Archiv des Autors: Thinkabout

03.April 2025, 18:00

Unsere Blase

Wie ChatGPT diesen Text sieht

Wenn ich davon rede, was ich höre, im kleinen Kreis diskutiert habe, oder was mir zugetragen wurde, dann spreche ich gerne von meinem Umfeld. Nun taucht für die Bezeichnung der eigenen relativ kleinen Welt immer wieder der Begriff der Blase auf – und ich glaube, dass das sehr treffend ist. Verwendet wird er wohl erst, seit die Phänomene der asozialen Medien wenigstens teilweise reflektiert werden. Aber er wird auch darüber hinaus immer zutreffender.

Als Mensch, der viel mit dem Internet arbeitet, erscheint es mir unwirklich, dass fast 50 Prozent der Menschen gar keine News mehr konsumieren, aber ich kann beobachten, dass ganz Viele sich heute sehr stark über die asozialen Medien informieren – und daselbst meist nur bei gefühlt einem, zwei Kanälen. Die Informationen werden in Schnipseln konsumiert und sind auch entsprechend getrimmt, dass „es“ aufgenommen wird. Es geht um Kernaussagen, um Griffigkeit und eine Form von (Ein-)Dringlichkeit, die haften bleiben soll. Sind die News umfangreicher, so wird es anstrengender – und reflektiert wird es dann erst recht von jenen, die vollständig gleicher Meinung sind – oder vereinzelt von denen, die komplett dagegen opponieren. Das ist aber ganz selten. Denn es ist ganz eindeutig viel angenehmer, sich dort zu äussern, wo man mit Zustimmung rechnen kann – und eine Gegenrede nicht förmlich niedergeknüppelt wird. Und so bilden sich Blasen, die neben einander her verlaufen und sich kaum mehr berühren. Im Grunde will damit die Nachricht nicht mehr informieren, sondern mobilisieren.

Unsere Neigung, in Blasen zu leben und zu denken, nimmt auch, wie mir scheint, abseits der asozialen Medien zu und ist damit – siehe oben – auch ein Phänomen der anderen 50 Prozent. Wir haben komplexe Herausforderungen vor der Brust, und je nach dem persönlichen Rüstzeug, der so genannten Resilienz, macht uns das mehr oder weniger Angst. Vom Eindruck, dass niemand Bescheid weiss, bis zum Verdacht, dass „die“ uns für dumm verkaufen, ist es manchmal ein kurzer Weg, und gerade in komplexen Problemstellungen haben einfache Antworten ein Verführungspotenzial, weshalb politische Parteien, welche die Probleme auf ein, zwei Kernursachen zurückführen, die möglichst wenig mit unserem eigenen Verhalten zu tun haben, goldene Zeiten erleben.

Mein Eindruck ist, dass die meisten Menschen heute auch im kleinen Kreis viel weniger offen über Probleme debattieren, dass abweichende Meinungen nur schwer ausgehalten werden. Wir brauchen die eigene Blase, in der uns wohl ist, und sei es nur in der geteilten Unbehaglichkeit. Die grosse Herausforderung für alle Medienformate mit dem Ziel, eine differenzierende Berichterstattung und damit verschiedenste Aspekte für die Meinungsbildung anzubieten, ist es, dies in einer Weise zu tun, die attraktiv genug bleibt, um überhaupt beachtet zu werden. Es ist ein harter Job und eine grosse Herausforderung. Ich bin ja schon als Leser und Debattierer überfordert, indem ich damit umgehen muss, dass ich nie wirklich wo dazugehöre. Es ist kompliziert mit mir. Mir fehlen in allen Blasen die differenzierten Betrachtungen, der Mut nicht nur zur Gegenrede, sondern zum Aushalten von Unklarheiten, und ich bin ständig damit beschäftigt, mich auch gegen den Eindruck zu wehren, dieser oder jener Strömung anzugehören. Denn das scheint in diesen unruhigen Zeiten wichtig zu sein. Und so ertappe ich mich dabei, wie ich ein kleines Bisschen beklage, keine eigene Blase zu haben – und also eigentlich nirgends dazu zu gehören. Der Preis der eigenen Meinung und des eigenen Lebensentwurfs ist die ständige Herausforderung, mich selbst zu überprüfen, wie subjektiv oder objektiv ich mir meine Meinungen bilde.

