31.Juli 2021, 0:10

Als die Fussball-Weltmeisterschaft noch ein Abenteuer war

Das Netz ist momentan voll von anekdotenreichen Erzählungen von den ersten Fussballweltmeisterschaften anno 1930. In Uruguay fand sie statt, und das nur, weil es das einzige Land war, das sich – in quasi letzter Minute – überhaupt bereit erklärte, die WM durchzuführen. Qualifizieren musste man sich nicht – nur die Einladung, in Zeiten der Weltwirtschaftskrise, annehmen. Was immerhin vier Mannschaften aus Europa taten. Frankreich, Belgien, Rumänien und Jugoslawien reisten mit dem Schiff an, denn es gab ja noch keine Interkontinentalflüge. Die Überfahrt dauerte gut zwei Wochen, welche die Mannschaften gemeinsam absolvierten, trainiert wurde dabei nicht viel… der jugoslawische Torhüter soll auf der Reise 16kg an Gewicht zugelegt haben…

Der hohen Kosten wegen sollten alle Partien in einem Stadion ausgetragen werden – doch das war zu Beginn der Spiele noch gar nicht fertig gebaut, so dass die ersten Begegnungen „auswärts“ ausgetragen werden mussten. Obwohl eine Tribüne auch danach nicht fertig gestellt war, fasste das Stadion in Montevideo 80td Zuschauer – es entstand das damals grösste Fussballstadion Südamerikas.

Diese erste FIFA-Weltmeisterschaft kreierte auch den ersten grossen Skandal. Als der französische Stürmer alleine auf das argentinische Tor zulief, und kurz davor war, den Ausgleich zu erzielen, pfiff der brasilianische Schiedsrichter die Partie ab. Dass das sechs Minuten zu früh war, löste endlose Diskussionen aus, bis der Schiri die Spieler schliesslich aufs Spielfeld zurück beorderte – die Uruguayer mussten teilweise aus der Dusche geholt werden. Die Partie wurde zu Ende gespielt, Frankreich verlor trotzdem.

Im Halbfinal zwischen Uruguay und Jugoslawien übersah der gleiche Schiedsrichter, dass ein neben dem Tor postierter Polizist den Assist zum 2:1 der Uruguayer spielte.

Den Schiedsrichter fürs Finale zu finden, war gar nicht so einfach. Der schliesslich auserwählte Belgier Langenus war nur bereit, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen, wenn im Hafen ein Fluchtboot für ihn bereit gehalten würde. Weil die Emotionen zwischen Uruguay und Argentinien hoch kochen konnten, bestand er auf einer Waffenkontrolle beim Einlass der Zuschauer – tatsächlich wurden 1600 Revolver von den Zuschauern eingesammelt. Die Mannschaften stritten bis kurz vor Anpfiff über das Spielgerät. Der uruguayische Ball war anders zusammengenäht als der argentinische – schliesslich wurde mit jedem Ball eine Halbzeit gespielt.

Uruguay wurde erster Weltmeister der Fussballgeschichte. Die Mannschaft hatte zuvor schon zweimal das Olympiaturnier gewonnen und war die damals anerkannt beste Mannschaft und José Leandro Andrade der beste Spieler der Welt. Allerdings hatte Argentinien in der ersten Halbzeit noch geführt, stand aber schlussendlich nur noch mit acht Spielern auf dem Feld wegen Verletzungen. Ausgewechselt durfte damals noch nicht werden…

Kaum zu glauben, aber die WM ist dennoch der Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte:

„Wir Europäer waren uns einig: Jeder, der nicht dabei war, hat einen Fehler gemacht.“

Mihailo Andrejevic (jugoslawischer Verbandssekretär, Jahre später)

08.Juli 2021, 23:00

Oh Gott, wir Menschen

Immer wieder hörte ich von Menschen, dass Gott nicht existieren könne. Wie könnte er ansonsten all das Unrecht zulassen? Ja, ich habe die Vergangenheitsform benutzt. Denn heute scheint die Frage niemanden mehr zu beschäftigen. Wir brauchen Gott nicht.

Wir haben mit der Entschlüsselung der menschlichen Gene all seine Wunder erklärbar gemacht – so tönt es nicht selten. Wir suchen das Heil in der Forschung, der Technik, dem Fortschritt. Kein Politiker wird gewählt, uns zu regieren, wenn er uns höhere Steuern in Aussicht stellt – oder gar im Interesse der Umwelt Verzicht und Entschleunigung auch nur zur Diskussion stellt. Nein, wer uns führen will, muss das Heil versprechen. Und das Heil ist immer Wachstum. Verbesserung der Lebensumstände. Und mit diesen sind die Annehmlichkeiten des Alltags gemeint.

