Während ich an unseren Besuch vor zwei Wochen im Quartier Boca in Buenos Aires denke, wie wir durch die Gassen mit den farbig angemalten Holz- und Wellblech-fassaden gelaufen sind, wie wir am Fussball-Stadion der Boca Juniors vorbeifuhren, das so irrwitzig steile Stehrampen hat, dass die Spieler auf dem Feld das Gefühl haben müssen, die Zuschauer würden direkt über ihnen pfeifen, johlen, schreien und singen, sind die Mannschaften der ewigen Rivalen Riverplate und Boca Juniors längst in Madrid gelandet, wo der Final der Copa Libertadores gespielt werden wird:
Das Rückspiel des Finals der südamerikanischen Champions League in Buenos Aires konnte nicht ausgetragen werden, so viele Ausschreitungen hat es rund um die Spielansetzung in der Stadt gegeben. Nun also das Spiel in Spanien… Der Cup der Befreier wird in der Hauptstadt der einstigen Kolonialisten und Besatzer ausgespielt…
Fussball ist in vielen Ländern eine Art Religion geworden, und so weit davon weg sind wir in der „alten Welt“ nicht, dass wir darüber herablassend den Kopf schütteln müssten. Es ist nur einfach immer wieder bestürzend zu sehen, für wie Vieles Fussball als Ersatz, als Bild, als Ventil herhalten muss. Damit wird Geld verdient und Politik gemacht – auch wenn die Suppe mal wieder überkocht. Am Ende kann nur eine Mannschaft gewinnen und alle andern warten auf nächstes Mal. Was ist das Leben für ein Spiel, wenn wir es nur dann geniessen können, wenn wir die Gewinner sind? Und diejenigen, die scheinbar immer gewinnen sind doch immer darin gefangen, im neuen Spiel wieder zuvorderst sein zu müssen.
Fussball ist weltweit Spiegel- bis Zerrbild unserer gesellschaftlichen Phänomene, und den Menschen in ihrer Begeisterung oder Enttäuschung zuzusehen, kann anrührend sein – oder Bestürzung auslösen, wenn sich Frustration Bahn bricht, Hass und Verehrung absurde Dimensionen annehmen.
Deswegen ist es nie egal, wie sich Spieler und Trainer in Sieg und Niederlage verhalten. Dass sie sich dessen immer weniger bewusst sind, schürt die Emotionen zusätzlich.
Hoffen wir, dass am Sonntag um 20h30 im Bernabeu in Madrid nur ein Fussballspiel gespielt wird. Ein sportlicher Wettkampf wird einen Sieger hervorbringen. Und Enttäuschte und Euphorisierte werden nach Hause finden. Wo der Alltag immer wartet. Er sollte durch das Spiel farbiger werden. Leichter wird er sicher nicht. Nicht wirklich. Das zeigt sich, weil der nächste Wettbewerb immer wartet, und ein jeder von uns eine Einstellung zu Sieg und Niederlage finden muss. Für sich selber, für sein ganz eigenes Leben und die vielen Momente, in denen wir zweite Sieger sind, und doch Freude am Leben haben können – und sollen. Den Nachkommen der armen Hafenarbeiter in Boca, deren Situation sich in all den Jahren kaum gebessert hat, werden diese philosophierenden Gedanken allerdings ziemlich egal sein. Alles für Boca… und ein Teil davon sein…
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