11.Dezember 2024, 11:49

Die Sache mit der Ernährung

Bild: KI WordPress

Meine Frau und ich sind seit mehr als zwanzig Jahren Vegetarier. Lange Zeit konnten wir uns rühmen, damit bewusst ein fortschrittliches Zeichen zu setzen für einen verantwortungsvolleren Umgang mit unseren Nahrungsressourcen (es ist deutlich weniger Agrarland notwendig, um einen Vegetarier satt zu bekommen als einen Fleischesser). Nun geht es immer häufiger darum, dass wir erklären „müssen“, warum wir nicht Veganer sind… die folgenden Bemerkungen richten sich gleichwohl nicht gegen Veganer – alle Pauschalisierungen sind unerwünscht – sondern mehr gegen die Tendenz in der Industrie, wie uns vegane Produkte schmackhaft gemacht werden sollen.

Eigentlich bin ich der Falsche fürs Thema. Denn ich trage eine Entscheidung mit, welche vor allem Thinkabout’s Wife durch ihr Wissen und ihre Kochkunst für mich leicht macht. Ich selbst würde auch heute noch nicht eine Debatte darüber führen wollen, was denn nun am Ende für wen, und was für uns Alle sinnvoll und gesund ist. Aber ein paar grundsätzliche Beobachtungen und Überlegungen traue ich mir zu.

Da geht es mal – auch bei diesem ökologischen Thema – um unser Verhältnis zu einem auch nur theoretisch drohenden Verzicht. Den wollen wir nämlich in keiner Weise in Kauf nehmen, weshalb ja ganz generell nur jene Konzepte Erfolg versprechen (und entsprechend wirtschaftlich versucht werden), welche Ersatz versprechen. Wir sollen also einfach auf nicht tierischer Basis beruhende Lebensmittel konsumieren, die aber schmecken wie Fleisch – oder, z.B., Käse. Und genau das will ich nicht. Kein Nahrungsmittel soll mir vorgaukeln, es wäre etwas anderes, als das, was es ist. Denn dafür muss es industriell massiv verarbeitet werden, was zusätzliche Energie benötigt und mich nicht befähigt, abseits der Fleischverpflegung jene Vielfalt an Esserlebnissen zu entdecken, die es tatsächlich sehr wohl gibt: Die veganen Produkte in den Regalen sind viel zu oft darauf ausgelegt, ein Essenserlebnis, also einen Geschmack zu imitieren.

Das ist dann der Burger, der schmeckt wie Hack, und deshalb verkauft werden kann. Leute, es gibt Burger, die schmecken anders und sind genau deswegen super lecker. Ich kann auch jeweils nicht verstehen, wenn jemand einen Burger, der auf der Basis von Erbsenproteinen hergestellt wurde, dafür lobt, dass er „wie Fleisch schmecke“. Ich suche gar nicht nach dieser Affinität – ich nehme es als eigenständigen Geschmack wahr und habe auch entsprechend eigenes Genussempfinden. Es ist also ein leckeres Teil, das ich gerne an Stelle eines Fleischburgers esse, weil mir die Wahl ein neues Geschmackerlebnis beschert. Ich will kein Imitat essen, sondern ein anderes, neues Produkt.

Hinzu kommen teilweise absurde Verschiebungen der Wertemassstäbe, was dann eben gesund für uns sei und was nicht. Einige werden sich noch daran erinnern, welchen Aufstand es gab, als aufgedeckt wurde, dass manche Fertigpizzen mit sog. Analogkäse belegt waren. Dieser Käse ist kein Käse, kommt völlig ohne Milch aus und ist viel billiger in der Herstellung. Damit war die Lebensmittelindustrie wieder mal überführt und entsprechend gebrandmarkt.

Ein paar Jahre später ist alles anders. Analogkäse ist veganer Käse und als solcher der letzte Schrei so mancher veganer Sandwichbude. Die Herstellung ist womöglich noch immer viel billiger, verkauft werden die entsprechenden Produkte gleichwohl massiv überteuert – aber nun ist das richtige Label dran und das minderwertige Lebensmittel ist zum Genussmittel geworden.

