Ressort: Allgemein(Weitere Infos)

05.Juni 2022, 14:58

RAFA – Ein Mann und sein Schmerz

Heute Nachmittag steht Rafael Nadal erneut im Final des Grandslam-Tennisturniers in Roland Garros, Paris. Er hat dieses Ziel erneut wider alle Wahrscheinlichkeiten und wider den eigenen Zweifel erreicht. Und je älter er wird, desto grösser wird die Faszination über diesen Mann und seine Leistung, aber auch die Fragen stehen je länger je drängender im Raum: Wie, RAFA, ist das alles möglich – und auch: Warum muss es noch immer sein?

Nur die vier Grandslam-Tennisturniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York gehen über sieben Runden à drei Gewinnsätze, und auf keiner Unterlage ist das körperlich härter als auf Sand in Paris.

Und nun – spätestens seit anfangs Mai – seit der Niederlage im Achtelfinal von Rom wissen die Interessierten, dass der erfolgreichste Spieler der Tennisgeschichte neben allen Verletzungen, die er immer wieder überwinden musste, ein Problem mit sich herum trägt, oder besser, ständig weiteres Gewicht auf dieses Problem einwirken lässt, das ihm gleichzeitig die Freude nimmt:

Die ständigen Schmerzen rauben einem alle Freude. Nicht nur am Tennis, am ganzen Leben. Und mein Problem ist, dass es in meinem Leben zu viele Tage gibt, an denen ich mit Schmerzen leben muss.

Rafael Nadal

Oft müsse er tonnenweise Schmerzmittel nehmen, um überhaupt trainieren zu können (NZZaS, 22. Mai 2022, Print: „Schmerzensmann“).

Nadal leidet am Müller-Weiss-Syndrom – einer Krankheit, von der wohl fast alle von uns zuvor noch nie gehört haben. Die chronische Krankheit ist unheilbar, aber sie kann verschieden ausgeprägt auftreten. In unseren Füssen sind 26 Knochen über 33 Gelenke miteinander verbunden, 20 Muskeln erlauben Bewegung und einen festen Stand. Der Fuss bildet ein sich selbsttragendes Gewölbe, in sich so geschlossen, dass es die Belastungen aus Alltag und Sport tragen kann. Beim Müller-Weiss-Syndrom beginnt der zentrale Knochen im Fuss, das Kahnbein, abzusterben. Das Gewölbe wird erschüttert, beim Laufen treten Schmerzen auf, beim Sprinten und Stoppen erst recht. Die Ausprägung der Krankheit kann variieren. Doch wie schlimm ist es bei Nadal?

Nadal selbst sagt, dass sein Leiden immer da ist.

Ich bin nicht verletzt. Ich bin ein Spieler, der mit einer chronischen Verletzung spielt.

Rafael Nadal

Nadal trägt Einlagen in seinen Schuhen. So kann das Fussgewölbe gestützt werden. Und geht, nein sprintet und rutscht weiter auf dem Court über seine Schmerzgrenzen hinaus. Doch was folgt weiter? Der Knochen kann bei fortschreitender Krankheit brechen. Dann müssen Schrauben das Gebilde versteifen. Die vielen Schläge auf den Fuss sind ganz sicher nicht hilfreich. Mittlerweile hat Nadal seinen Arzt immer dabei, der ihn auf das jeweils nächste Ziel hin fit zu machen versucht.

Im Viertelfinal gegen seinen grössten Rivalen Novak Djokovic, ist die Mimik und die Art seiner Gebärden eindeutig: Der Fuss tut weh, er läuft nicht „rund“. Er verliert den Satz und geht in die Katakomben. Nach der kurzen Pause kommt er zurück und gewinnt in vier Sätzen, bewegt sich wieder einwandfrei, steigert sich in seine typische physisch extreme Präsenz hinein und setzt sich schliesslich durch.