Wir wollen überall hin in die Ferien reisen können. Und bringen dann gigaweise Fotos nach Hause. Aber wir schauen nicht wirklich hin. Schon gar nicht zweimal. Keines der Naturparadiese, die ich persönlich besuchen durfte, wäre bei einer nächsten Reise zwanzig Jahre später noch gleich anzutreffen. Mit rasendem Tempo verändert sich die Erde. Weil sie so absurd klein ist, weil wir kein Gefühl für ihre Verletzlichkeit haben, und schon gar kein Gefühl für die Zeit, in welcher wir uns bewegen. Was wir zu dehnen versuchen, unser eines Leben, an das wir glauben, weil wir es unmittelbar atmen, jede Sekunde, ist ein Wimpernschlag im Dasein des Planeten. Wir verhalten uns so, als lebten wir ewig – als Individuen wie als Spezies. Unser Ende gibt es nicht, bis es da ist. Der Tod ist ein Skandal, die Niederlage des Arztes, an den wir doch geglaubt haben. Der Tod ist uns nicht Lehrer fürs Leben. Eigentlich ist es doch mittlerweile so, aus der Sicht eines Schöpfers betrachtet, dass wir, von dem Moment an, in dem wir auf die Welt kommen, stören, bis wir gegangen sind.

Und doch sage ich:

Gott resigniert nie. Mögen wir noch so taub sein, er spricht immer weiter zu uns – in der Natur und in unseren Begegnungen.

Gott lässt tatsächlich eine ganze Menge zu. Es gehört eben zum Entwurf, der wir selber sind, dass wir die Wahl haben. Und wenn wir schon so massiv gescheit sind, dann sollten wir uns einfach fragen lassen: Für welches übergeordnete, besondere Ziel setzen wir denn unsere Intelligenz ein? Und wie erfolgreich sind wir dabei? Und ist es nicht schlicht Blasphemie, einen Gott zu verhöhnen, an den wir nicht glauben, weil wir ihn nicht sehen, während wir die Schönheit der Leben, die sich trotz uns vielfältig entwickelt haben, nicht beachten aber sehr wohl gefährden?

Sind wir fähig, die Schöpfung zu verwalten? Welche Antwort gibt unser Umgang mit Corona darauf? Wir sind uns nicht einig? Was wissen wir, worin irren wir? Es gibt keine Antworten, wenn wir ehrlich sind, sobald wir nach dem Sinne des Wortes Forschung meinen: Forschung akzeptiert den Irrtum als mögliches Resultat, mag sie ihn auch – hoffentlich – noch so vehement zu vermeiden trachten. Die Demut, die uns abhanden gekommen ist – sie würde unserem Stand des relativen Unwissens gut tun.

Sie würde uns helfen, Fragen ohne Verzweiflung zu stellen, und Antworten mit dem Gewissen zu suchen, das Unsicherheiten aushält. Bedrohungen sind real. Es wird die EINE Spritze dagegen nie geben.

05.Juli 2021, 2:00

Die Deutschschweiz und Vladimir und seine Schweizer

Die Schweizer Fussballer haben ihr Land verzückt. Sie haben erstmals seit 67 Jahren wieder eine K.O.-Runde an einem der grossen Fussball-Endrunden überstanden. Und geschafft hat das die Nationalmannschaft mit einem wunderbaren, konstruktiven Auftritt voller Herz und Kampfgeist – gegen den amtierenden Weltmeister. Im ZDF wurde der Schweiz und Frankreich geradezu gedankt für diese Sternstunde des Fussballs, für das bis dato mitreissendste Fussballspiel des Turniers. Und das Deutschschweizer Fernsehen? Es leistet sich eine Peinlichkeit sondergleichen.

Da flippt Kommentator Sascha Rufer live am Mikrofon komplett aus, der Tonmitschnitt seines „Kommentars“ beim entscheidenden, vom Goalie Yann Sommer gehaltenen Elfmeter ist in der ZDF-Studiosendung das besondere Schmankerl, doch als ich dann zurück auf SRF schalte, sitzen da die drei Herren Salzgeber, Rufer und Huggel am runden Tisch, der so trostlos wirkt wie ein halb vergessener Stammtisch in einer leeren Beiz, und über was reden sie? Sie leiden. Sie wälzen die Frage, wie es denn sein könne, dass „diese Schweizer Mannschaft“ so viele Auf und Abs habe, immer erst durch unbedachtes Verhalten auffalle und dann durch pitoyable Leistungen (0:3 gegen Italien), bevor sie dann bereit sei, zu überraschen. Rufer sass da, als hätte er einen sauren Drops gelutscht und Salzgeber mühte sich in bedeutungsschweren Sinnfragen, die einfach niemanden interessieren konnten. Nicht heute, nicht jetzt. Dieses Spiel, dieses wohl grösste Spiel einer Schweizer Mannschaft in den letzten 70 Jahren war für alle ein Vergnügen, DIE Antwort und Punkt. Aber dabei wollten sie es nicht bewenden lassen, wohl angepiekst durch Xhakas Interview nach dem Match, in dem er sehr deutlich machte, wie ihm die Kritik auf den Sack gegangen war und nun Mäuler gestopft worden seien. Hey, ihr alten Männer im Studio. Einfach schlucken, abhaken und sich freuen – und registrieren, dass die Spieler nicht nur dicke Autos fahren, zur Unzeit Tattoo-Studios besuchen und teure Friseurtermine wahrnehmen, sondern auch den Anspruch an sich haben, an keinem Turnier einfach nur dabei zu sein, sondern auch gewinnen zu wollen. Und spätestens in diesem Fall hatte der Gewinner einfach recht. Punkt.