Das Beispiel will einfach sagen: Nur was wir hypen, dringt wirklich in unser Bewusstsein, und was dann entsprechende Attraktivität besitzt, wird beworben und industriell produziert. Die vielen Produktionsschritte, die dabei eingeschoben werden, sind nachteilig für die Energiebilanz – von der man in dem Zusammenhang nicht spricht.

Essen ist für uns schon lange nicht mehr ein Akt der Ernährung, wir leben alle im Überfluss. Und wir sind Viele. DAS sind unsere Probleme., und denen müssen wir Herr werden. Es spielt eine Rolle, wie viel Kulturland meine Ernährung beansprucht, und wie die Nahrungsprodukte gewonnen wurden. Aber es gibt nicht DEN Weg. Aber viel mehr Bewusstsein täte Not. Wirklich weniger Fleisch essen, wirklich andere Lebensmittel lieben lernen, wirklich dankbar werden für unsere Lebensumstände – und wirklich geniessen, was wir haben.

28.November 2024, 18:10

Briefe und ihr Absender

Lieber Thinkabout

Du schreibst täglich. Leider gerade nicht hier, an diesem Ort, aber der Satz stimmt dennoch. Ein Tag ohne Schreiben ist ein unvollständiger, unerfüllter, unausgeglichener Tag.

Gerade wieder liegt ein Jahr hinter Dir, in dem Du intensiv erneut gefühlt hast, was das Schreiben für Dich bedeutet. Du hast Dir selbst bestätigt, dass Deine Motivation für das Schreiben in der Auseinandersetzung mit Dir selbst liegt. Dabei helfen Dir Freunde, wenn Du ihnen schreibst, nur schon, weil Du weisst, sie hören Dir zu, sie lesen Dich. Jeder Aufwand für einen einzelnen Brief an eine einzige Person ist die Mühe wert – für den Adressaten, aber auch für den Absender. Für mich. Ich brauche keine Bühne dafür, auch wenn ich hier „öffentlich bin“. Mein Antrieb bin ich selbst. Deswegen auch die Anrede hier: Und das „Lieber“ ist Programm. Was auch immer ich denke und fühle – es ist das Ergebnis dessen, was meine Auseinandersetzung mit mir selbst hervor bringt. Was mich umtreibt, freut, ärgert, sagt viel über mich aus.

Ich sollte diese Anrede gerne gebrauchen, mit entsprechenden Gefühlen. Ich habe niemand anderen, auf jeden Fall keinen, auf den ich mich mehr verlassen sollte als auf mich selbst. Das ist keine Absage oder Geringschätzung der Partnerin. Es ist nur Ausdruck dafür, dass es schlussendlich immer darum geht, wie wir mit uns selbst zusammen sein können. Alle meine Menschen helfen mir dabei, helfen mir zu lernen und lassen immer mal wieder erkennen, dass sie die gleiche Aufgabe auch haben. Und so ist jeder wohl gemeinte Austausch eine Gelegenheit, sich seiner selbst bewusst zu werden und sich näher zu kommen.

Kann man das zusammen tun, entsteht Geborgenheit.

Vielleicht kann das Schreiben hier ein wenig Anstoss geben für Lesende, es auch so zu halten: Fragt Euch jeden Tag, ob Ihr Euch zuhört, und was davon Ihr verstehen könnt. Und geht liebevoll mit Euch um. Begegnet Euch und vertraut Euren Freunden, die viel von Euch halten, Euch lieben und schätzen. Sie wissen warum. Und sie haben es Euch ganz bestimmt auch schon gesagt.

Und haltet es selbst auch so: Erzählt einander, was Ihr toll findet an einander. Jedes gefühlte positive Wort sollte den Menschen erreichen, der es mit hat entstehen lassen.

Bis demnächst wieder.

Thinkabout

09.November 2024, 8:00

Bücher lesen heute…

Ich habe mir vorgenommen, die Roman-Reihe „M“ von Antonio Scurati zu lesen. Sie wird von verschiedensten Stellen hoch gelobt. Enorm viel Recherche – und Romane, die entsprechend auf Fakten abgestützt die Geschichte nacherzählen. Es soll mit der Beschreibung vom Aufstieg, der Macht und dem Niedergang von Mussolini ein Werk sein, das die Entstehung des Faschismus beschreibt und damit gleichzeitig vor ihm warnt – auch für heutige Zeiten.