Und so wird der Mann, den man für seinen Willen und seine Leistungen bewundert, auch immer mit der Frage leben müssen, mit welchen Mitteln und Unterstützungen das alles möglich werden konnte? Das mag in höchstem Masse unfair sein, denn es ist zweifellos eine fast unmenschliche Bereitschaft zur Leistung, zum Training und die Fähigkeit absoluter Fokussierung für solche Ergebnisse notwendig. Aber auch Nadal hat ein Leben danach, nach dem Centre Court, und das Leben ist – statistisch gesehen – länger als dasjenige, das er schon gelebt hat. Er mag viele Menschen dazu inspirieren, sich zu überwinden, etwas auf sich zu nehmen für ein Ziel – aber die Vernunft, die Liebe und Achtsamkeit zum eigenen Körper verlangt eine sich wandelnde Einstellung.

Der Mann hat wohl mindestens eine halbe Milliarde Vermögen, hat eine eigene Stiftung gegründet und unterstützt mit dem eigenen Trainings- und Tenniszentrum die jüngeren Generationen. Längst hat er vorgesorgt und die neuen Aufgaben liegen vor ihm. Wie seine grossen Kontrahenten Djokovic und Federer muss er es schaffen, die eigene Identität neben der Tennisarena zu finden und in ihr genau so viel Wert und Freude empfinden zu können wie als herausragender Wettkämpfer einer Weltsportart. Das Adrenalin verhindert das Altern nicht wirklich. Und es mag den fokussierten Blick auf ein Ziel erleichtern – für den Weitblick braucht es ein klares und auf andere Weise mutiges Denken: Selbst Rafael Nadal ist als Mensch nicht der Wert seiner Leistungen. Sein grösstes Vermächtnis besteht darin, wie er mit seinen Bedingungen umgegangen ist. Die Antwort darauf steht am Ende nur ihm zu. Von aussen betrachtet ist die Bewunderung bei vielen Menschen nicht (mehr) uneingeschränkt.

Das wird auch den Gegnern so gehen. Wer sich alles abverlangt, trainiert mit aller Seriösität, und dann geschlagen wird von einem Mann, der seit seiner Jugend mit einer chronischen Fussverletzung spielt, macht sich unterschiedliche Gedanken. Wer ein Match gegen ihn gewinnt, und dann von den Problemen hört, die ihn geplagt haben und immer beeinträchtigen, ist Teil eines Szenerie, in welcher Hauptrollen vergeben sind. Shapovalov heisst der Mann, der Nadal in Rom geschlagen hat. Zverev hat sich im Halbfinal gegen Nadal bei seinem Sturz mehrere Bänder am Fuss gerissen. Wenn er dann hört, dass Nadal seine Finalqualifikation „für einen neuen Fuss“ herschenken würde, wird ihn das nicht unbedingt in seiner eigenen Gemütslage abholen. Aber das ist ganz eindeutig nicht Nadals Problem. Er nimmt die eigenen Herausforderungen wie wir alle mit in den nächsten Tag, als Teil des persönlichen Lebens.

In diesen Minuten beginnt der Final in Paris… Caspar Ruud, ein Norweger, seht zum ersten Mal in einem Grandslam-Final gegen den Mann, der alles versuchen wir, auch den 14. Final zu gewinnen.

31.Juli 2021, 0:10

Als die Fussball-Weltmeisterschaft noch ein Abenteuer war

Das Netz ist momentan voll von anekdotenreichen Erzählungen von den ersten Fussballweltmeisterschaften anno 1930. In Uruguay fand sie statt, und das nur, weil es das einzige Land war, das sich – in quasi letzter Minute – überhaupt bereit erklärte, die WM durchzuführen. Qualifizieren musste man sich nicht – nur die Einladung, in Zeiten der Weltwirtschaftskrise, annehmen. Was immerhin vier Mannschaften aus Europa taten. Frankreich, Belgien, Rumänien und Jugoslawien reisten mit dem Schiff an, denn es gab ja noch keine Interkontinentalflüge. Die Überfahrt dauerte gut zwei Wochen, welche die Mannschaften gemeinsam absolvierten, trainiert wurde dabei nicht viel… der jugoslawische Torhüter soll auf der Reise 16kg an Gewicht zugelegt haben…

Der hohen Kosten wegen sollten alle Partien in einem Stadion ausgetragen werden – doch das war zu Beginn der Spiele noch gar nicht fertig gebaut, so dass die ersten Begegnungen „auswärts“ ausgetragen werden mussten. Obwohl eine Tribüne auch danach nicht fertig gestellt war, fasste das Stadion in Montevideo 80td Zuschauer – es entstand das damals grösste Fussballstadion Südamerikas.