In diesen Minuten, in dieser Stunde nach dem Abpfiff des Spiels, waren die Kommentatoren von SRF weiter weg von den Fans und Zuschauern, als es die Mannschaft je war. Eine Korrektur wurde im Viertelfinale versucht, aber beim verlorenen Elfmeterschiessen gegen Spanien war es dann auch irgendwie einfach, denn das Spiel ging ja unglücklich verloren. So, wie wir Schweizer es gewohnt sind, nicht wahr?

Die Shaqiris, Xhakas und wie sie alle heissen, die Secondos vom Balkan, die Spieler mit dunklerer Hautfarbe und entsprechend vielfältigem Hintergrund – sie Alle zeigen uns eine andere Einstellung, mit Druck umzugehen. Sie haben an dieser EM noch etwas geschafft, was vielleicht noch wichtiger ist: Sie haben uns verständlich gemacht, dass sie auch mit dem Gefühl, zwei Heimatländer zu haben, alles für die Schweiz und das Team geben, und wenn man ihnen nun zuhört, dann glaubt man es ihnen auch. Obwohl es genau gleich klingt wie schon vor Jahren – und auch da schon gültig war. Ein Erfolg verändert eben alles – und das sollte auch in einem Fernsehstudio dann mal gelten dürfen – wenigstens als Momentaufnahme.

Ach ja, in der Romandie und im Tessin, hört man, waren all die Randgeschichten zum Lifestyle der Spieler kein Thema. Abarbeiten daran tun wir uns nur in der Deutschschweiz. Auch der Trainer Vladimir Petkovic ist in unserem Landesteil am meisten Thema gewesen in den sieben Jahren, in denen er nun im Amt ist. Und er? Er steht da wie ein Turm, 1m90 gross, an der Seitenlinie wie auf dem Spielfeld, tröstet einen Spieler, schaut stoisch in die Runde, trifft bei den Spielen viele sehr richtige Entscheidungen – und bleibt bei seiner Linie, die er von Anfang an vorgegeben hat:

Dem Fussballverband ist ein Lob auszusprechen, dass man auf diesen Trainer gesetzt hat. Er hat schon bei den Young Boys und dann bei Lazio Rom mutige Entscheidungen getroffen und offensiven, selbstbewussten Fussball spielen lassen. Und es gehört etwas dazu, nach den Lichtgestalten Köbi Kuhn und Ottmar Hitzfeld die Mannschaft zu übernehmen und ihr vom ersten Moment an einzutrichtern: Und ihr könnt noch mehr. Ihr könnt besser Fussball spielen. Er hat die Mannschaft weiter entwickelt. Und ist in keinem Moment, bei keinem Rückschlag von seiner Philosophie abgewichen. Kritik scheint ihn nicht zu kümmern. Er mag reserviert wirken, vielleicht manchmal sogar etwas arrogant, aber er glaubt an seine Spieler und sie an ihn. Und das hat uns schon ein paar wirklich wunderbare Momente beschert. Selbst aus Ex-Jugoslawien stammend, versteht er die Mentalitäten vieler Spieler in der Mannschaft sehr gut, er kann sie auffangen und ist mit seinem eigenen Lebensentwurf bereits ein Fixpunkt, ein Beispiel, an dem sich die Spieler orientieren können. Und ein Scheitern bedeutet nur eine Chance, dazu zu lernen. Beim nächsten Mal bekommt der Spieler das Vertrauen wieder. Nun haben sie es ihm zurückgezahlt, und das wollten sie unbedingt. Auch das war zu spüren.

Die EM geht noch weiter. Ich schaue sie mir gerne weiter an. Auch, weil „wir“ ein paar der richtig schönen Geschichten des Turniers mit geschrieben haben. Wie ich vom Deutschen Fernsehen weiss…

25.Juni 2021, 1:15

Vom Umgang mit Unterschieden

Manchmal werde ich gefragt, warum ich das mache mit „diesem Bloggen“. Und dann müsste ich ehrlich antworten, dass ich eigentlich nicht wirklich ein Blogger bin. Ich verschreibe mich keinem Thema, keiner Glaubensansicht, keinem politischen Flügel. Mich interessiert so Vieles. Und ich riskiere eine Meinung, die vielleicht gerade demjenigen nicht passt, der mir eben noch applaudiert hat.

