speisen still und heimlich weiter zu vergiften? Weniger radikale Lösungen suchen, auf entsprechende Initiativen der ursächlichen Landwirtschaftsproduktion vertrauen? Aber deren Verlautbarungen und Absichten haben schon vor Jahrzehnten ähnlich geklungen… Ich bin gespannt auf die Ergebnisse. Die junge Generation scheint mir bereit zu sein, neue Standards zu wollen. Koste es auch, was es solle.

29.März 2021, 23:15

Normalität und Veränderung

Wir wünschen uns die Normalität zurück. Wir haben genug. Wir fühlen uns bedrängt, manipuliert, eingesperrt. Wir wollen unser Leben zurück. Die Beizen, das Strassenleben, die Lebendigkeit, das Gesellige, den Konsum. Und was ist mit den Aufgaben, denen wir uns für den Erhalt der Erde zu stellen haben?

Ich kann verstehen, dass junge und alte Klimaaktivisten sich daran reiben, dass es der Masse ganz offensichtlich schlicht darum geht, den Konsum wieder aufnehmen zu können – während doch die Zeit der Lockdowns gerade der Natur in einigen Segmenten ein bisschen Durchatmen erlaubt haben mag. Aber die Nachhaltigkeit in unserem Verhalten kann sich nicht durch die Angst vor einem Virus einstellen. Sie muss verstanden und gelernt werden – und gewollt. Aus freien Stücken. Und darum bleibt der Konsum unser Thema, dem wir uns stellen müssen, eine jede Person persönlich: Was vertreten wir? Was brauchen wir? Und was meinen wir mit „brauchen“? Wir werden auf jeden Fall in unserer Gesellschaft nie einen politischen Kurs durchgesetzt bekommen, welcher nicht das Auskommen für Alle möglich macht. Und sehr viele Segmente unserer Wirtschaftsleistung erbringen wir für Güter, die ein Bedürfnis befriedigen sollen, das zuvor künstlich geschaffen wurde.

So sind wir und so bleiben wir. Wir wollen es bequem und schön haben – was das heisst und wie sehr, müssen wir definieren, erst allenfalls neu lernen. Oder korrigieren. Unsere Einstellung zum Konsum kann sich nur anhand der Erfahrungen ändern – und vielleicht haben wir eine Ahnung gewonnen, wie es auch gehen könnte. Aber, ganz ehrlich: Was wir der Natur an Atempause ermöglicht haben, ist ein Klacks – und ging auf Kosten vieler Menschen, die umgekehrt bildlich gesprochen viel zu wenig Sauerstoff bekommen haben. Der Weg, ein natürlich natürlicher Mensch zu werden, ist verdammt lang – und gewissermassen zubetoniert. Und doch müssen wir zurück, zurück in unsere Normalität, in das, was wir darunter verstehen, weil nur Programme und Leitlinien, die wir frei entscheiden, in wirklicher Sorge um die Natur, so ehrlich und konsistent sind, dass sie Stresstests bestehen. Das macht nicht unbedingt optimistisch, ich weiss. Genau so wenig, wie die Tatsache, mit wie wenig Umsicht und Lebensnähe wir dem Virus die Stirn geboten haben – oder auch nicht.

Alles, wirklich alles, bleibt eine Frage der persönlichen Einstellung. Es ist das, was mir am meisten in den Knochen sitzt und sich als bleibende Erfahrung anfühlt:

Meine persönlichen Werte und meine Sicht auf meine Endlichkeit haben sich gefestigt, so dass ich dadurch ganz viel Frieden spüre und Freude an meinem Leben. Aber die Welt, die mich regiert, mit welchen guten oder weniger guten Absichten auch immer, ist mir fremder geworden. Das wird mich nicht hindern, in meiner Freude so zu leben, dass es auch andere spüren können. Ich will Menschen gut tun und sie nicht verunsichern. Aber ich verstehe die Unsicherheit, und ich befürchte, dass sie zu oft nicht ausgehalten wird, sondern zugedeckt. Wir passen uns an. Suchen bestenfalls einfache Antworten. Die niemand hat. Heute weniger denn je.

Dabei ist so unfassbar Vieles in uns Allen angelegt… denn wir haben das Leben in uns. Wir sind Schöpfung.