Diese erste FIFA-Weltmeisterschaft kreierte auch den ersten grossen Skandal. Als der französische Stürmer alleine auf das argentinische Tor zulief, und kurz davor war, den Ausgleich zu erzielen, pfiff der brasilianische Schiedsrichter die Partie ab. Dass das sechs Minuten zu früh war, löste endlose Diskussionen aus, bis der Schiri die Spieler schliesslich aufs Spielfeld zurück beorderte – die Uruguayer mussten teilweise aus der Dusche geholt werden. Die Partie wurde zu Ende gespielt, Frankreich verlor trotzdem.

Im Halbfinal zwischen Uruguay und Jugoslawien übersah der gleiche Schiedsrichter, dass ein neben dem Tor postierter Polizist den Assist zum 2:1 der Uruguayer spielte.

Den Schiedsrichter fürs Finale zu finden, war gar nicht so einfach. Der schliesslich auserwählte Belgier Langenus war nur bereit, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen, wenn im Hafen ein Fluchtboot für ihn bereit gehalten würde. Weil die Emotionen zwischen Uruguay und Argentinien hoch kochen konnten, bestand er auf einer Waffenkontrolle beim Einlass der Zuschauer – tatsächlich wurden 1600 Revolver von den Zuschauern eingesammelt. Die Mannschaften stritten bis kurz vor Anpfiff über das Spielgerät. Der uruguayische Ball war anders zusammengenäht als der argentinische – schliesslich wurde mit jedem Ball eine Halbzeit gespielt.

Uruguay wurde erster Weltmeister der Fussballgeschichte. Die Mannschaft hatte zuvor schon zweimal das Olympiaturnier gewonnen und war die damals anerkannt beste Mannschaft und José Leandro Andrade der beste Spieler der Welt. Allerdings hatte Argentinien in der ersten Halbzeit noch geführt, stand aber schlussendlich nur noch mit acht Spielern auf dem Feld wegen Verletzungen. Ausgewechselt durfte damals noch nicht werden…

Kaum zu glauben, aber die WM ist dennoch der Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte:

„Wir Europäer waren uns einig: Jeder, der nicht dabei war, hat einen Fehler gemacht.“

Mihailo Andrejevic (jugoslawischer Verbandssekretär, Jahre später)

01.Mai 2021, 18:20

Sorge um Indien?

Nun sind sie da, die Meldungen von Indien als neuem Corona-Hotspot. Und natürlich fehlen auch die wirksamen Bilder nicht von den Kranken auf Holzbahren, abgelegt auf überfüllten Spitalgängen oder Parkplätzen, und wir können von der indischen Mutation lesen und dass diese in der Schweiz auch schon festgestellt wurde. Und es wird uns hoch gerechnet, was es bedeutet, wenn in einem Land mit 1.5 Milliarden Menschen (oder sind es 1.8 Mia, wer weiss das ganz genau?) die Krankheit unkontrolliert zu wachsen beginnt?

Jetzt sind wir besorgt. Wir schauen hin. Wir lassen uns beeindrucken. Angst fressen Seele vielleicht nicht auf, aber durchgerüttelt werden wir schon. Jetzt.