Es ist gar nicht möglich, sich auf diesen Seiten für alles zu interessieren. Und schon gar nicht, immer einverstanden zu sein. Ich bin den Weg vieler Bloggerkollegen nicht gegangen, als die Social Media – Kanäle mehr Klicks versprachen, wenn man seine Texte auf ihren Portalen verortete, und bin in meinem Häuschen geblieben. Und ich habe meine Themen nicht eingegrenzt. Will ich einfach nicht. Das hier ist einfach eine Art Tagebuch meiner Gedanken. Ich habe auch hier keine Mission. Und doch gibt es etwas, das mir wirklich wichtig ist. Wozu ich ermuntern möchte, ein wenig Beispiel sein:

Auch wenn ich scharf zu schreiben vermag, so sollten die Worte nie jemanden zum Schweigen bringen. Im besten Fall erscheinen sie bedenkenswert. Argumentation sollte so daher kommen, dass du auch mit anderer Meinung zu Ende zu lesen vermagst. Du brauchst auch nicht mit mir streiten. Geschieht ja auch kaum je auf diesen Seiten. Aber freuen würde mich, wenn es mal sein kann, dass du hier wieder weg gehst, und meine Sicht nachklingt. Ich habe keine Wahrheit gepachtet. Aber ich mitte sie auch für keine Staatsraison ein. Die Wahrheitssuche bedingt die Freiheit der Gedanken. Und wenn ich selbst Leser bin, versuche ich, mich genau so zu verhalten.

Ich möchte nicht bedrängen. Und schon gar nicht in ein Geschrei einstimmen. Ich liebe die Zwischentöne, die Differenzierung. Dort, wo die andere Ansicht gehört und nicht niedergeschrien wird, kann Reflexion entstehen. Ich mag in meinem Glauben an den Diskurs aus der Zeit gefallen sein, aber ich glaube eben gerade nicht, dass die Zeiten so dramatisch sind, dass wir uns unterschiedliche Meinungen und Haltungen nicht leisten können.

23.Juni 2021, 2:00

Das Virus und Brock

Brock läuft durch die Strassen, vorbei an leeren Gesichtern hinter Masken. Und die Gesichter ohne Masken sind grau. Er hat das Virus nicht, und doch hat es ihn im Griff, weil es uns alle im Griff hat. Brock war schon immer viel allein, aber lange nicht mehr so oft einsam. Während die Menschen nach der Leichtigkeit haschen, möchte Brock endlich wieder jene Schwere fühlen, die ihm zeigt, dass die Erde anzieht, ihn hält. Er versucht, bewusst zu atmen, und seine Schritte werden langsamer und kürzer. Er sucht nichts mehr in den vorbei huschenden Gesichtern. Er sucht Brock.

Er denkt an den kleinen Jungen und auch an den Teenager, der niemals Zärtlichkeit zwischen Mama und Papa beobachten konnte. Als ihm das bewusst geworden war vor vielen Jahren, hatte er das Gefühl, in einem schwarzen Nichts zu versinken. Wenn die Seele so friert, will sie lieber wieder vergessen. Aber Erinnerungen sind dazu da, eine liebevolle Beobachtung zu versuchen, auf dass der Vergangenheit eine neue Gegenwart folgen kann: Brock betrauert nicht mehr den kleinen Jungen in ihm, aber er wird immer den Schmerz der Zurückweisungen und Frustrationen seiner Eltern fühlen. Noch jetzt kann er die wortlose Verzweiflung fühlen, in welcher Mutter und Vater gefangen blieben, ein Leben lang. Das Virus hätte das nicht geändert. Vielmehr wäre es wohl unerträglich geworden. Für wen zuerst?

Brock kann nicht eine Person nennen, die ihm die Kraft gegeben hat, Gefühle, Zärtlichkeit, Zuneigung und Berührung nicht einfach als Sehnsuchtsgüter zu verstehen sondern ihr Geben und Nehmen zu üben, zu lernen, zuzulassen und zu erfahren, dass dies Güter sind, die jenseits von richtig und falsch einfach unser Leben ausmachen, und damit das Miteinander und unser Dasein mit uns selbst. Brock begreift, so, wie er gerade einen Fuss vor den anderen setzt, dass es gerade die Vielzahl der Begegnungen ist, welche ihn befähigten, das eigene innere Licht zu sehen und leuchten zu lassen.

Brock weiss, dass es seine grösste und wichtigste Aufgabe bleibt, erfahrene Nähe, empfundene und empfangene Liebe in jener Seelentiefe Raum zu geben, in welcher sein Grundvertrauen nur darauf wartet, weiter gestärkt zu werden. Seine Seele will und darf die Enge sprengen, die Liebesworte seiner ihn Liebenden dürfen seine Gewissheit werden. Jedes scheinbar zufällig gehörte oder gelesene liebe Wort hat seine Botschaft für ihn, für Brock. Gelebte, empfundene Liebe und Zuneigung klopft immer bei der eigenen Seele an und fragt: Na, bist Du auch gut zu Dir selbst? Und tut Dir selbst gut, was du machst, gibst, empfängst? Je liebevoller und gütiger Brock an seine Eltern, überhaupt an Menschen denken kann, um so liebevoller ist auch sein Blick auf sich selbst.