Ich habe mich bewusst für die italienische Geschichte entschieden, weiil ich sie viel weniger gut als die deutsche kenne, die Distanz etwas grösser ist und damit vielleicht auch der Zugang unbelasteter.

Der erste der vier Bände heisst „M – Der Sohn des Jahrhunders“ und hat 816 Seiten. Das schreckt mich nicht, und ich glaube, für mich sehr wohl Erkenntnisse zu gewinnen und die Mechanismen besser zu verstehen.

Bild: WordPress, KI-generiert

Doch ich frage mich: Wie soll diese Art des Erkenntnisgewinns in der heutigen Zeit Verbreitung finden? Auch in meinem privaten Kreis diskutieren wir vornehmlich über Statements und Beiträge im Tweet-Format. In jedem Fall sind es kurze Textschnipsel, und ganz egal, ob aus einem grösseren Zusammenhang gerissen oder nicht – sie werden verbreitet und – eben – diskutiert. Wie aber soll eine fundamentale Auseinandersetzung mit einem bedeutenden Thema uns heute noch erreichen – und uns womöglich differenzierte Aussagen zumuten, die wir dann in einer Diskussion mehrheitsfähig werden lassen?

20.September 2024, 17:32

Die asozialen Medien und die Demokratie

Eines der grossen Probleme traditioneller Medien ist es, dass sie im Kampf um Aufmerksamkeit immer zu spät kommen und sich von den asozialen Social Media – Portalen vor sich her treiben lassen. Es wäre einmal interessant, festzustellen, wie viele redaktionelle Texte der diversen Online-Portale durch einen Post in Social Media ausgelöst werden. Dabei ist unsere eigene Erwartungshaltung und der journalistische Anspruch auf Seriösität eine Krux: Die Dynamik der asozialen Medien führt dazu, dass reflektierende, womöglich gar recherchierende, zumindest nachfassende Beiträge in den traditionellen Medien zeitlich hoffnungslos hinterher hinken. Hinzu kommt der Wettbewerbsdruck. Früher war die Auflage das Messband, heute sind es die Clickzahlen und damit die Aufregungsintensität, die man selbst bewirken oder steigern kann. Das zerstört die Debattenkultur. Hemmschwellen aus menschlichem Respekt gehen verloren – für jeden Gemeinschaftsgedanken ist das verheerend. Und wenn in einer Demokratie Debatten geschürter Empörung weichen, sind die Grundwerte unseres politischen Systems gefährdet.

Wir brauchen einen Codex, nach welchem sich alle richten – nach dem Leitsatz, dass ein minimaler Schutz von Personen, die einem Shitstorm ausgesetzt sind, eine Voraussetzung dafür ist, dass minimaler Respekt gewahrt bleibt.

Ich habe Marc Schiess im vorgängigen Beitrag im Kommentar schon erwähnt, hier nun seine Gedanken im Wortlaut, mit seinem Einverständnis:

Rahmenbedingungen für eine funktionierende Demokratie im Online-Zeitalter

Medien

  • Bei Artikeln mit mutmasslich rufschädigenden Artikeln zu (öffentlichen) Personen bleibt die Kommentarfunktion deaktiviert. Das gilt für Online-Medien wie auch deren Social Media Kanäle.
  • Sobald eine Person rechtskräftig verurteilt ist, kann die Kommentarspalte geöffnet werden.
  • Bei Artikeln über einzelne Personen besteht besondere journalistische Sorgfaltspflicht.

Social Media

Die Social Media Unternehmen haben die Pflicht, Aufrufe zu Mord und Gewalttaten automatisiert den Polizeibehörden zu melden.

Arbeitgeber

Arbeitgeber sollen ihre in der öffentlichen Kritik stehenden Mitarbeitenden beurlauben oder von der Arbeit suspendieren. Bevor eine Kündigung ausgesprochen werden kann, müssen die Beschuldigten Gelegenheit erhalten, sich mit dem Arbeitgeber in einem internen Gespräch zu erklären. Dies benötigt eine gesetzliche Grundlage, damit massive Druckversuche auf den Arbeitgeber diesen nicht einknicken lassen.