Wo, frage ich Euch, waren die Bilder von den indischen Wanderarbeitern, die – im dreistelligen Millionenbereich – vor ziemlich genau einem Jahr ihre Arbeit verloren hatten und von einem Tag auf den anderen ohne Verdienst, ohne Absicherung sich teils hunderte Kilometer zu Fuss auf den Weg zurück zu ihren Familien machten, statt ihnen weiter Geld schicken zu können? Es ist dies, was mich in dieser Krise wirklich beschämt: Wir reagieren auf jeden kleinen Deut einer möglichen eigenen Bedrohung in einer Weise, die verheerende Konsequenzen für – schätzen wir mal nicht zu knapp – eine Milliarde Menschen auf der ganzen Welt hat. Während wir hier ein paar tausend belegte statt leere Spitalbetten zum Grund machen, den Waren- und Wirtschaftsverkehr weltweit zu behindern und damit die Armut und das Gefälle unter uns Menschen dramatisch zu steigern, haben gerade diese Menschen keine Lobby, keine Unterstützung, keine Presse, und es gibt keine Fotos, welche uns den Irrsinn unserer Corona-Politik entlarvend vor Augen führten. Und auch keine Statistiken, von denen wir uns doch so gern aufrütteln und manipulieren lassen.

Mit unserer Unfähigkeit, eine relative Krise durch eine minimale Bedrohung in einer übersättigten Welt mit Bedacht einzuordnen und gelassen zu meistern, verschärfen wir die unmittelbare Not all jener Menschen, die wir in der Globalisierung durch miese Arbeitsbedingungen und Tiefstlöhne schon ausbeuten. Jetzt haben sie gar nichts mehr. Und wenn es wieder Arbeit gibt, so lehrt die Erfahrung, sind die Bedingungen dafür nochmals schlechter als zuvor.

Wir hier leben auf einem anderen Planeten, und unsere Ängste sind, wollen wir denn tatsächlich auf die Welt blicken und uns umgekehrt auch beurteilen lassen, einfach absurd, grottesk und beschämend. Wir sind die Kolonisten der Welt geblieben.

28.April 2021, 17:15

Normalität?

Wir wollen zurück zur Normalität. Wir schreien es raus. Wir wollen ausgehen, Kaffee trinken, raus aus dem Home Office, ins Freibad, ins Theater, wir wollen reisen, Konzerte besuchen. Nun bekommen wir vom Bundesrat Perspektive, und fühlen uns gut dabei. Wir verändern dabei gerade weiter unsere Welt. Und die Gemeinschaft. Oder entlarven wir nur, was uns eh schon egal ist?

Wie vermutet, sind die Einschränkungen, welche für Nichtgeimpfte gelten werden, in Kauf zu nehmen. Die Gesellschaft hat längst darüber geurteilt, was für jeden Einzelnen tragbar sein muss, will er sich frei bewegen. Dabei spielt keine Rolle, dass die meisten Menschen, die sich haben impfen lassen, gar nicht wissen, vor was sie sich damit gar nicht schützen können. Sie können nach wie vor infiziert werden, die Krankheit auch übertragen, aber sie haben so was wie eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlich-keit, dass sie selbst keinen schweren Verlauf nach einer Ansteckung mehr haben werden. Was wir alle nicht kennen, ist die Restwahrscheinlichkeit, dass durch das Impfen selbst Langzeitfolgen auftreten können – oder zumindest nicht auszuschliessen sind. Einfach durch den Scheiss hindurch, wird schon gut gehen, und rundum hört man schliesslich auch nichts Schlechtes. Je nach Jobprofil kannst du gar nicht anders, schliesslich musst du ins Flugzeug steigen können. Und jetzt höre ich auf, denn ich will den Prozess gar nicht stören. Denn das gelingt mir sowieso nicht. Die Welt ist so, dass sie sich von einem Virus hat in die Knie zwingen lassen, das mit mehr drohte als nur mit einem Schnupfen. Und ja: Für Einige hat es leider viel mehr bedeutet.