Brock lernt. Er weiss, dass er damit niemals „durch sein wird“. Aber es ist schön. Und wenn Momente des Alleinseins Einsamkeit in sich tragen, so kann er sie willkommen heissen, weil sie ihn frei von Ablenkung machen können. Um einen Gedanken fest zu halten, eine Dankbarkeit zu fühlen, einen nächsten Schritt zu machen. Brock will sich weiter begegnen, sich fühlen. Und so wird er auch Menschen begegnen. Er hat unwillkürlich die Maske abgenommen und achtlos in die Hosentasche gesteckt, und eine Frau, die vorbei eilt, lächelt ihn an. Sie gibt ihm zurück, was er ausstrahlt.


Alles, was Brock umtreibt, was ihn beschäftigt, worin er Hilfe sucht und Hilfe schenken kann, ist ein Teil unserer Lebenskunst, die sehr viel mit unserem persönlichen Glück zu tun hat, mit der Qualität und Tiefe unserer Beziehungen, mit der Art und Fähigkeit, Liebe gedeihen lassen zu können. Ganz viel von dem haben wir Corona geopfert. Wir haben pausiert. Einschränkungen auf uns genommen.

Wie viele Menschen haben wir in der Zeit ein Stück weit verloren, weil sie eine andere Einstellung zu den offenen Fragen hatten oder haben, und wir es nicht schaffen, NICHT nur in Schwarz oder Weiss zu denken? Wir teilen Menschen ein in vernünftig und verleitet. In verantwortungsbewusst und fahrlässig. Wir unterstellen Dummheit, wo Unsicherheit herrscht. Nach allen Seiten, damit wir uns hier richtig verstehen.

Herausforderungen wie jene, die in diesem Text oben anklingen, haben ganz Viele unter uns zu meistern. Es wird wohl niemand bestreiten, dass sie seit März 2020 noch viel dunkler auf vielen Menschen lasten können. Und ich behaupte, wir alle kennen einen solchen Menschen. Aber wir sehen sie nicht. Es ist ein Elend, das von keiner Statistik erfasst wird. Und doch verantworten wir es. Wir Alle.
Wie sähe unsere Welt aus, wenn wir uns mehr den inneren Werten unserer Lebensjahre verpflichtet fühlten als der schieren Angst, wir können davon ein paar weniger erleben als erhofft? Was macht unser Dasein auf Erden aus?

Bald soll es ja vorbei sein. Sagen die Einen. Andere bestreiten es, bezweifeln es. Wir werden die Diskussion unter uns Unwissenden endlos weiter führen. Aber Eines ist ganz klar:

Was wir verloren haben, was wir preis gegeben haben, bekommen wir nicht zurück. Nichts von dem, was geschehen ist, ist einfach eine Episode, die wir vergessen werden.

18.Juni 2021, 2:00

E-Biken als neues leichtes Jogging. Vielleicht.

Die Zeiten, in denen ich regelmässig joggen war, sind lange vorbei. Ich erinnere mich an die Limiten, die sich mir zeigten: In dem Moment, über den hinaus sich meine Distanzleistung nicht mehr erhöhte mit dem möglichen und gewollten Aufwand, schwand der Zauber, und die Konfrontation mit den Einschränkungen durch das Asthma schob sich in den Vordergrund. Dazu kamen streunende herrenlose Hunde im Wald mit Interesse an Joggerbeinen, und irgendwann habe ich es gelassen. Aber ich erinnere mich auch an die meditativen Momente im Einklang mit meinen Körper…

MEIN KÖRPER – MEINE WOHNUNG

Still laufe ich, mit gebändigten Gedanken. Ich staune, dass meine Beine vom ersten Schritt an den leichten Schritt des Vortags annehmen, eifrig bereit, mich weit zu tragen. Ich komme heute meinem Ziel ein paar ruhige Atemzüge näher: Beim Laufen mein eigenes Tempo finden. Die Geschwindigkeit, den Schritt entdecken, der der Meine ist und der zu mir gehört für den Lauf durch mein Leben, hin zu mir selbst. Ich suche die Schrittlänge und den Rhythmus, der meine Gedanken verschmelzen lässt, meinen Kopf leert und mein Inneres öffnet. So ist jeder neue Lauf ein Dialog mit mir selbst, ein Hinhorchen auf meinen Körper, eine Mahnung, ihn zu ehren, zu pflegen, zu nutzen, zu belasten, zu entlasten: Ich lerne meine Wohnung kennen. Und ich freue mich schon, morgen dahin zurück zu kehren, und die Tage danach ebenso.