Marc Schiess

Simpel? Nicht ausreichend? Naiv?
Stellen wir uns einfach vor, wie sich die Temperatur so mancher Aufregung senken liesse, hätten wir ein paar dieser oder sehr ähnliche Regeln…

PS: Dass Personen, die bewusst mit Provokationen arbeiten, für manchen Shitstorm mitverantwortlich sind, ist kein Gegenargument. Die Selbstverantwortung für das geschriebene Wort und das entsprechende Bewusstsein würde eher zunehmen.

15.September 2024, 7:00

Es muss Grenzen geben

Eine Gemeinderätin der Stadt Zürich mit muslimischen Wurzeln, bestens verankert in der hiesigen Gesellschaft, entsprechend vernetzt und national durchaus bekannt, hat Stress. Um den abzubauen, möchte sie ein Schiesstraining mit einer Sportpistole im heimischen Keller abhalten. Das Bedürfnis entsteht spontan, weshalb keine Zielscheiben vorhanden sind. Hierfür muss das Bild einer Ikone aus einem Auktionskatalog herhalten, weil es einigermassen die richtige Grösse hat. Dargestellt wird darauf die Gottesmutter Maria mit ihrem Jesuskind. Bis dahin mag das ja noch eine Privatsache sein.

Doch die Politikerin lässt sich beim Schiessen fotografieren. Die durchaus jeweils modebewusst auftretende junge Dame tritt in diesem Fall in schwarz auf, in einem knöchellangen Rock und schwere Sandalen. Sie erstellt einen Social Media – Post mit ihr in Aktion – und dem Trefferbild mit den durchlöcherten Köpfen von Maria und Jesus.

Die Folge ist ein Shit-Storm, wie ihn die Schweiz noch selten gesehen hat.

Die Frau hat mittlerweile um Vergebung bei den Menschen gebeten, die durch ihren Post verletzt wurden. Der religiöse Inhalt wäre ihr nicht bewusst gewesen und sie hätte sich nichts dabei überlegt.

Das von einer Frau zu lesen, die auf sozialen Netzwerken sehr scharf zu argumentieren gewohnt ist und seit Jahren sehr bewusst Social Media für politische Themen und Ziele einsetzt und dabei auch diskriminierend werden kann, in einem Consultingunternehmen für Kommunikationsstrategien angestellt ist, Jura studiert hat und doktoriert, ist erstaunlich.

Was folgt, ist klar. Es gibt übelste Kommentare, der sich anonym glaubende Mob beginnt zu rasen, die Frau und ihre Familie erhalten Morddrohungen.

Grenzüberschreitungen auf allen Seiten. Und in der Folge die sich ebenfalls immer wiederholenden Reflexionen: Trifft es sie nur so sehr, weil sie eine Frau ist? Und es werden frühere Fälle aufgeführt, bei denen andere nachsichtiger behandelt wurden.

Dieser ganze Internet-Mob mit all seinen Auswüchsen ist zu verurteilen, und es geht überhaupt nicht, dass sich jemand mit dem Tod bedroht sieht. Das muss aber nicht von einer Regel ablenken, die ebenfalls gültig ist:

Immer wieder kann beobachtet werden, dass besonders scharfzüngige Agitatoren in den asozialen Netzwerken früher oder später kein Gefühl mehr dafür haben, welche Art von Verletzungen sie verursachen. Es geht schleichend aber stetig nicht nur die Akzeptanz, sondern die Duldung „der Anderen“ verloren, während man zu glauben beginnt, man wäre selbst unantastbar. Das Internet ist kein folgenloser Raum ohne Rückkopplungen, ganz im Gegenteil.

Natürlich ist die Frau genug gestraft, wenn ihre politische Karriere beendet ist und sie ihren Job verliert. Aber die Frage, wie das alles geschehen konnte, und welche tiefe innere Motivation für das alles bestand, bleibt bestehen, und keine der Konsequenzen kann wirklich überraschen:

Ich bin wohl nicht der Einzige, der sich wünscht, es würden sich mehr Menschen wieder bewusst machen, dass jedes gesprochene und geschriebene Wort eine Tat ist, mit der man diskutieren, debattieren, streiten, versöhnen oder spalten kann. Und wir leben in unserem eigenen Kulturraum, zu dessen Grundwerten auch die christlichen Wurzeln gehören – auch wenn wir eine säkulare politische Gesellschaftsform haben und die Religionsfreiheit zentral ist. Und es ist zu wünschen, dass wir dem auch weiter gerecht werden, indem wir die christliche Errungenschaft nicht jene Form der Toleranz reduzieren, die alles erträgt, weil eh alles egal geworden ist.