Und auch ein ganz grosses ABER: Für Viele bedeutet es auch mehr. Oder weniger. Etwas weniger ausgehen oder nicht fliegen können ist ein Klax gegen schulische Benachteiligungen, ständige Überforderung in der Pflege, verlorene Jobs, zerstörte Existenzen, angehäufte Schulden, aufgebrauchte Ersparnisse, häusliche Gewalt, psychische Schäden. Doch eigentlich macht mich nichts so traurig wie der Gedanke an jene Menschen, von denen mir erzählt wurde. Menschen, welche wir in ihren Zimmern einsperrten. Sie mussten sich gar nicht das Leben nehmen. Sie beschlossen einfach, dass „es“ das nicht mehr wert ist. Diese Einsamkeit. Der Tod war eine Erlösung von allen Verstörungen und aller aufgetretenen Wirrniss, die nicht mehr einzuordnen war, für die es keine positiven Antworten gab und gibt – nicht für Menschen, die längst gelernt haben, den Tod zu akzeptieren – jetzt lieber früher als später.

Vorsicht, Sarkasmus: Wenigstens sind diese Menschen nicht in voll isolierten, plastifizierten Räumen gestorben. Hoffentlich. Aber meistens, fast immer, allein. Eine Schande ist das. Ein Versagen. Und ich frage wie am ersten Tag: Ist das alles das wert? Und welches Leid sehen wir? Wehe uns, wenn wir zu einer Gruppe gehören, für die es keine Statistik gibt. Denn dann gelingt es ganz sicher nicht, die Normalität, die gerade gilt, zu stören. Der Aufreger fehlt.

10.Februar 2021, 19:00

Herzargument

Hab ich sie endlich gefunden,
die Worte, die, ehrlich empfunden,
dir von meinen Sorgen erzählen,
so dass sie gleich weniger quälen.

Worte, die durch trockne Lippen
schwer aus der vollen Seele kippen,
kommen nun, befreit, ins Fliegen.
Gefühle lassen sich nicht biegen.

Ein volles Herz, das will sich geben
und in der geteilten Liebe leben.
Wirst Du gerufen, hör nur hin,
Off’ne Herzen geben Lebenssinn.

Ansichten suchen Argumente.
Oft sehen wir nur Fragmente.
Gemeinsam Suchen hilft uns weiter,
hält die Seele warm und heiter.

Wir wollen die Probleme überwinden
und einander im Versuchen finden.
Corona kann uns nicht entzweien,
wenn wir uns unsre Angst verzeihen.



06.Februar 2021, 19:30

Die Krake klammert sehr…

Ich habe Ende Januar meinen Facebook-Account und WhatsApp und Instagram gelöscht. Ich will mich also vom Zuckerberg-Imperium abnabeln. Dass ich das als Willenskundgebung formuliere und nicht als vollzogene Trennung rapportiere, zeigt, dass das gar nicht so einfach ist.

Es beginnt damit, dass auf meinem Android-Handy die Apps von Facebook, Whatsapp und Instagram sich nicht wie andere einfach entfernen lassen. Während ich die meisten im App-Store gekauften oder dort geladenen Apps problemlos direkt deinstallieren kann, lassen sich Facebook, Instagram und WhatsApp nur deaktiveren, und zwar nur über die Android-Einstellungen. Es soll dem Anwender so schwer wie möglich fallen, sich wirklich fern zu halten… Ganz besonders entlarvend wird es, wenn Facebook selbst gelöscht werden soll. Als die Firma das neue Facebook-Design anbot, haben wohl die meisten auch darauf gewechselt. Denn neuer ist ja meistens auch besser, will sagen, moderner, vielfältiger, schöner. Hier sind wohl die meisten Menschen gleich. Was mit der Übernahme des neuen Designs aber einher ging, waren veränderte Nutzungsbestimmungen, oder besser gesagt, nochmals erschwerte Ausstiegsbedingungen.