Es gibt segensreiche Wiederholungen und Gewohnheiten, Zeiten der Einkehr, die wie Tempelgänge in unserem Tagesablauf stehen können.


thinkabout.myblog.de vom 14.11.04, teilweise wieder gegeben und redigiert

und so freue ich mich nun auf mein E-Bike, auf das ich, wie viele andere auch, sehnlichst und viel länger warte, als vorausgesagt… Die Lieferengpässe durch Corona lassen grüssen…

14.Juni 2021, 8:30

Erdige Gedanken

Unsere Begegnungen mit der Natur können manchmal so tief empfunden werden, als würden wir von Gott selbst berührt.
Wenn ich Tiere beobachte oder einen besonderen Baum, der im Wechsel der Jahreszeiten Blühen und Welken immer wieder neu durchlebt und ich dabei seine Wurzeln wachsen sehe, dann fühle ich die Sehnsucht danach, „wie die Tiere dem Leben recht geben zu können“ (J.R. von Salis) und entsprechend im Leben verwurzelt zu sein:

Meiner Bestimmung gemäss zu leben. Was bedeutete: Ich weiss wer ich bin und was ich soll. Tiere müssen nicht nach ihrem Sinn fragen – sie scheinen in jedem Moment das zu tun, wofür sie bestimmt und gedacht sind und folgen ihren Instinkten. Wir aber haben ein Bewusstsein, das wir scheinbar erst entwickeln oder wieder freilegen müssen: Wir können uns eine Zukunft denken und womöglich die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Wir vermögen scheinbar sehr schlecht mit der Tatsache der weiter laufenden Zeit umzugehen. Statt Werden und Vergehen in unser Bewusstsein eindringen zu lassen, verscheuchen wir die Fragen nach unserer Herkunft und unserm Hingang und leben in einem diffusen Durcheinander von Augenblicken, abgelenkt vom scheinbaren Trost momentaner Zerstreuung und der Erfüllung aktueller Pflichten.

Dabei wird uns immer die Möglichkeit gelassen, im Bewusstsein unserer physischen Endlichkeit unsere Seele zu nähren und mit beiden Füssen die Erde spürend gleichzeitig den Himmel zu greifen.

thinkabout/myblog.de vom 13. Nov. 2004, heute bearbeitet und ergänzt

08.Juni 2021, 2:00

Lebensmittel für ein gutes Leben

Wir stimmen am nächsten Wochenende über eine Volksinitiative für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung ab, und über die Volksinitiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“. Wieder mal ist es einigermassen kompliziert, als Laie den Durchblick zu bekommen.

Die Schweiz ist ein kleines Land – und eine einigermassen autarke Landwirtschaft verheisst uns ein wenig Sicherheit. Gerne wird auch behauptet, dass Schweizer Produkte eh schon einen hohen Standard an Natürlichkeit erfüllen. Die entsprechenden Werbespots der Grossverteiler haben teilweise etwas von einer Märchenstunde, so übertrieben wird uns die Idylle auf dem Bauernhof vorgegaukelt.

Schlussendlich werden Produkte produziert, mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Die Schweizer Bauern haben seit Generationen eine starke Lobby. Es tut sich auch Einiges in Sachen Bio, aber der Wildwuchs der Labels ist grotesk und die Kriterien dafür müssen nicht immer logisch oder sinnvoll sein. Das Prinzip treibt der guten Absicht manchmal den Sinn aus den Tier- und Pflanzenfasern…

Aber nun ist Feuer im Dach. Im kleinen Schweizer Land häufen sich die Nachrichten über eine immer schlechtere Grund- und Quellwasserqualität, und die Rückstände an Pestiziden im menschlichen Körper nehmen laufend zu.

Die Bauern prognostizieren uns bei Annahme eine ausgedünnte Angebotsvielfalt, einen Ausstieg aus den Direktzahlungsprogrammen, welche den Einsatz von Pestiziden kontrollieren, und, das vor allem, viel höhere Gestehungskosten und damit höhere Preise. Da scheint guter Rat teuer. Also vielleicht doch nach dem Bauchgefühl gehen…

Welche Angst ist nun grösser? Diejenige, auf Angebote verzichten oder dafür viel mehr bezahlen zu müssen – oder uns in all der Vielfalt der Speisen still und heimlich weiter zu vergiften? Weniger radikale Lösungen suchen, auf entsprechende Initiativen der ursächlichen Landwirtschaftsproduktion vertrauen? Aber deren Verlautbarungen und Absichten haben schon vor Jahrzehnten ähnlich geklungen… Ich bin gespannt auf die Ergebnisse. Die junge Generation scheint mir bereit zu sein, neue Standards zu wollen. Koste es auch, was es solle.

