Es gibt wohl keinen zweiten Sportdirektor eines Fussballbundesliga-Vereins, wie das Max Eberl in Gladbach war. Das bezieht sich auf seine fachlichen, aber auch und gerade auf seine menschlichen Qualifikationen. Kaum ein Manager hat sich so sehr hinter seine Trainer gestellt und eine so menschliche Linie verfolgt, überzeugt, dass es den Respekt für die Mitarbeiter braucht, will man von ihnen Zusammenhalt für den Erfolg des Vereins einfordern.
Eberl war die verkörperte Verlässlichkeit, und dass dieser Mann nun erklärt hat, öffentlich und unter Tränen, dass er keine Kraft mehr hat, macht sehr betroffen. Er will mit uns nichts mehr zu tun haben, und das sollten wir auch genau so verstehen. Denn auch wir Konsumenten und Fans, Fussballinteressierte und News-Konsumenten hocken täglich den Rattenfängern auf, die unsere Aufmerksamkeit, unsere Klicks mit möglichst aufregenden Schlagzeilen abgreifen wollen. Und wir stöbern gerne nach, lassen uns jedes Gerücht unter die Nase halten, für dessen Verbreiterung der Journi oder der SocialMedia-Betreiber nicht mehr braucht als ein Hörensagen – ohne jede Nachprüfung des Wahrheitsgehalts. So verkommen Transferperioden zum Spiessrutenlauf – in dem gerade die finanziell nicht so stark da stehenden Vereine die Zeche bezahlen. Und es ist gut zu beobachten, dass zunehmend alle Beteiligten an der Aushandlung eines neuen Vertrages keine Manipulationen mehr scheuen, um mit der Speisung solcher „Meldungen“ Druck aufzubauen.
Max Eberl hat auf die schmerzhafteste Weise erfahren, dass Menschlichkeit und Anstand keine Garantie in sich tragen, dass in genau gleicher Weise zurück gezahlt wird. Oh nein. Wir sind uns alle selbst die Nächsten.
Ja, der Chef muss vorangehen, und es kommt selten gut, wenn der Leitwolf nicht wirklich brennt für seinen Job. Doch wenn er erlebt, dass für nächste Mitarbeiter im Führungsteam eine ähnliche Verbindlichkeit obsolet ist und bessere Verträge andernorts jede vorherige Beteuerung von der Liebeserklärung zur Ohrfeige mutieren lassen, dann kommt der Moment, in dem die eigene Kerze an beiden Enden zu brennen anfängt. So ist es zu erklären, dass der Überzeugungstäter Max Eberl viel zu spät erkennen konnte, dass ihn die menschlichen Enttäuschungen viel mehr beschäftigen und an seinen Kräften zehren, als er es zulassen wollte. Es hilft auch nicht, wenn in jedem Einzelfall die objektive Sachlage dazu veranlasst, eine angestrebte Trennung auch zuzulassen, weil man Reisende nicht aufhalten soll. Die schiere Häufung der Hiobsbotschaften und ihrer Auswirkungen waren schlussendlich nicht mehr zu tragen. Der Trainer Marco Rose wollte dem Verein, der ihm die Etablierung in der Bundesliga ermöglichte, nicht über den Sommer hinaus zur Verfügung stehen, trotz laufendem Vertrag, Nationalspieler verlängerten ihre Verträge nicht, die sportliche Schieflage wurde, gemessen am Kader, immer grotesker, und Corona verschärft jedes wirtschaftliche und personelle Problem betreffend der Führungsaufgaben zusätzlich.
Max Eberl hätte es anders verdient. Ganz anders. Den Respekt fast aller Beobachter wird er nie verlieren. Da hat ein Mensch gearbeitet und ist ein Mensch abgetreten, sich öffentlich eingestehend, dass es nun einfach nur noch um ihn gehen darf und muss. Wohl noch nie hat ein Manager in der Öffentlichkeit so ehrlich und berührend von seiner Not erzählt, und es ist typisch Eberl, dass seine Sätze druckfertig daher kamen bis zum Schluss – ohne dass auch nur ein Satz aus Worthülsen bestanden hätte. Ist er gescheitert? Ich hoffe, viele Chefs nehmen sich genau Max Eberl zum Vorbild. Und ich hoffe, ihre Botschaft kommt so bei ihren Angestellten an, dass die Lust und Freude gross bleibt, zurück zu zahlen. Und das ist keine Währung aus Euros oder Franken. Das ist die Überzeugung, einen Job zu haben und ihn so erfüllen zu wollen, wie er vereinbart wurde, wie man sich dafür verwendet und beworben hat, mit der klaren Idee, dass der Job auch getan sein soll, bevor man über Veränderungen verhandelt. Genau das kann Max Eberl nun nicht mehr. Es wäre ihm zu wünschen gewesen, er hätte dabei auf der gegenüberliegenden Tischseite Menschen vorgefunden, die ihm empathisch wenigstens ein bisschen gerecht hätten werden können. Nun, mindestens öffentlich war dem nicht so. Nicht nur Eberl ist in Mönchengladbach zuletzt überfordert…
Ich möchte noch zurückblenden in die Jahre 2011 bis 2015: Max Eberl hatte das Gespür für die richtige Trainerverpflichtung, als Borussia Mönchengladbach scheinbar hoffnungslos abgeschlagen wie der Absteiger feststand. Lucien Favre schaffte es nicht nur, die Klasse doch noch zu halten, er entwickelte die Mannschaft weiter, bis sie gar die Championsleague erreichte. Die Spieler glaubten bedingungslos an seine Philosophie, und die Erfolgserlebnisse taten ihr Übriges. Doch dann begann eine neue Saison – und nichts schien mehr zu funktionieren. Favres Mannschaft verlor sechs Spiele in Folge, und die Zweifel steckten den Spielern in jedem gespielten Pass auf dem Feld in den Füssen. Das Herz mochte noch so genau erinnern, dass dieser Trainer schon wusste, was sie brauchten – es funktionierte nicht. Niemand hätte Favre entlassen, erst recht nicht ein Mensch wie Max Eberl. Er glaubte, Favre alles zu verdanken. Man würde da wieder rauskommen. Favre bot den Rücktritt an. Er wurde abgelehnt. Worauf Favre seinen Rücktritt einseitig erklärte und die Arbeit niederlegte. Das hängt ihm heute noch nach. Aber ein Trainer spürt, wenn er seine Jungs nicht mehr erreicht, wenn er deren Zweifel im Kopf nicht beseitigen kann. Favre begriff, dass die Loyalität der Vereinsspitze, getragen von Eberl, verhindern würde, die Sackgasse zu erkennen. Er entschloss sich zu einem radikalen Schritt, der alle im Verein schockierte. Von einem Moment auf den andern war der ehemalige Heilsbringer nicht mehr greifbar. Erst das aber liess alle Verantwortlichen, die Führungsspieler inklusive, begreifen, was es geschlagen hatte – und Eberl zog mit Andre Schubert genau die richtige, ganz andere Person nach, die sofort Erfolg hatte. Ich bin sicher, Max Eberl hat damals sehr gelitten unter Favres Entscheidung – aber sie hatte wohl auch ihren Grund in der Bedingungslosigkeit, mit welcher Eberl an Favre festgehalten hätte, allen Anzeichen grundlegender Probleme zum Trotz. Auch das war die Geschichte eines Trainers, der auf Eberls Schiff von Bord ging – aber eine ganz andere…