Denn aktuell ist es so, dass du, wenn du Facebook löschst, dein Account einen Monat lang bestehen bleibt (beim alten Design waren es „nur“ 14 Tage). Dein Account wird nur deaktiviert, damit du auf deinen Entscheid problemlos zurück kommen kannst. Eine einzige neue Anmeldung in dieser Zeit, unter Umständen unbedacht durch die Cookie-Einstellungen im Browser ausgelöst, reicht aus, damit du wieder normales Facebook-Mitglied bist. Machst du das nicht, und verstreicht der Monat, so bist du dennoch noch nicht am Ziel: Bis deine Daten wirklich gelöscht sind oder nicht mehr weiter verwendet werden, kann es, wie Facebook ausdrücklich erklärt, nochmals drei Monate gehen.

Deine Daten werden eben an unzählige Firmen weiter verkauft, und denen wird man für eine ausreichende Zeit eben auch die Erhaltung des Stocks vom Anfang des Kaufs garantieren wollen (oder müssen). Angesichts der Tatsache, dass ich keine Kontrolle darüber habe, ob und wie die Daten danach im Zuckerberg-Imperium und bei dessen Kunden tatsächlich tabu sind, ist das alles noch viel unsäglicher.

Facebook setzt dem Allem die Bequemlichkeit der Nutzer entgegen, die möglichst umfassend genutzt wird: Je einfacher die Kommunikation mit Freunden, Verwandten, Kollegen und Berufsgruppen möglich ist, um so träger wird die Aufmerksamkeit für den Datenfluss, den wir dabei generieren und für die gläserne Transparenz, die wir über uns schaffen.

Facebooks Ziel wird es sein, die Messenger von Whatsapp, Instagram und Facebook so zu verknüpfen, dass die User sich direkt Nachrichten senden können – also auch von Whatsapp an ein Instagram-Account etc. Die Daten bündeln sich dann ganz automatisch ganzheitlich direkt im Facebook-Konzern. Ein sagenhaftes Geschäft. Schon heute verdient Facebook nach mehreren Schätzungen an jedem Account monatlich mehr als 40 Euro. Der User, der in seiner Bequemlichkeit immer weiter zum Klickvieh wird, ist nicht Kunde, sondern das Produkt.

Und wie attraktiv ist es schon heute, zum Beispiel für Krankenkassen, über ihre Kunden oder jene, die Kunden werden möchten, besser Bescheid zu wissen, als die Interessenten selbst auch nur ahnen können…


Facebook komplett löschen: Anleitung bei heise.de

30.Oktober 2020, 6:30

Die neue Flut

Nun sind sie also beschlossen worden: Die strengen Massnahmen gegen die weitere Ausbreitung des Corona-Virus in der Schweiz oder in Deutschland – und natürlich auch anderswo. Und wir empfangen die Botschaft: Wenn es nicht gelingt, die „Fallzahlen“ drastisch zu senken, wird ein erneuter Lockdown die Folge sein. Die Krux ist erneut die Gleiche: Der Erfolg der Massnahmen ist gar nicht beweisbar.

Weiterlesen

04.Oktober 2020, 9:00

Die eine Mauer ist gefallen

Wir leben in unruhigen, stürmischen Zeiten, spüren sehr viel mehr Unsicherheit und Hader unter einander. Bündnisse zwischen Ländern scheinen nicht mehr verlässlich. Wir machen Bedrohungen aus und erleben, dass wirtschaftliche Macht nicht dazu neigt, Ausgleich zu schaffen, sondern Gewinne zu optimieren. Heute ist nicht mehr so sehr die Frage, welches politsiche System erfolgreich ist – sondern wie Zufriedenheit und Auskommen für möglichst Alle erreichbar ist – oder wenigstens erreichbar bleibt, und dabei fühlen wir uns wohl in genau diesem Bestreben gefährdeter als die Generation unserer Eltern. Doch gerade heute lohnt sich ein Blick zurück, weil gestärktes Bewusstsein für eine fast unglaubliche Wendung der Geschichte auch Mut für die Zukunft machen kann.

Weiterlesen

19.September 2020, 16:45

Social was?