20.März 2021, 23:50

10min schreiben über: Ganzheitlichkeit

So viele von uns sind heute zu Netzwerkern geworden. Wir vernetzen uns weitläufig und tiefgehend, um möglichst ganzheitlich abschöpfen zu können, was uns irgendwann mal an Kontakten hilfreich sein könnte. Wir wollen alles, das Ganze, wir träumen von der Übersicht. Dabei ist uns vernetztes Denken nach wie vor eine Herausforderung, an welcher wir immer scheitern, und viel früher, als wir es uns zutrauen, wenn wir von den grossen Eingriffen in die Natur sprechen. Wir verändern einen Baustein, manipulieren ein Gen, transferieren Stammzellen und machen Mensch und Natur zur Reperaturstelle. Wir flicken drauflos – und haben dabei keine Ahnung, was wir damit an Wechselwirkungen und Folgeentwicklungen auslösen. Wir haben so viel gelernt über „die Welt“ – und wissen dabei so wenig. Und genau das müsste uns doch als tiefste Erfahrung bleiben. Doch die Realität ist genau die umgekehrte. Wir denken begrenzt, und beobachten eben auch zeitlich kurzfristig, was wir auslösen – vorausblickend können wir das eh nicht.

Die Ganzheitlichkeit im Denken, welche der Schutz der Natur oder des Klimas im Speziellen erfordern würde, überfordert uns. Dabei scheitern wir schon an der Übungsanordnung, denn schon wie wir Ganzheitlichkeit definieren, ist von unseren Prioritäten abhängig, und solche setzen wir immer. Niemand von uns gewichtet alles gleich, ist komplett wertfrei gegenüber Einschränkungen, die irgend jemand für uns zum Wohle anderer oder Aller andenkt. Und wie bitte wollen wir nur schon neutral berechnen können, was für einen bestimmten Flecken Erde denn besonders wichtig wäre? Die Verbesserung der Luftqualität oder des Grundwassers? Was schützen wir zuerst und wie effektiv, und welcher Eingriff hat denn tatsächlich welchen Effekt und wie schnell?

Die Energiebilanz des Elektroautos ist ähnlich mies wie die des Diesels, aber es stinkt halt schon viel weniger vor der Haustür. Ganzheitlichkeit wirklich zu versuchen, sie im Denken anzustreben, ist schon eine Charakterfrage. Und auch wenn wir dabei gar nicht erfolgreich sein können, wäre es wohl ehrlicher und darum auch zielführender, wenn wir uns schon dieser Problematik gleich zu Beginn bewusst wären. Auf dass kein Hochmut über uns komme. Das Verzagen daran dann zu verhindern, ist die wohl noch grössere Aufgabe. Mit dem Versuch, weniger zu verbrauchen, können wir allerdings GANZ am Anfang jedes Tages neu beginnen.

24.Februar 2021, 18:50

Wachsen

Leben ist Wachsen. Lebenskraft strebt nach dem Licht. Während Bäume natürlich ihrer Bestimmung folgen, müssen wir es eher erst lernen… wir müssen, wir dürfen heimkommen…

„Die Zeit verwandelt uns nicht, sie entfaltet uns nur.“

Max Frisch

Das Leben macht uns täglich Angebote. Wir können lernen und dabei wie Reisende auf neue Entdeckungen ausgerichtet sein. Je bewusster ich mir das mache, um so schneller komme ich immer auf die gleiche, faszinierende Erkenntnis:

Was ich finde, ist immer schon in mir.
Ich trage alles, was ich brauche, bei mir.
Ich bin nicht nur voll von Fragen,
ich kenne auch Antworten.

Ich möchte also viel besser auf mich hören lernen. Und bewege ich mich in der Natur, so zeigt sie mir fürsorglich, dass ich ein Teil von ihr bin, ein Teil der Schöpfung, so gewollt wie der mächtige Baum mit seinem festen Wurzelwerk in der Nähe meines Daheims.


thinkabout.myblog.de – am 2.11.04 08:56heute redigiert

15.Februar 2021, 17:30

Zufall, so schön

Rauhreif am frühen Morgen. Er liegt wie Schnee auf dem Rasen. Wie beiläufige, flüchtige Saat der Natur.