Der Tag also, an dem die hier beschriebenen Aktionen keine entsprechenden Konsequenzen mehr haben, ist nicht herbeizuwünschen. Gleichzeitig sollten sich die feigen Heckenschützen, die glauben, ein neues Freiwild ausgemacht zu haben, in ihren Worten zügeln, denn, siehe oben, das eigene Reden, Schreiben und Handeln bleibt nie folgenlos. Auch für einen selber nicht.

30.Juli 2024, 19:00

Die UBS als neuer Sponsor im Schweizer Fussball

Die Schweizer Fussballliga ist bereits in die neue Saison gestartet. Noch immer nennt sie sich Credit Suisse Super League.

Die UBS hat den Sponsorvertrag der nun auch rechtlich in ihr aufgegangenen Bank übernommen und damit bestätigt. Auf den Leibchen der Clubs ist das Logo verschwunden. Hier prangt nun der Name

Dabei handelt es sich um das von der UBS lancierte, gesponserte und unterstützte Freiwilligen-Netzwerk „für mehr Nachhaltigkeit“. Eine Plattform, auf der gemeinnützige Projekte um praktische Mithilfe werben können und sich an gemeinnütziger Arbeit Interessierte über unzählige Einsatzmöglichkeiten informieren können.

Ein echt sympathischer Zug, diesen Werbeplatz an eine solche Initiative zu vergeben. Darf einfach mal gesagt werden!

07.Juli 2024, 7:17

Fussballnationen und Europa

Die Schweiz hat an der Fussball-Europameisterschaft ihr Viertelfinale gegen England auf die denkbar knappste Weise verloren – im Elfmeterschiessen. Aber eben verloren. Die Grossen haben die Kleinen geschlagen. Wie meistens. Ich habe wieder neue Möglichkeiten, zu beobachten, wie wir alle mit (Miss-)Erfolgen unserer Nationalmannschaften im Sport umgehen.

Gerade jetzt ist nicht der gute Zeitpunkt dafür, aber richtig ist die Aussage grundsätzlich schon: Dadurch, dass ich als Schweizer zu einer kleinen Nation gehöre, bin ich mich das Verlieren im Sport gewohnt. Manchmal beobachte ich meine deutschen Kolleginnen und Kollegen und sehe, wie sie als Anhänger ihrer Mannschaften mit Siegen umgehen. Die Siege sind – irgendwie – Bestätigung. Aber selten so überraschend, wie wenn „wir“ mal etwas gewinnen – oder zumindest sehr weit kommen. Dadurch ist die Freude eine andere – und das Verlieren fühlt sich auch irgendwie anders an, denke ich. Nun sind Deutschland und die Schweiz beide „gleichzeitig“ raus. Gelegenheit zu Vergleichen?

Ich finde, für alle sollte gelten, dass Fussball und andere beachtete Sportarten eine Gelegenheit sind, sich in einem Land zusammen auf oder über etwas zu freuen. Und ich bin sicher, dass es grundfalsch ist, das schlecht zu finden. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die glauben, dass Europa von Europäern gebaut wird. Das ist im besten Fall eine friedlich scheiternde Utopie. Ich habe nie aufgehört, in meinen Bekannten die Deutschen, Italiener oder Franzosen zu sehen, genau so wie die Welschen, die Thurgauer oder die Luzerner. Die Eigenheiten der Herkunft sind unsere Vielfalt, und schlussendlich sind wir in unseren Ländern sozialisiert worden. Europäer kann ich nur als Deutscher oder Schweizer sein. Nur dann ist es echt und tragbar. Ich verbinde mich in meinen Interessen und Bedürfnissen mit anderen – aber ich behalte als Ostdeutscher, Pole oder Tscheche einen anderen Blick auf die scheinbar gemeinsamen Dinge. Und das muss eingestanden werden.