07.Juni 2021, 6:34

Wie die direkte Demokratie ausgehebelt wird

istock/MHJ

Wir Schweizer sind uns wohl gar nicht bewusst, dass viele Blicke aus dem Ausland auf das kommende Abstimmungswochenende bei uns gerichtet sind. Denn wir stimmen über das sog. Covid-19-Gesetz ab. Unser System der direkten Demokratie erlaubt es, dass die Bürger die Corona-Massnahmen der Regierung gutheissen oder verwerfen können. Nirgends sonst ist es möglich, dass das Volk das beanspruchte Notrecht bejahen oder verwerfen kann, nachträglich – und für eine befristete weitere Zeit. Das ist die Theorie, nach welcher Regierung und Parlament Aufschluss darüber bekommen, ob das Volk hinter der politischen Führung steht. Aber das wird nicht der Fall sein, denn die Vorlage weiss es zu verhindern, den Volkswillen klar zu befragen, indem sie gegen den Grundsatz der Einheit der Materie verstösst.

Dieser Grundsatz ist ein Rechtsinstitut, ein Prinzip der Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft, der besagt, dass zwischen den einzelnen Teilen einer Abstimmungsvorlage ein sachlicher Zusammenhang bestehen muss. Auf den ersten Blick scheint das gegeben, denn wir stimmen über die Prinzipien und Grundlagen ab, nach denen der Bundesrat seine Massnahmen im „Kampf“ gegen Covid-19 beschliesst. Doch unser Ja oder Nein sanktioniert eben nicht nur die Massnahmen des Bundesrates, sondern es entscheidet auch darüber, ob die finanziellen Entschädigungen und Unterstützungen, die für die Betroffenen gesprochen wurden und weiter bezahlt werden, weiter geführt werden können oder im September auslaufen. Und damit ist der Grundsatz der Einheit der Materie grundlegend verletzt, denn sein tieferer Sinn ist, dass die Stimmbürger ihren politischen Willen frei und unverfälscht bilden und auch äussern können. Genau dies wird hier aber nicht gewährleistet, denn ich kann sehr entschieden gegen die Anwendung und Interpretation des Notrechts durch den Bundesrat und die daraus abgeleiteten Beschränkungen der Freiheitsrechte sein, setze mich mit einem Nein aber dem Vorwurf aus, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten Berufs- und Bevölkerungsgruppen ab September endgültig ins Elend zu stürzen. Ein erheblicher Teil des Stimmvolks hat grundlegende Bedenken gegenüber den Einschränkungen und Massnahmen, anerkennt aber umgekehrt, dass der Bundesrat mit seinen getroffenen Abfederungen, z.B. mit den Regelungen für Kurzarbeit oder den Erwerbsersatz für die Selbständigen, die wirtschaftlichen Benachteiligungen schnell, speditiv, erstaunlich unbürokratisch und relativ breit zu lindern möglich gemacht hat. Nur ist ein einigermassen dichter Flickenteppich kein Argument dafür, die Handlungen, welche die Flicken notwendig gemacht haben, aufrecht zu erhalten. Und genau dies festzustellen, wird den Stimmbürgern sehr schwer gemacht, weil im Abstimmungskampf dem Volk die Verantwortung für die finanzielle Abfederung der Schäden für die Benachteiligten zugeschanzt wird. Und es wird nicht möglich sein, zu eruieren, wie gross der Prozentsatz der Stimmbürger ist, welche nur ein Ja eingelegt haben, weil sie die Folgen der Massnahmen abgefedert wissen wollen, aber nicht, weil sie die ursprünglichen Entscheidungen für richtig halten. Die beiden Fragen müssten, wenn schon, getrennt vorgelegt werden, und wenn der Charakter der Gesetzgebung eine solche Trennung nicht erlaubt, so hätte das Parlament die notwendigen Schritte einleiten müssen, welche die Fortführung der bisher gewährten Entschädigungen in jedem Fall erlaubt hätte.

Ich bin im Übrigen überzeugt, dass es diese Überlegungen auch gibt und Notfallpläne bestehen, um bei einem Nein Härtefälle im Herbst eben doch zu verhindern. Als Parlamentarier zu behaupten, das wäre nun nicht mehr möglich, ist eine Bankrotterklärung – und in erster Linie eine Aussage, welche bescheinigt, dass das Parlament selbst seiner Aufgabe überhaupt nicht nachgekommen ist. Das politische Kalkül ist offensichtlich, mit dieser Unsicherheit genau diese grosse Gruppe von Ja-Stimmen zu sichern und so die Handhabung des Notrechts in seiner Gänze sanktioniert zu bekommen. Mit allen offenen, nur vorläufig zu beantwortenden Fragen zur Handhabung von Impfzertifikaten und dergleichen, und, notabene, mit einem Gesetzestext, der so, wie er in der Abstimmungsbroschüre aufgelegt und in alle Haushaltungen verschickt wurde, schon nicht mehr gültig ist. Denn gleich zu Beginn gibt es seit der Drucklegung eine massgebliche, sehr bedeutsame Änderung:

Im Abstimmungsbüchlein regelt das Bundesgesetztes über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) in Art. 1 „Gegenstand und Grundsätze“ und in Art. 2 „Massnahmen im Bereich der politischen Rechte“.