Dass ich ihn erlebe, bevor er wegschmilzt wie der kalte Atemhauch auf einer beheizten Scheibe im Winter, habe ich dem Zufall eines selten frühen Termins zu verdanken, den ich gestern noch verflucht habe.

Jetzt ist mir diese Begegnung mit Schönheit ein Sinnbild für das kleine Glück, das wir in unserem Gefangensein in Unwichtigem zu oft nicht sehen.

Diese Schönheit lässt sich nicht festhalten. Aber sehen. Entdecken. Das Geschenk tut der Seele so gut wie der einsetzende Tau, der den Rasen tränkt.

Ist es nicht ein wunderbares Ziel, solche Augen-Blicke wo und wann immer möglich in unserer Seele zu speichern und mit zu nehmen in alle neuen Tage unseres gewohnten „alten“ Alltags?

Was wir Zufall nennen, ist der Zufluchtsort der Unwissenheit.

Spinoza

[myblog-Text vom 29. Oktober 2004, redigiert]

04.Februar 2021, 22:30

Oh Gott, wir Menschen

Als der Mensch genetisch entschlüsselt war, wurde er immer lauter: Dieser Ausspruch, dass die Menschheit Gott nun nicht mehr brauchen würde. Was erklärbar wird, ist nicht länger ein Wunder. Und nur das Unerklärbare lässt die Vermutung göttlicher Mächte zu?

Die Wissbegier des Menschen ist unersättlich, und seine Fähigkeit, Geheimnisse zu entschlüsseln, wirklich erstaunlich. Das lässt die Menschheit hoffen, der Mensch selbst würde die Lösungen für alle Bedrohungen durch sein Wissen finden. Nur, welche Motivation hat der Mensch, sein Wissen anzuwenden? Und in welche Richtung forscht er?

Uns allen ist ein Überlebensdrang eigen. Arme Menschen wollen überleben. Vermögende Menschen können gut leben und sind im besten Fall dankbar dafür. Reiche Menschen haben Überfluss und gehen unterschiedlich damit um. Die Sachzwänge der Macht, aber auch die Faszination der Macht ist allgegenwärtig, und damit der Wunsch, Menschen und ihre Verhalten vorhersehen oder steuern zu können. Denn das verspricht reichen Ertrag. Und darauf ist der Mensch auch ausgerichtet. Kaum eine Errungenschaft, welche die Menschheit erreicht hat, ist nur für friedliche Zwecke genutzt worden. Und Entwicklungen, die uns begeistern, erfahren dann unsere Anwendung und Verwendung, und wir wissen wohl alle, dass wir mit diesen Möglichkeiten sehr unterschiedlich umgehen – und aus vermeintlichem Segen auch eine Crux werden kann. Was Geld und Macht verspricht, wird getan. Keine menschliche Ethik, die eine Berufsgruppe oder Gesellschaft festlegt, kann darauf bauen, Bestand zu haben. Das Machbare wird gemacht.

Ich habe nie verstanden, wie man aus der Entdeckung, wie etwas konstruiert, gebaut ist und warum, ableiten kann, es gäbe das darin liegende Wunder nicht mehr. Mindestens muss daraus doch ein Staunen folgen – und ein Blick dafür, dass sich auch die neue Entdeckung mit ganz vielen weiteren Phänomen vernetzt – und wir genau das zu erforschen nie auch nur im Ansatz fertig sein werden. Wie schlecht der Mensch fähig ist, einigermassen vernetzt zu denken und Wechsel- und Folgewirkungen von Eingriffen zu bedenken, zeigt sich ihm immer wieder, wenn er es denn sehen will. Aber oft sind wir blind, weil wir nur schon in Zeitbegriffen denken, welche für die Erde einfach lächerlich sind. Wir können die Folgen für die Umwelt nicht mal für die nächste Generation wirklich erfassen und stehen immer wieder vor der Frage, weshalb ein Phänomen plötzlich auftritt? Zu glauben, Master Of The Universe zu sein oder zu werden, ist ketzerisch und eine Überheblichkeit, vor der wir uns Alle fürchten sollten. Denn unsere Anmassung liegt auch darin, dass wir glauben, die Welt würde immer unser Konsumtempel bleiben. Keine unserer Massnahmen zum Schutz des Klimas zielt darauf ab, weniger zu haben, zu brauchen, zu konsumieren. Wir sollen es nur anders machen. Und damit weiter Wachstum generieren – und andere Ressourcen aufbrauchen.