Die Zeichen häufen sich: Unser Umgang miteinander leidet. Es gibt unzählige kleine Dinge, scheinbar nebensächlicher Art, die wir unterlassen, wenn es um die Möglichkeit von sozialen Kontakten geht. Wir halten Distanz. Wir unternehmen Ausflüge nicht oder Besuche, weil wir schon vorausnehmen, „dass sie derangieren könnten“. Und so bekommen wir allmählich kalt. Kollegen berichten, dass Home Office ja schon nett ist und auch gut und die Flexibilität erhöht – aber der Teamgedanke leidet, und allmählich zeigen sich die Folgen. Es gibt neue Mitarbeiter, welche ihr Team nie kennenlernen, weil sie in die Corona-Zeit hinein angestellt wurden und am Ende der Probezeit wieder gegangen werden. Es ist einigermassen absurd – aber wir werden auch das annehmen und viel von Digitalisierung reden. Noch mehr. Soeben habe ich erfahren, dass in einem Kanton die Besuchsregeln in Altersheimen gelockert würden. Ab Montag sind da wieder Besuche auf den Zimmern möglich. Die Alten würden hat schon sehr unter der Vereinsamung leiden…

Aber es betrifft uns alle. Vielleicht merken wir es nur nicht. Denn Netflix funktioniert ja und die Bundesliga fängt wieder an und Eishockey wird auch bald wieder gespielt. Vorläufig. Die wahrhaftig wunderbare Nachricht aber ist, wenn du irgendwo eine kurze Begegnung hast, in welcher jemand im Lift steht und du fragst, ob du mitfahren kannst oder die Person allein bleiben will? Und dir dann ein breites Lachen entgegen strahlt, und die Bemerkung fällt, ich solle mal hübsch reinkommen – und in den kommenden Sekunden ist alles ein Theater, das wir Zwei gerade ausblenden – und dann öffnen sich die Türen und wir gehen unseres Weges – aber für eine gewisse Weile irgendwie doch nicht so allein wie zuvor.

Social Media ist in diesen Zeiten ein Segen? Ja. Beschränkt. Nichts ersetzt die wahrhaftige Begegnung. Nichts.

23.August 2020, 14:20

Corona zählt mich an

Unser Umgang mit Corona bringt mich an meine Grenzen.

Mein Vertrauen in die behördlichen Massnahmen ist angeknackt. Es fehlt an jeglicher Übersicht, die Verhältnismässigkeit empfindet jeder anders, der Aktivismus ist so gross wie die Unsicherheit. Die Meinungen der Experten sind so breit gefächert, wie man den Kritikern den Strauss der Beweggründe vorhält – es findet sich für alles eine Begründung. Die Medien wollen nicht informieren, sondern leiten. Der Filter, was rechtens zu berichten ist und was weggelassen werden soll, ist oft augenscheinlich – und äusserst problematisch. Statistikzahlen sind nach wie vor mehr irreführend als aufklärend.

Und Politiker wollen wieder gewählt werden… Die Grundlehre ist immer die gleiche: Angst in der Bevölkerung ruft nach Schutz, nach Massnahmen. Wer einschränkt, durchgreift, gegen die scheinbare Gefahr etwas tut, gilt als führungsstark und schart die Menschen hinter sich. Und so ist die wirkliche Gefahr für uns auf diesem Planeten plötzlich ein Nebenthema: Der Klimaschutz, die Bedrohung unserer Welt hält uns nicht mehr im Würgegriff. Die grünen Themen sind schon wichtig, sagt der Kopf. Der Bauch aber hat Angst vor Corona. Die Folge? In Deutschland verlieren die Grünen laufend Prozentpunkte im Wähleranteil, die CDU erscheint wieder stärker. Ein Schelm nun, der böses denkt: Corona wird uns weiter beschäftigen, und wird das Thema weiter hoch gehalten und noch betont, nützt das der eigenen Partei… wie gross also ist das Interesse der Führung, das Dilemma zu beseitigen, wenn es für die eigenen Interessen gar keines ist?

Und nun? Ist es ganz einfach, meine Gedanken totzuschlagen. Ich bin bestimmt auch ein Verschwörungstheoretiker.