Im Netz kann der Gesetztestext mit Stand am 1. April 2021 aufgerufen werden, und der enthält einen Gummiparagraphen: Art. 1a:

Der Bundesrat legt die Kriterien und Richtwerte für Einschränkungen und Erleichterungen des wirtschaftlichen und gesellschaftli­chen Lebens fest. Er berücksichtigt nebst der epi­demiologischen Lage auch die wirtschaftlichen und ge­sellschaftlichen Konsequenzen.

Wie problematisch oder nicht eine solch dynamisch sich weiter verändernde Vorlage ist, wie beabsichtigt es sein mag, die Variante vom 1. April dieses Jahres in die im Mai verschickten Unterlagen nicht zu integrieren, so dass dieser Art. 1a nicht gelesen werden kann im Abstimmungstext, kann nur gemutmasst werden, und ich höre schon wieder den Totschlagspruch auf mich niederprasseln, ein Verschwörungstheoretiker zu sein.
Ich weiss auch nicht, ob die Feststellung die Sache besser macht, dass schlicht der Text des BG vom 20. September 2020 ohne später erlassene Zusatzartikel – mehr als ein Dutzend mit lit. a) oder b) – abgedruckt wurde.

Ich bin sehr stolz auf unsere direkte Demokratie. Ich bin schon um sie besorgt durch die Beurteilung und Massnahmen der Politik in Situationen, wie wir sie in den letzten 15 Monaten erlebt haben, aber das ist wahrscheinlich viel leichter erklärbar und korrigierbar als das, was diese unsägliche Vorlage über unsere Legislative verrät. Es sind Taschenspieler- und Hütchentricks, welche ein bestimmtes, gewolltes Ergebnis garantieren sollen. Das Quälendste daran ist, dass sie gar nicht nötig wären. Im Dialog mit dem Volk wären sehr brauchbare Prinzipien zu erarbeiten, welche das Vertrauen in die Regierung stärken und die Sicherheit erhöhen würden, mit dem Rückhalt der Bevölkerung auch für sie tätig sein zu können. Wahrscheinlich muss der Weg dazu in der weiteren Aufarbeitung der Epidemie-Erfahrungen liegen, in welche dann auch die Praktikabilität und Plausibilität des angewendeten Epidemiengesetzes von 2016 einfliessen kann.

28.Mai 2021, 14:50

Die Nacht als Tageszeit

Ich weiss gar nicht mehr, wann das angefangen hat, dass ich die Nacht gerne zu einem Teil meines Tages gemacht habe. Es hat mir schon als Student entsprochen und ist bis heute so:

WACHE NACHT

Ich liebe die Nacht,
die mich empfängt
mit Stille und Geschichten.
Ich sitze da und denke
ganz anders als am Tag,
wenn helle Lichter blenden.

Ich lief ganz jung schon
nachts durch dunkle Strassen,
den spiegelglatt glänzenden Asphalt
regennass unter meinen Füssen:
Zuflucht für bedrängte Herzen,
Wanderpfad für meine Seele.

Nicht Bedrohung fühle ich,
nicht Angst, nicht Ruhelosigkeit.
Es bescheint ein fahlgelber Mond
meine springenden Gedanken,
bis mich schläfrige Sanftmut
in eine neue Ruhe entführt.

thinkabout.myblog.de am 12.11.04, heute bearbeitet

In der Nacht bin ich unter Menschen allein. Ich weiss sie schlafend, arbeitend, unter der Decke, in den Freuden oder Sorgen wegen morgen. Das ein Morgen ist. An dem die Sonne wieder aufgeht. Ganz sicher. Was für ein Wunder, jeden Tag. Ich bin in diesen Stunden allein – aber bin ich es wirklich? Und mehr als am Tag, wenn ich unter ebenfalls wachen Menschen bin? Wir kommen allein und wir gehen allein. Der erste und der letzte Teil des Weges kann nicht geteilt werden. Und die Entwicklungsschritte, die wir gehen, sind auch die unseren. Wir können sie nicht abgeben. Niemand geht den Weg für uns und niemand geht genau den gleichen. Aber ich trete aus der Nacht und dem folgenden Schlaf heraus in einen Tag, der Begegnungen bereit hält. In denen ich wahrhaftig sein kann, wenn ich in mir selber wohne in einer Weise, die auch und gerade in der Nacht der Unsicherheit standhält, Angst aushält und überwindet. Viele Briefe, die ich schreibe, schreibe ich nachts. Wenn ich bei mir bin. Und etwas davon zu jemandem tragen will. Einen Gruss. Einen Gedanken. Das Gefühl, das ich habe, wenn ich den Mond betrachte, und wieder mal sehe, welch unfassbare Kraft er besitzt. Er blendet nicht. Aber er scheint. Leuchtet. Geht seinen Weg und vergisst dabei die Erde nie. Wenn ich ihn am Himmel suche und finde, ist alles gut.