Der Mensch hat vielleicht einen Sinn dafür, das Geschenk seiner Erde zu erkennen. Aber er hat nicht die spirituelle Tiefe noch die irdische Verbundenheit, sich als Bewahrer dieser Erde zu begreifen und entsprechende Kompromisse in seinem Konsum zu machen – und in seinen Erwartungen. Gott ist nicht tot. Wir ignorieren ihn nur. Wir kommen ohne ihn aus. Es kommt einmal ein Tag, an welchem Gott beschlossen hat, uns nicht mehr zu brauchen. So glaube und empfinde ich seine Präsenz. Wir müssen nicht an ihn glauben – aber wenn wir denn schon denken, ohne ihn klar zu kommen, dann sollten wir das Staunen über die Schöpfung nicht verlieren – und uns immer wieder bewusst sein, dass wir zwar grandiose Anstrengungen unternehmen können, die Richtung aber stets auch das Resultat der Unwissenheit ist. Wir sollten uns selbst auf die Finger schauen. Immer wieder. Und dabei schadet es keineswegs, die göttliche Idee in unserer Erschaffung zu suchen (warum sind wir wirklich hier?). Ob wir dann so leben würden, wie wir es tun, mit Einschluss aller Errungenschaften, die wir erreicht haben? Ich glaube es nicht. Gott ist nicht gestorben, nur weil wir ihn vergessen. Stattdessen könnten wir so Mensch werden, wie wir wohl wirklich gedacht sein dürften. Und dabei erfahren, wie viel Liebe in uns ist, die den richtigen Weg weist. Für den Nächsten, für die Erde, die Welt, unseren Umgang mit jeder Art von Gefahr. Wenn wir das Bewusstsein unserer Endlichkeit zum Prinzip unseres Lebens machen, bekommt das Machbare eine andere Bedeutung, die keine vergängliche Macht sucht. Dann wird auch die Ohnmacht nicht bleiben, wenn wir vor riesigen Problemen stehen – oder einem Ende. Wer weiss schon, was wirklich endgültig ist.

Den unsäglichen Sprüchen über den Tod von Gott oder seinen verlorenen Zweck stelle ich die Frage entgegen:

Was, glaubst du, bedeutet es für uns, für dich, wenn Gott einfach viel mehr Zeit hat als jeder von uns?

26.Dezember 2020, 8:00

Ausblick auf mehr – oder weniger

Auch wenn Weihnachten nicht weit ist – der Jahreswechsel ist nah. Und auch wenn sich alle herbeisehnen, Corona möge bald seine Kraft verlieren, damit wir wieder atmen können – was uns mehr würgt, ohne es zu merken, sind wir selbst. Die Wohlstandssättigung wird uns weiter selbstgefällig sein lassen.

Die Politik wird uns einschärfen, welche Probleme wir angehen müssen, damit, zum Beispiel, die Klimaziele erreicht werden. Die Industrie wird zu steuern wissen, wie dies geschieht, oder besser, scheinbar versucht wird. Wir werden auch im Neuen Jahr ganz viel davon erfahren, wie genial die Forschung Lösungen für die Klimaziele schafft. Und auch im Neuen Jahr wird die Lösung, die einzige, die wirklich garantiert ökologisch ist, nicht favorisiert werden: Braucht weniger.

Wachstum wird weiter das Prinzip unserer Ökonomie sein, und damit wird keines der Probleme gelöst werden. Wir schaffen im besten Fall neue, die tendenziell immer grösser werden.

Warum ich nicht wenigstens an Weihnachten Ruhe geben kann und positiv gestimmt? Nun, ich glaube an viele Dinge, auch an die Gottesliebe und die Liebe zwischen Menschen, aber nicht an die Fähigkeit der Menschen als Spezies, sich die Erde so untertan zu machen, dass wir überleben können.

Oh, für mich ist da keine Gefahr. Ich werde alt und satt und im Überfluss sterben. Und ich kann auch nicht sagen, welche Generation die Zeche am Ende zu hart bezahlen muss. Aber es wird eine Rechnung geben. Und einen Eintreiber.