Im Sport können wir uns messen, können wir wettkämpfen und gemeinsam feiern, siegen und verlieren und einander gratulieren. Und die kleinen Siege können grosse sein und umgekehrt. Denn morgen ist bereits die nächste Gelegenheit. Was in Deutschland gerade von den Fans gelebt wird, ist ein Stück Europa. So, wie es möglich ist. Haben sich gerade Fans gegenseitig aufs Dach gegeben? Vielleicht. Hunderttausende haben sich daneben zur gleichen Zeit gegenseitig gefoppt – und dann sogar gratuliert für Erfolge.

Schlussendlich sind die Resultate für alle, ob Grosse oder Kleine, das Resultat von Regeln, unter die wir uns begeben haben. Das nächste Mal schlagen wir die Engländer. Und sie werden uns so fair gratulieren, wie wir es jetzt getan haben. Stimmt, wahrscheinlich verlieren wir wieder. Aber irgendwann… und diese Möglichkeit verliert nie seinen Reiz, und dann…. werden wir so feiern, wie die notorisch Erfolgreichen es längst verlernt haben. Und wir werden stolz sein, Schweizer zu sein. Sind es gerade eh. Weil wir doch eigentlich uns echt gut schlagen.

Und nichts daran ist schlecht, hier von uns und von wir zu sprechen. Deutschland atmet gerade durch, weil es eben die Deutschen sind, welche gastfreundlich sind. Die Spanier können in Deutschland den Sieg über Deutschland feiern. Es war ein Fussballspiel. Und das Fest geht weiter. Auch für Deutsche und Schweizer. Sport verbindet. Und was anderes lassen wir als Fundament nicht zu.

28.Juni 2024, 6:02

Die Sache mit der Verschwörung

Wer seinen Seelenfrieden sucht, ist nicht gefährlich.

Mit nichts habe ich mich in den Auseinandersetzungen rund um Corona so schwer getan, wie mit dem Vorwurf, Verschwörungstheorien aufzusitzen. Damit konnte jede kritische Stimme totgeschlagen werden, denn ganz sicher hatte irgend ein Spinner die gleiche Meinung oder zu einer kritischen Frage mindestens in die Hände geklatscht.

Dabei sollten wir uns immer bewusst machen, dass der Mainstream in einer politischen Krise selbst Kennzeichen einer Verschwörung entwickelt. Wenn sich die genehme Meinung (und gar die Justiz) an einer Wissenschaft orientiert, die ihre öffentliche Position von einer politischen Steuerung kontrollieren lässt, wenn Leitmedien propagieren statt beobachten und kritisch begleiten, wenn von ihnen ins Leben gerufene Faktenchecker nicht weniger tendenziös sind als die Leitlinie der Redaktionen, dann wird Glaubwürdigkeit verspielt. Ist man davon als Aussenseiter betroffen, so ist es sehr gut verständlich, zu glauben, dass einem gewollt übel mitgespielt wird, und du fragst Dich einfach nur noch, wie sehr und von wem das gesteuert sein mag? Wobei mich nichts wirklich so geängstigt hat wie die Ahnung, dass es gar keine zentrale Macht dafür braucht, sondern ganz viele Mechanismen Selbstläufer sind, die für ihre verheerende Wirkung nur bestimmte Auslöser brauchen. Denn wir sind als Lemminge in unseren Herdentrieben immer besser berechenbar.

Lästig, dass diese Themen immer noch wiederkommen bei mir, nicht wahr? Aber meine Unruhe wird sich nicht legen. Denn jetzt, wo wir alle nichts mehr wissen wollen von all dem Kram, wäre die Zeit und der Raum da, sich Gedanken zu machen darüber, was wie schief gelaufen ist. Und zwar so, wie es nicht mehr geschehen sollte. Aber es wird wieder geschehen, und es wird noch schlimmer werden. Denn wir werden in unserer gesellschaftlichen Entwicklung, in welcher wir zunehmend den Bezug zur Spiritualität verlieren, ängstlicher werden. Wir sind vulnerabel. Alle. Unser Leben ist bedroht. Immer. Wir wissen nicht, wie der Tag morgen sein wird. Doch das ist kein Übel, sondern eine Qualität: Es wäre eine Chance für ein Bewusstsein, das unser Leben sehr intensiv werden lässt.

Gerade jetzt, wo wir wieder sorglos reisen, uns vergnügen können, bleibt die Aufgabe die Gleiche:

Wie stelle ich mich meiner Uhr, die tickt? Lohnt es sich nicht, Rezepte zu entwickeln, die mein Vertrauen bei Krisen nicht gleich erschüttern lassen? Was brauche ich dafür?

Ich habe die Vorstellung, dass wir Menschen mit einer spirituellen Geborgenheit weniger wie Lemminge wären, die über geweckte Instinkte und verstärkte Ängste getrieben werden können. Die eigene geistige und seelische Gesundheit sollte uns so lieb und teuer wie nichts anderes auf der Welt sein. Damit lässt sich alles bewältigen. Auch die Unsicherheit über die Schwere einer angekündigten Krise.

27.Juni 2024, 6:03

Schreiben nach dem Stillstand

Der Versuch, Anlauf zu nehmen, um das zu pflegen, was immer schon wichtig war – und bleiben soll.

Diese Seiten sind so wichtig für mich. Ich weiss, dass der faktische Stillstand bei den neuen Inhalten das nicht gerade vermuten lässt. Aber ich würde nie wollen, dass es diese Seiten nicht (mehr) gäbe. Und das tippt jetzt gerade einer, der zeitlebens ein schwieriges Verhältnis zu seinem schon Geschriebenen behalten hat…

Was Leserinnen hier aufnehmen, was Leser an Anstössen empfangen mögen – gerade diejenigen, die mich auch persönlich kennen, ist etwas von dem, was ich nach aussen geben kann. Vielleicht bleibt nur ein Satz, vielleicht nur ein Eindruck, und wahrscheinlich ist alles flüchtig.

Das ist nicht weiter tragisch. Die Welt ist voll von fundamentalen Schöpfungen von Menschen, mit sehr viel grösseren Talenten, deren Werke Bestand haben. Aber auch nur relativ. Als Wimpernschlag in der Menschheitsgeschichte. Es ist unser aller Herausforderung, Vergessen zu akzeptieren – und hinter die fehlende Erinnerung zu schauen. Denn viel wichtiger als der äussere Ausdruck ist der Eindruck, den Erlebtes auf unser Wesen ausübt. Und Schreiben, ob hier oder still im Dialog nur mit mir, ist ein Versuch, eine Technik, ein Prozess, ein Verfahren, vorwärts zu kommen. Einen Schritt. Auf dem Weg, an dessen Ende die Aussicht, vergessen zu werden, keinen Kummer macht. Denn alles, was ich fühle und denke, arbeitet an und mit mir – und beinahe nichts davon wird mir bewusst.


Ich war immer auch ein politischer Mensch, ein Staatsbürger, ein überzeugter Demokrat und glühender Befürworter der direkten Schweizer Demokratie. Dieses Bewusstsein hat Risse bekommen. Dabei bin ich mir bewusst, dass ich zwar Meinungsstärke besitze, meine Meinung aber nicht geteilt werden muss und es auch mein Unvermögen ist, wenn sie sich nicht durchsetzt. Und mein Unvermögen ist auch mein Unwissen. Mein Halbwissen. Die Deutungen, die ich meinen Beobachtungen folgen lasse – sie mögen eine Bestandesaufnahme meines eigenen Meinungsprozesses sein, nicht mehr. Nur wäre es schön, es gäbe mehr Menschen, die ihre eigene andere Meinung, ihren Standpunkt, ähnlich verstehen würden.

Ausgerechnet enge Freundschaften haben die Corona-Zeit nicht überdauert. Das fühlt sich mies an. Ich bin verletzt, enttäuscht, durchgeschüttelt. Und bin mir bewusst, dass Freunde genau das Gleiche von mir denken mögen. Ich habe nicht „vermeintliche Freunde“ geschrieben. Ganz bewusst. Denn das Mindeste, was ich mir und anderen Liebes tun kann, ist, den Gleichmut aufzubringen dafür, dass ein jeder Mensch Situationen kennen lernt, in denen er glaubt, Position beziehen zu müssen. Wertungen werden zu Abwertungen anderer, weil ein fehlender Gleichschritt subversiv erscheint.

Ich werde wieder schreiben. Und ein Teil meiner Leser wird der gleiche sein wie „vorher“. Finden können soll jede und jeder bei mir schlicht die Anregung, sich persönlich Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Und genau dabei können wir, und das weiss ich ganz genau, freundschaftlich verbunden sein.